Erst einer von 200 "Dentalisten" arbeitet mit dem Computer:

Abrechnungsstellen blockieren die EDV-Abteilung

07.04.1978

Die Flut neuer Verordnungen hat viele Zahnärzte an den Rand des verwaltungstechnischen Chaos geführt. Doch noch immer weigern sich die meisten, das "Rettungsboot EDV" zu besteigen. Zumal einige Kollegen bei dem Versuch, auf Datenverarbeitung umzusteigen, Schiffbruch erlitten haben. Welche Probleme gegenwärtig noch die weitere Einführung der EDV bei den Zahnärzten hemmen, schildert der Hamburger Zahnarzt Dr. Kurt Walther:

Man findet heute selten zwei Zahnärzte, die über Teilgebiete ihrer Disziplinen einer Meinung sind. Die sprichwörtliche Individualität der Zahnärzte macht es auch aus diesem Grunde äußerst schwer, ein Arztdialogsystem mit Breitenwirkung zu entwickeln. Schon die reinen Verwaltungssysteme, die jetzt fast ausschließlich auf dem Markt sind, haben da ihre Schwierigkeiten.

Die gesetzlichen Krankenkassen nahmen in den letzten drei Jahren ???hlreiche neue Punkte in ihren Leistungskatalog auf, wobei stark verklausulierte Ausführungsbestimmungen festlegten, wann welche Leistung abgerechnet werden darf. Mit jeder neuen Regelung übertraf sich die Bürokratie wieder selbst. Es entstand so sehr schnell ein reglementierter Verordnungs-Irrgarten, der bald dazu führte, daß auf eine Behandlungsstunde bis zu 1,5 Verwaltungsstunden in der Zahnpraxis gemessen wurden. Nicht zu reden von den zunehmenden Regressen der Krankenkassen, wenn sich ein Zahnarzt in diesem Irrgarten verlaufen hatte.

"Rettungsboot" EDV

Die Einführung dieser neuen Verordnungen verlief in Wellen, wobei im Jahre 1975 die erste Flutwelle auf das allgemein weder organisatorisch noch verwaltungstechnisch geschulte Praxispersonal traf. Viele Praxen gingen damals mit wehender Flagge im Papier unter. Der Ruf nach dem Rettungsboot EDV war nicht zu überhören. Eine für die EDV-Branche verführerische, aber auch sehr gefährliche Situation.

1970 hatte Dr. Haberl in Erlangen schon einmal versucht, über einen OCR-Streifen mit einer Großanlage zusammenzuarbeiten. Viele Probleme wurden schon gelöst, da aber keinerlei Reaktion aus der Zahnärzteschaft kam, starb das Unternehmen.

Anfang 1975 "wagte" es Olivetti für die damals schon nicht ganz neue P 651 (4K) mit Magnetkarten, Kassetteneinheit und Magnetplatte, ein Zahnarztprogramm zu entwickeln. Den schnellen Verkaufserfolgen, die bald dreiziffrig wurden, folgte die Ernüchterung. Man mußte erkennen, wie groß die Individualität der Zahnärzte ist und entsprechende Freiheiten in das Programm einbauen, außerdem mußte bei der Verbreitung auf das ganze Bundesgebiet die Stammdatenstruktur mehrfach geändert werden.

Wörtlich genommen

Die Zahnärzte hatten den "Knopfdruck" wörtlich genommen und vermißten den schnellen Rationalisierungseffekt. Die Helferinnen kamen wegen der fehlenden Bedienerführung, der vielen individuellen Entscheidungen im Programm, wegen des "Handlings" und der laufenden Programmänderungen nur schlecht zurecht. Außerdem mußten die Einweiser erst einmal die Kenntnisse einer guten Helferin erwerben, um Gesprächspartner in den Praxen zu sein. Es begann das hier besonders mühselige Aneinanderlernen, in dessen Verlauf eine Reihe von Kunden das Handtuch warf und sich dabei zum Teil an dem Kleingedruckten der Großfirma stieß. Das sprach sich sehr schnell herum. Als das Olivetti-Programm dann nach zweieinhalb Jahren glücklich stand, war die Hardware hoffnungslos veraltet und der Markt tot.

Der Rückschlag traf auch die inzwischen mit Bildschirm und Bedienerführung ausgerüsteten Stapelsysteme von Nixdorf, Philips, TA, IBM, LogAbax sowie die mit modernen Dialogsystemen erschienenen Mitbewerber Wang, MAI, HP, CTM und CSD. Sie kamen über einstellige Installationszahlen nicht hinaus.

Bis jetzt arbeitet einer von 200 Zahnärzten mit EDV. Sie haben die Notzeit durchgestanden und das System in ihre Praxis integriert.

Zwei Punkte erschweren gegenwärtig die weitere Einführung der EDV bei den Zahnärzten:

Die Abrechnungsstellen (Kassenzahnärztliche Vereinigungen) werden von gewählten Zahnärzten geführt und durch Umlage finanziert, außerdem haben sie kraft Gesetz behördenähnliche Funktionen. Alles Gründe, weshalb sie nicht gerade progressiv eingestellt sind. Neuerungen haben nur dann Aussicht auf Einführung, wenn eine direkte Kostensenkung damit erreicht werden kann. Sollte für die KZVen ein Eingehen auf die Praxis-EDV attraktiv sein, eventuell durch Austausch kompatibler Datenträger, müßten sich mindestens 10 Prozent der Praxen anschließen.

Ähnliche Institutionen wie bei den Ärzten das Zentralinstitut oder Gesellschaften mit Forschungsaufträgen gibt es bei den Zahnärzten nicht. Das größte Handicap für den Computereinsatz ist aber der jetzt 14 Jahre alte Krankenschein. Abgesehen davon, daß hier noch Zahnbildern gemalt werden muß, hat fast jede Krankenkasse ihre eigenen, bei jeder Druckauflage wieder andere Abweichungen von dem ohnehin nicht maschinengerechten Druckbild der Vorlage. Das Benutzen von EDV-bedruckten Aufklebern wird nur von drei der 17 KZVen versuchsweise toleriert. Es ist zu hoffen, daß wenigstens hier in absehbarer Zeit eine Änderung zu erreichen ist.