2005: Anstoßen

06.12.2005
Das vergangene Jahr hat einige Firmen und Trends an die Oberfläche gespült - zu Recht.
Die Branchenkrise ist zuletzt arg unter Druck geraten, und selbst in der CW wird sie kaum noch berücksichtigt.
Die Branchenkrise ist zuletzt arg unter Druck geraten, und selbst in der CW wird sie kaum noch berücksichtigt.

Es ist eine dankbare Aufgabe, im Jahresrückblick über die Gewinner der vergangenen knapp zwölf Monate zu resümieren: Die Auswahlkriterien sind rein subjektiv, und man muss niemandem auf den Schlips treten.

Die Aufsteiger des Jahres 2005

Google

Die Sphinx aus Kalifornien hat 2005 gleich mehrmals überrascht: Bei 200 Dollar pro Aktie ist nicht automatisch Schluss, Online-Werbung boomt tatsächlich, neue (kostenlose) Produkte können interessant sein, und die Unternehmenskultur färbt zuweilen positiv auf die Innovationskraft der Mitarbeiter ab. Inzwischen hat das Silicon Valley "Angst" vor Google.

Apple

Noch ein kometenhafter Aufsteiger, allerdings mit Nahtod-Erfahrung. Nach der erfolgreichen Diversifizierung ins Musik-Business haben sich die treuen Kunden wieder daran erinnert, dass Apple auch Rechner herstellt. Deren Marktanteil nimmt zu. Die Firma ist ein Wunder, selbst für überzeugte Wintel-Nutzer. Kleine Kratzer machen das Unternehmen menschlicher.

DSL

Wie konnte man vor fünf Jahren ohne Breitbandverbindung ins Internet überhaupt existieren? Seit die Deutsche Telekom ihr Netz dem Wettbewerb öffnen musste, ist Bewegung in die hierzulande lahme Branche gekommen. Inzwischen wird überlegt, ob DSL zur Grundversorgung der Bevölkerung gerechnet werden muss: kein Internet, kein Mensch.

Multicore

2005 kamen CPUs von AMD und Intel mit zwei Kernen auf den Markt. Erneut war AMD schneller als der große Wettbewerber. Was die rasanten Doppelpacks auf Desktop-PCs zu suchen haben, ist ein Rätsel. Allerdings stellt sich die Frage nach dem sinnvollen Verhältnis von Angebot und Nachfrage bei der CPU-Performance schon seit Jahren.

Web 2.0

In zwölf Zeilen über Web 2.0 zu schreiben ist aussichtslos. Dennoch: Das bisherige Konzept des "Web-Nutzers" entwickelt sich zum Ansatz des "Web-Gestalters" - aus Passivität wird Aktivität, falls genug Zeit und Interesse vorhanden sind. Ein Einstieg in die interessante Thematik findet sich unter http://de.wikipedia.org/ wiki/Web_2.0.

Zu den Fakten. Die Ausgabe 37 der computerwoche brachte die heißesten Nachrichten des Jahres in gebündelter Form: Oracle kauft Siebel für 5,85 Milliarden Dollar, und Ebay übernimmt Skype für bis zu vier Milliarden Dollar. Die VoIP-Firma plant im laufenden Jahr immerhin einen Umsatz von 60 Millionen Euro. Demgegenüber hatte Siebel im jüngsten Quartal Einnahmen von 348 Millionen Dollar erzielt. Das Verhältnis der Kaufsummen zeigt, wo die Reise hingeht: Wer den Hype-Cycle schon verlassen hatte, war 2005 billig zu haben; für Unternehmen, die ganz oben auf der Welle ritten, konnte gar nicht genug bezahlt werden.

In der selben spätsommerlichen Ausgabe entdeckten Microsoft und IBM den Mittelstand, aber das natürlich nicht zum ersten Mal (IT-Anbieter, die 2005 nicht explizit den Mittelstand entdeckten, interessierten sich im Verlauf des Jahres auffällig stark für einzelne Branchen). Auch hatte die CW 37 die schönste Überschrift des Jahres: "Chefs und Selbständige sind besonders zufrieden - Macht macht glücklich". Ausnahmen bestätigen die Regel, sowohl bei Chefs als auch unter Selbständigen.

