Big Blues CASE-Konzept: Vorerst nur Visionen

AD/Cycle-Ankündigung löst kontroverse Reaktionen aus

06.10.1989

"Die Ankündigung leitet ein neues CASE-Zeitalter ein", tönt vollmundig Pansophic-Chef David J. Eskra über das von IBM vorgestellte AD/Cycle-Konzept zur computerunterstützten Software-Entwicklung für eine künftige SAA-Umgebung. Gleichwohl hält sich die Freude in Grenzen. So ungeduldig viele IBM-Kunden darauf gewartet haben, daß ihr Mainframe-Lieferant ihnen endlich zeigt, wohin sie sich in Sachen Software-Entwicklung zu orientieren haben - für so manchen Hersteller oder Anwender stellt sich jetzt heraus, daß er auf das falsche Pferd gesetzt hat. Aber auch Anwender, die nicht mit solchen Problemen zu kämpfen haben, geben sich zurückhaltend. Sie wollen lieber Produkte sehen als Visionen.

Nur wenige Stunden nach der offiziellen Ankündigung in New York hat Tom Aser, Marketingleiter für Programmiersysteme bei der IBM, das AD/Cycle-Konzept auf dem diesjährigen Anwendertreffen von Pansophic in Scottsdale/Arizona vorgestellt. Während die Veranstalter sich euphorisch geben - Pansophic entwickelt derzeit eine Schnittstelle zum Repository und gehört seit Februar dem sogenannten "SAA-Club" an verhielten sich die rund 400 Anwender eher zurückhaltend.

"Da liegt viel in der Luft, aber nichts, was man anfassen könnte", urteilt Arieh Berger, Manager für Software-Kommunikation bei der israelischen Fluggesellschaft EI Al. Die Erfahrung habe ihn mißtrauisch gemacht. Schneller als aus dem Repository ein Produkt wird, könne die Entwicklung in eine Richtung umschwenken, wo es keine so zentrale Rolle mehr spielt, wie es jetzt scheint. Trotzdem, so Berger, bleibe zu hoffen, daß all die CASE-Präsentationen von IBM mehr als nur Papierwert besäßen. Diese Haltung steht stellvertretend für eine ganze Reihe ähnlicher Aussagen die auf dem Anwendertreffen zu hören waren.

Heinz Langenfelder, zuständig für Software-

Entwicklungsmethoden bei der Württembergischen Sparkassenorganisation, zeigt sich dagegen eher zufrieden mit den Ankündigungen. Ihm geht es dabei jedoch weniger um die konkreten Inhalte: Die Announcements zeigten dem Anwender in welche Richtung IBM zu gehen gedenke und böten ihm so die Möglichkeit sich darauf einzurichten.

Auch wenn Produkte noch auf sich warten ließen und IBM auffällig viel Engagement im angestammten Großrechnerbereich zeige, so sei doch anzuerkennen, daß mit dem Repository offensichtlich ein Standard geschaffen werde.

Befürchtungen, IBM werde nun versuchen, eine zentrale Rolle im Software-Markt zu spielen, teilt Langenfelder nicht. Zwar lasse sich Big Blue strategische Produkte wie das Repository oder DB2 nicht mehr aus der Hand nehmen, doch sei ein Abweichen von dem bisher streng proprietären Kurs festzustellen. So sollen alle Schnittstellen von IBMs Entwicklungskonzept AD/Cycle offengelegt werden. Den Drittanbietern verbleibe somit der gesamte Add-on-Markt.

Ein gewisses Umdenken gesteht auch David T. Carpenter, Direktor für CASE-Architekturen bei Pansophic, der IBM zu. Es sei schon eine Neuigkeit, daß IBM die Existenz der CASE-Technik überhaupt zur Kenntnis genommen habe. Allerdings vermutet Carpenter, daß IBM über das Repository den Großrechner-Absatz steigern möchte. Sein Argument: Das künftige Software-Produkt wird es vorerst nur unter MVS geben. Selbst IBM-Mann Aser streitet diesen für sein Unternehmen positiven "Nebeneffekt" nicht ab. Die Entscheidung für die Entwicklung eines Mainframe-Repositories sei jedoch auf Kundenwünsche zurückzuführen. IBM, so Aser, wolle im Gegenteil vor allem seinen Anteil am Software-Geschäft steigern.

Ähnlich wie einige ihrer Kollegen begrüßen auch der Projektleiter John R. Hart und CASE-Administrator John Rabalais von der Texaco Inc., Houston/Texas, das Konzept der Software-Entwicklung mit Hilfe eines Repositories. Damit habe IBM einen Schritt in die richtige Richtung getan. Das SSAA-Konzept könne erstmals für eine durchgängige "Konnektivität" vom Arbeitsplatzrechner über die Midrange-Ebene bis hin zum Großrechner sorgen, wie sie bei Digital Equipment längst gang und gäbe sei. Eine solche Öffnung nach innen bedeute jedoch gleichzeitig eine Abschirmung gegen alles, was außerhalb der IBM-Welt liegt.

