1991 war ein Wachstumsjahr - doch zum Jahreswechsel Sorgen

10.01.1992

Günther E. W. Möller, Geschäftsführer der BIT Fachgemeinschaft Büro- und Informationstechnik und Generalsekretär des europäischen Branchenverbandes Eurobit

Die büro-, informations- und komunikations-technische Industrie in Deutschland kann anders als in den meisten anderen westlichen Industrieländern auf ein Wachstumsjahr zurückblicken.

Die vorliegenden Branchenzahlen lassen vermuten, daß 1991 der Gesamtmarkt für büro-, informations- und kommunikationstechnische Hardware, Software und Services von 57 Milliarden Mark auf 65 Milliarden Mark gewachsen sein wird. Das ist mehr, als zu Jahresbeginn erwartet werden durfte. Angesichts des Golfkrieges, der damit verbundenen Gefahren für die Weltwirtschaft sowie der Rezession in den USA und wichtigen Märkten in Westeuropa mußte mit einem Rückschlag für die deutsche Wirtschaft gerechnet werden. Daß er ausblieb, lag wesentlich an der durch die Vereinigung Deutschlands ausgelösten Sonderkonjunktur. Von dem großen Nachholbedarf in den neuen Bundesländern profitierte auch unsere Branche. Der Ausbau einer leistungsfähigen Telekommunikationsinfrastruktur und der Aufbau moderner Büro- und Verwaltungssysteme in den neuen Bundesländern ließ die innerdeutschen Lieferungen in die neuen Bundesländer im ersten Halbjahr 1991 um über 700 Prozent auf 1,1 Milliarden Mark anwachsen. Die Hersteller von Büro-, Informations- und Kommunikationstechnik in den alten Bundesländern konnten ihre Produktion in den ersten sechs Monaten um 15,8 Prozent auf 18,6 Milliarden Mark steigern.

Dies ist die gegenwärtige Branchensituation. Sie kann und darf uns allerdings nicht dazu verleiten, über die drängenden Probleme hinwegzusehen. Zum einen ist das allgemeine Bild der Branche beträchtlich positiver als die Lage einzelner Unternehmen. Aufgrund des harten Preiswettbewerbs vor allem im Hardwarebereich klafft die Schere zwischen Umsätzen und Erträgen vielfach weit auseinander. Zum anderen kann die Branchenentwicklung in Deutschland längst schon nicht mehr isoliert von der Entwicklung in Europa gesehen werden. Und um die Lage der europäischen Unternehmen der Büro-, Informations- und Kommunikationstechnik ist es nicht zum besten bestellt.

"Tiefrote Zahlen, schrumpfende Umsätze, Abbau von Personal, Ausverkauf an japanische und amerikanische Firmen - dies ist die Lage der europäischen Computer- und Halbleiterindustrie der 90er Jahre", so die Bestandsaufnahme von Konrad Seitz auf der diesjährigen Mitgliederversammlung der Fachgemeinschaft. Der Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt warnte denn auch angesichts des nach wie vor überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstums in Deutschland vor trügerischer Selbstzufriedenheit: "Die westdeutsche Wirtschaft wuchs 1990 mit der Rekordrate von 4,5 Prozent. Die Haltung jedenfalls in den alten Bundesländern ist: Uns geht es doch gut! Und so nehmen wir nicht wahr, daß mitten im Boom die deutschen und europäischen Halbleiter- und Computerhersteller dramatische Verluste machen. Ausgerechnet diejenigen Industrien, die die prägenden Industrien des heraufkommenden Informationszeitalters sind und die die zentralen Wachstumsindustrien sein sollten, schrumpfen bei uns. Deutschland und Europa kommen bei der dritten technologischen Revolution nicht mit!"

Was ist zu tun, damit Deutschland und Europa die "japanisch-amerikanische Herausforderung in der Informationstechnik" bestehen können? Seitz hat hier in Anlehnung an die japanische Praxis einen intensiven und permanenten Dialog sowie ein engeres Zusammenwirken zwischen Staat und Unternehmen über die Zukunft gefordert. Zugleich ist die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und sind spezifisch deutsche Wettbewerbshindernisse zu beseitigen. Wir haben weltweit die höchsten Arbeitskosten bei der drittniedrigsten Arbeitszeit; wir sind Weltmeister bei den Lohnnebenkosten mit 85 Prozent; und die bundesdeutschen Unternehmen haben im internationalen Vergleich die höchste Belastung an ertragsabhängigen und unabhängigen Steuern zu tragen. Wir brauchen keine staatliche Strukturpolitik, aber wir brauchen verbesserte Rahmenbedingungen unter anderem bei Steuern, Forschungsförderung und nicht zuletzt Arbeitskosten.

Die Verwirklichung des einheitlichen europäischen Binnenmarktes Ende 1992 muß als Chance wahrgenommen werden, ein günstigeres geschäftliches Umfeld für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der büro-, informations- und kommunikationstechnischen Industrie zu schaffen. Die EG-Industrieminister haben die Herausforderung erkannt und in der Ratsentschließung vom November 1991 sich darauf verpflichtet, angesichts der herausragenden Bedeutung der Elektronik-, Informations- und Kommunikationstechnik für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der EG die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für unsere Branche zu verbessern.

Hierzu gehören Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens, die Beschleunigung des europäischen Normungs- und Zertifizierungsprozesses, die Erleichterung der Zusammenarbeit und Verbesserung der Wettbewerbsposition der Zulieferer ebenso wie die Schaffung europaweiter Netze und automatisierter Telekommunikations-Verbindungen sowie der Ausbau der FuE-Tätigkeiten der Gemeinschaft. Angesichts der herausgehobenen Bedeutung des europäischen Marktes für die informationstechnische Industrie - 72 Prozent aller Exporte und 53 Prozent aller Importe von büro- und informationstechnischer Hardware verliefen 1990 innerhalb der Europäischen Gemeinschaft - ist dies sicher ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung, den es nun konkret auszugestalten gilt.

Ende 1992 steht die Vollendung des einheitlichen europäischen Binnenmarktes. Soll dieses Datum eine gestärkte Wettbewerbsposition der deutschen und europäischen büro-, informations- und kommunikationstechnischen Industrie in der Triade mit den USA und Japan markieren, sind auch verstärkte gemeinsame Anstrengungen der Unternehmen, nationalen Verbände sowie des europäischen Branchenverbandes der büro- und informationstechnischen Industrie, Eurobit, nötig.