Glücklich war zumindest Ex-Innenminister Otto Schily, was den Abschluss der Initiative "Bund Online 2005" betraf. Die nicht ganz überraschende Bilanz wurde drei Wochen vor der Bundestagswahl gezogen. Schily hat zudem in seiner Amtszeit mit Nachdruck und nicht ohne Erfolg versucht, den Datenschutz in das Konzept vom "Schutz durch Daten" zu überführen. Bleibt die Frage, ob es seinem Nachfolger Wolfgang Schäuble gelingen wird, die kommende PKW-Mauterfassung direkt mit den Rechnern im Bundeskriminalamt zu koppeln (Web-Services?). Ein positiv besetztes Referenzprojekt wäre dies für den beauftragten Dienstleister allerdings nicht. Jedoch könnte Schäuble damit wie sein Vorgänger (und Nachfolger) Schily einen Preis gewinnen: den Big-Brother-Award.

Im Grunde genommen hat 2005 nahtlos an das Konsolidierungsjahr 2004 angeknüpft, nur mit einem gravierenden Unterschied: Die Fesseln der lang anhaltenden Krise wurden abgestreift, und es machte sich das Gefühl breit, dass es allmählich wieder aufwärts geht. Der Begriff "Krise" hat, so scheint es, seinen Zenit endgültig überschritten (siehe Grafik). Zumindest verspürte in den vergangenen Monaten kaum noch ein IT-Gesprächspartner Lust, sich wie in den Vorjahren genüsslich über das eigene Elend auszulassen. Rückblickend betrachtet war 2003 der emotionale Tiefpunkt der Branche, 2004 fiel uninspirierend aus, und 2005 zeigte zumindest aus der Vogelperspektive eine gewisse Belebung.

Die Verunsicherung nach dem Absturz zu Beginn des Jahrtausends ist einem zumindest unterschwellig optimistischen Pragmatismus gewichen - die Situation lässt sich sowieso nicht ändern, also machen wir das Beste daraus: "Wer poppen will, muss fröhlich sein", sagte einst ein Mitglied des Bitkom-Präsidiums im persönlichen Gespräch. Kein schlechtes Motto für eine Branche, wenn auch noch nicht allzu weit verbreitet.

Mediengewinner war zweifellos Voice over IP, kurz VoIP, und zwar bereits das zweite Jahr in Folge. Inzwischen kann jedermann über das Internet telefonieren, auch normale Menschen und Finanzbeamte (CW 20/05). Was des Festnetzbetreibers Leid ist, freut wiederum die Netzausrüster: Um mittels VoIP zu telefonieren, müssen gegebenenfalls hohe Summen in die firmeneigenen LANs und Weitverkehrsnetze investiert werden. Ob sich die Internet-Telefonie auch dann noch rechnet, wird sich in den kommenden Jahren klären.

Gewonnen haben auch die Nutzer von Mobiltelefonen, denn Mitte des Jahres kam plötzlich Bewegung in die Preisgefüge. Es tauchten Angebote für Vieltelefonierer, für Wenigtelefonierer, Mobilbox-Abfrager, MMS-Fans, Mobil-Fotografen, Aldi-Kunden und Dauer-Simser auf. Leider ging angesichts der zahllosen Tarifoptionen mit Abschlägen und Zuzahlungen der Blick fürs große Ganze verloren. Was blieb, war der Eindruck, trotz der vermeintlich täglich sinkenden Kosten immer noch zu viel zu berappen. Wer keinen jugendlichen Berater in der Verwandtschaft hat, zahlt stets drauf. Das Phänomen ist hinlänglich vom PC-Markt bekannt.

Große Überraschung: PCs verkaufen sich immer noch gut

Dabei war der persönliche Computer einer der Sieger des Jahres 2005 im Produktumfeld. Trotz unzähliger von Analysten und Journalisten gelesener Totenmessen konnte das Segment nach Stückzahlen stärker als erwartet zulegen, auch wenn die Gewinnspannen stark unter Druck geblieben sind. Die Kraft der zwei Kerne soll das Neugeschäft ankurbeln, wobei hier wiederum AMD - auch ein Sieger des Jahres - die Nase vorn hatte.

Gewinner unter den klassischen IT-Lieferanten war aber eindeutig EMC: Der Speicherkonzern hat die Zukäufe der Vorjahre (Documentum, VMWare, Legato) relativ geräuschlos verdaut, sich keinen umfassenden Strategiewechsel verordnet, keine Massenentlassungen angekündigt und sich überdies nicht mit der Wallstreet, der US-Börsenaufsicht und der Blogosphäre überworfen. Aus journalistischer Perspektive war EMC damit eindeutig der Verlierer des Jahres.