Die IBM-Welt wird nach dem SAA-Konzept und dem Repository ausgerichtet, so vermutet Rabalais, während den offenen Systemen wie Unix die Nische der technischen Anwendungen überlassen wird. Laut Tom Aser ist dies auch die Sichtweise der IBM.

Die Reaktionen deutscher Unternehmen auf IBMs Entwicklungskonzept sind unterschiedlich. Ähnlich wie die Kollegen in den USA wertet Dieter Moldrings, Leiter Methoden und Verfahren bei der Deutschen Krankenversicherungs AG, Köln, die Ankündigung als einen lange erwarteten Schritt der IBM in die richtige Richtung.

Als Vertreter der Anwendervereinigung Guide für IBM-Großsysteme in Deutschland wurde Moldrings gemeinsam mit knapp 150 anderen wichtigen IBM-Kuden in Paris bereits vor der offiziellen Ankündigung über AD/ Cycle informiert. Sein Eindruck: "Wir sind sehr damit zufrieden denn die Ankündigungen der IBM haben den in unserem Unternehmen bereits eingeschlagenen Weg bestätigt." AD/Cycle bedeutet laut Moldring zudem einen Fortschritt für das SAA-Konzept, in dem die Software-Entwicklung bisher eine Lücke dargestellt habe.

In seinem Unternehmen gebe es bereits ein Repository und das von IBM angekündigte Konzept sei dort bereits weitgehend realisiert. Deshalb, so betont Moldrings, gehe es ihm bei seiner Zustimmung zu dem jetzt offengelegten IBM-Kurs mehr um die längst fällige strategische Entscheidung, als um die dazugehörige Software. Daran gäbe es durchaus einiges ausszusetzen.

So meldet er Kritik an der Ankündigung des früheren 4GL-Tools CSP als Cobol-Generator an. Dieses heftig kritisierte IBM-Produkt eigne sich auch in der künftigen Version kaum für die Integration in eine Entwicklungsumgebung über mehrere Projekte hinweg. Was das Repository selbst betrifft, so geht Moldrings davon aus, daß es ein funktionstüchtiges Produkt von der IBM nicht vor 1996 geben werde.

Dafür habe sich IBM nun jedoch zu ihrer ADPS-Entwicklungsumgebung bekannt, unter der beliebige Entwicklungskomponenten laufen könnten. Moldrings räumt allerdings ein, daß sich das ADPS eigentlich nur für Großanwender, wie es sein Unternehmen sei, eigne. Daher stört ihn auch nicht, daß sich die Repository-Ankündigung ausschließlich auf Mainframe-Systeme unter MVS bezieht.

Aus der Sicht von Consulting-Unternehmen erleichtert die IBM-Ankündigung die Kundenberatung. Während der langen Wartezeit auf das Repository, so Thomas Weimar, Geschäftsführer der Innova Consulting GmbH, Wiesbaden, haben viele Anwender ihre Produkt-Entscheidungen für den Bereich der Software-Entwicklung zurückgehalten. AD/Cycle biete nun endlich eine Grundlage für eine vernünftige Orientierung innerhalb der IBM-Welt.

Für Anbieter, die nun nicht mehr in das von IBM vorgegebene Konzept passen, werde es jedoch Weimar zufolge, Probleme geben. Moldrings nennt in diesem Zusammenhang Unternehmen, die ihre 4-GL-Pakete als Stand-alone-Produkte mit eigenen Repositories konzipiert haben.

"Der Markt wird enger" beurteilt daher Hagen Cyrus, Geschäftsführer der GFU Cyrus und Rölke mbH, Köln, die Situation im Markt für Software-Entwicklungsprodukte. Auch sieht er keine grundsätzliche Änderung der proprietären Haltung bei der IBM. Zwar würden die Schnittstellen des Repositories offengelegt, damit Drittanbieter für diesen noch neuen IBM-Markt entwickeln können. Doch, wenn erst die Unwägbarkeiten dieses Marktes ausgelotet seien, dann werde Big Blue eigene Produkte anbieten.

Als Beispiel nennt Cyrus das Datenbank-System DB2, an dem

IBM-Anwender kaum mehr vorbei kämen - zumal auch das Repository ganz darauf zugeschnitten wurde. Cyrus: "Wer braucht bei einem zentralen Repository noch eine zweite Datenbank neben DB2 ?"

Für die Anwender, so Unternehmensberater Weimar, bedeutet die Einführung des zentralen Repositories, daß ihre Datenadministration zu einer Datenlogistik ausgebaut werden muß. Für viele DV-Abteilungen, die sich nicht selten gegen Dezentralisierung sträuben, bedeute das eine tiefgreifende Umstellung. Doch bis es Produkte für AD/Cycle geben wird, bleibt den Anwendern ausreichend Zeit, sich auf die veränderte Situation einzustellen.