Gründerpapst Günter Faltin

"2025 haben wir zehnmal mehr Entrepreneure"

20.05.2015
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Das althergebrachte Bild des autoritären Unternehmers hemmt der Deutschen Gründergeist. Das kritisiert jedenfalls Günter Faltin in seinem neuen Buch "Wir sind das Kapital". Der Volkswirt erwartet in zehn Jahren zehnmal mehr Gründer - und Gründerinnen - als heute.
  • Günter Faltin, ehemals Professor für Entrepreneurship an der Freien Universität (FU) Berlin, plädiert für ein neues Bild des Unternehmers in Deutschland.
  • Sein Credo: Ein Unternehmer muss nicht alles selbst machen, sondern sich die richtigen Partner suchen.

Sein neues Buch heißt "Wir sind das Kapital". Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship an der Freien Universität (FU) Berlin, will der Deutschen Gründergeist wecken. Ein Gespräch über sinnvolle Entwicklungen wie Crowdfunding, sinnlose IHK-Kurse und darüber, dass man nicht alles selbst machen muss.

Herr Prof. Faltin, was bedeutet Entrepreneurship?

Günter Faltin: Es geht um Innovation. Innovativ zu sein, bedeutet zwei Dinge: Probleme zu erkennen, zu analysieren und diese Probleme mit neuen Mitteln zu lösen. Dafür brauchen wir Menschen, die einen neuen Blick auf die Welt entwickeln.

Was zeichnet den Entrepreneur aus?

Günter Faltin: Neugier. Er geht mit offenen und wachen Augen durch die Welt. Er sieht etwas und denkt sich "Das kann man doch besser machen". Er ist handlungsorientiert. Und er gibt so schnell nicht auf. Durchhaltevermögen ist ein Merkmal, das in allen empirischen Studien über Entrepreneure auftaucht - sogar relevanter als Bildungsgrad oder Elternhaus.

In ihrem neuen Buch schreiben sie, Entrepreneure könnten die Probleme dieser Welt lösen….

Günter Faltin: Ja, ich sehe Entrepreneurship als Chance und als Potenzial. Wir sind in einem Wettlauf mit der Zeit, die Probleme unseres Planeten wie Klimawandel, Ressourcenverknappung oder Artensterben zu lösen. Wir brauchen Unternehmer neuen Typs, die diese Probleme mitdenken und um Lösungen ringen. Wir brauchen eine intelligentere Ökonomie. Die alte fliegt uns um die Ohren.

Woran liegt es, dass in Deutschland so wenig Menschen gründen?

Günter Faltin: An veralteten Vorstellungen davon, was es heißt, ein Unternehmen zu gründen. Man muss nicht männlich, Ellenbogen einsetzend und skrupellos sein. Ebenso falsch ist die Vorstellung, ein Gründer müsse ein Alleskönner sein, alle Bereiche eines Unternehmens kompetent führen können. Dieses Bild lässt viele Menschen denken: "Das schaffe ich nicht."

Sondern?

Günter Faltin:Entrepreneurship ist nicht Business Administration. Ein Entrepreneur braucht ein überzeugendes Konzept. Auf das soll er sich konzentrieren. Für alle anderen Bereiche sollte er auf Komponenten zugreifen und deren Kompetenz und Professionalität nutzen. Für die Buchhaltung gibt es Dienstleister, ebenso für die Logistik, für Rechts- oder Steuerprobleme. Hier brauchen wir ein Umdenken. Gerade kreative Menschen fühlen sich sonst überfordert und werden abgeschreckt.

Ich kenne eine Frau mit großem künstlerischen Talent, die Vasen anfertigt. Sie wollte gründen und wandte sich an die IHK. Dort hat man sie in einen Kurs über Rechnungswesen geschickt - mit der Folge, dass sie am Thema Bilanz-Analyse scheiterte. Warum sollte eine Künstlerin Bilanzen analysieren müssen? Der Ansatz ist falsch. Komponenten zu vermitteln, wäre eine sinnvollere Aufgabe für die IHK.

Ist Deutschland ein schwieriges Land für Gründer?

Günter Faltin: Wir kommen, historisch gesehen, aus einem Untertanenstaat. Die USA dagegen waren ein Staat der Pioniere.

Viel wird über die Startup-freundliche Fehlerkultur der USA gesprochen…

Günter Faltin: Ja, wir bräuchten auch hier eine Kultur des Scheiterns. Leider sind wir davon in Deutschland aber noch weit entfernt. Daher müssen wir uns vor allem darauf konzentrieren, wie sich Scheitern vermeiden lässt. Und hier kommen wieder die Komponenten ins Spiel. Weil man damit Professionalität einkaufen und Anfängerfehler vermeiden kann. Wer dann noch auf den Proof of concept fokussiert, also die Annahmen seines Konzepts sorgfältig in der Praxis überprüft, verringert die Gefahr des Scheiterns.

Wagen Sie eine Prognose für die deutsche Gründerszene?

Günter Faltin: 2025 werden wir zehnmal mehr Entrepreneure haben als heute, davon bin ich überzeugt. Darunter viel mehr Frauen. Denn die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten von Frauen sind in der neuen Generation der Entrepreneure von Vorteil. Entrepreneurship kann zum Volkssport werden. Portale wie Etsy oder Dawanda zeigen schon jetzt das Potenzial dafür.

Sie betrachten den "neuen Entrepreneur" nicht nur als Betriebswirt, sondern auch als soziale Persönlichkeit?

Günter Faltin: Das zeichnet sich ab. Der Vergleich von Anton Schlecker mit Götz Werner, dem Gründer von dm, ist da sehr erhellend. Beide hatten die gleichen Produkte zu ungefähr den gleichen Preisen. Dennoch entschieden sich die Kunden für Götz Werners dm. Man spürte den anderen Unternehmensgeist, die andere Werthaltung. Der Ellenbogen-Unternehmer vom Typus Schlecker ist nicht mehr gefragt.

Welche Stadt wird mehr Gründer sehen, München oder Berlin?

Günter Faltin: (lacht) Ich lebe in Berlin, bin aber in Bayern aufgewachsen und hatte in München Verwandtschaft. Nach den Zahlen von McKinsey kommen in Berlin derzeit sechs Gründer auf tausend Einwohner, in München nur 3,6 auf tausend. Das sind in beiden Städten viel zu wenige. Und das Rennen ist noch offen. Für Berlin sprechen momentan zwei Punkte: die niedrigen Lebenshaltungskosten und die attraktive Kreativ-Szene.

An Gründern sind natürlich auch Entscheider in den Unternehmen interessiert, die Kooperationspartner suchen. Was raten Sie Managern, die mit Startups zusammenarbeiten wollen?

Günter Faltin: Was Konzerne angeht, müssten sie erst eine Atmosphäre dafür schaffen, etwa, indem sie Co-Working-Spaces einrichten. Zwischen Mittelständlern und Startups funktionieren Partnerschaften unbürokratischer, unmittelbarer: Den Mittelständler interessiert, ob das Konzept des Gründers taugt. Er hat die Komponenten, die das Startup braucht, bereits zur Verfügung. Er wird den Gründer nicht mit Buchhaltung und Rechnungswesen behelligen.