PC-Software in der DDR: Noch fehlt das Urheberrecht

Westdeutsche Software-Anbieter setzen auf Amnestie und ein ordentliches Vertriebskonzept

29.06.1990

Die DDR war bisher ein Paradies für Raubkopierer. Fehlende Urheberrechtsbestimmungen förderten das Kopieren westlicher Programmpakete. Mit der nahenden Vereinigung der beiden deutschen Staaten wächst unter DDR-Anwendern die Besorgnis, daß sie jetzt nachträglich zur Kasse gebeten werden. Mit unterschiedlichen Strategien versuchen westdeutsche Anbieter, den DDR-Markt in den Griff zu bekommen ohne die Anwender zu verunsichern.

Mit einer Aktion, die einerseits als Publicity-Effekthascherei aufgefaßt wurde, andererseits als ernsthafter Versuch, die Situation zu klären, machte die Borland GmbH, München, den Anfang: Man bot allen DDR-Bürgern, die bisher mit illegal kopierter Borland-Software gearbeitet haben, die Chance, sich bis zum 30. Juni 1990 kostenlos registrieren zu lassen. Außerdem bot das Unternehmen Entwicklern und Anwendern in der DDR die Möglichkeit, günstige Updates für ihre meist älteren Softwareversionen zu erwerben. Das Echo auf diese Aktion, so die zuständige Marketing-Managerin Marion Kappelmaier, war überwältigend. Bis Ende Juni erhielt die deutsche Borland-Zentrale in München mehrere tausend Anträge auf nachträgliche Lizenzierung der verschiedensten Softwarepakete.

Als Gründe für die Borland-Amnestieaktion nennt Marion Kappelmaier einmal die Vorbereitung von Aktivitäten im DDR-Markt, da bereits bekannt war, daß es dort zahlreiche Anwender von Borland-Programmen gab. In erster Linie würden dort Pakete mit Programmiersprachen wie Turbo-Pascal eingesetzt: "Wir haben uns einen Weg überlegt, wie wir diese Anwender ansprechen können, um sie in Zukunft als zahlende Kunden zu gewinnen", erläutert Frau Kappelmaier. Nach Schätzungen von Kennern des DDR-Marktes sollen immerhin 30 000 illegale Kopien von Turbo-Pascal in der DDR im Einsatz sein. Durch die nachträgliche Lizenzierung sei es Borland gelungen, viele dieser Anwender zu erreichen. Das Echo sei "einfach irrsinnig" gewesen. Einige hätten Angst gehabt, daß sie doch noch belangt werden könnten, und sogar vorher bei Borland angerufen, um sich zu vergewissern, ob das Amnestieangebot ernst sei.

"Welche Auswirkungen das auf unsere zukünftigen Aktivitäten haben wird" erklärt die Borland-Sprecherin "kann ich jetzt noch nicht sagen. Die Adressen sind in unserer Kundendatei. Wir werden diesen Anwendern jetzt regelmäßig Informationen und unsere Kundenzeitschriften schicken. Wir warten einmal ab, wie viele im kommenden Herbst auf die neue Version von Turbo-Pascal updaten werden."

Marion Kappelmaier hebt hervor daß das Angebot für sämtliche Borland-Software galt und nicht nur für die Programmiersprachen, bei denen der Löwenanteil der DDR-"Raubkopien" lag. Genaue Zahlen, auf welche Programme sich, die nachträglich erteilten Lizenzen verteilen, liegen noch nicht vor. Immerhin hätten einige ganz eifrige DDR-Anwender versucht, sich von Borland auch die Programmkopien anderer Hersteller lizenzieren zu lassen: "In manchen Briefen standen Programmnamen, von denen hier noch niemand etwas gehört hatte." In Zukunft wird Borland den DDR-Markt über drei Vertriebspartner, die über das ganze Land verteilt sind, bearbeiten.

Gute Publicity hat das Unternehmen mit dieser Aktion auf jeden Fall erreicht. Das Amnestieangebot wurde über alle DDR-Medien verkündet, Borland-Geschäftsführer Fritz Heimsoeth durfte den ostdeutschen "Raubkopierern" sogar im Ost-Fernsehen versichern, daß sie durch die Lizenzierung mit keinerlei negativen Folgen rechnen müßten.

Dieser Aufruf erzeugte in der DDR Unsicherheit, als sich plötzlich fast alle Anwender, die bis dato mit kopierter West-Software arbeiteten, schuldig fühlten, irgendetwas illegales getan zu haben, nämlich Raubkopien angefertigt zu haben. Nur: Das

in der Bundesrepublik Illegale Kopieren urheberrechtlich geschützter Software war und ist in der DDR - wie fast im gesamten sogenannten Ostblock - strafrechtlich Oberhaupt nicht relevant. Es gibt dort bis jetzt, auch nach der im Juli einsetzenden Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, keinen Urheberrechtsschutz für Software.

Eine endgültige rechtliche Klärung ist nach Angaben von, Juristen erst zu erwarten, wenn die DDR das Rechtssystem der Bundesrepublik übernommen hat. Und selbst dann müssen die betroffenen DDR-Anwender keine Strafverfolgung fürchten, da sie bis zu diesem Zeitpunkt ja auf dem Boden der Legalität geblieben sind. Erst wenn die Rechtslage klar ist, müssen sie für die Lizenzierung ihrer Software sorgen. Besonders auf Unternehmen, die mehrere Softwarepakete im Einsatz haben, werden dann größere Kosten

zukommen.

Aus diesem Grund halten die übrigen PC-Software-Anbieter die Borland-Aktion weniger für eine Amnestie als für den Versuch, auf elegante Weise Licht ins Dunkel des sich öffnenden Marktes zu bringen. Schließlich habe Borland durch seinen Amnestieaufruf jetzt immerhin eine Kartei potentieller Kunden für die Zukunft.

Die Microsoft GmbH, als Anbieter des Betriebssystems MS-DOS einer der wichtigsten Lieferanten von PC-Software, plant keine Amnestieaktion. Microsoft-Sprecher Michael Kausch macht hier zum einen auf die Rechtslage aufmerksam, zum anderen will das

Unternehmen den DDR-Markt durch ein gut funktionierendes Vertriebs und Support-Netz in den Griff bekommen.

Des weiteren gelte es, das Bewußtsein zu schulen, welche negativen Auswirkungen Raubkopien haben. "Wenn das alles läuft", so Kausch, "erledigen sich die Probleme mit Raubkopien von ganz alleine. Dann wird jeder ernsthafte und professionelle Anwender mit registrierter Software arbeiten, um die Zusatzleistungen der Hersteller in Anspruch nehmen zu können."

Was das PC-Betriebssystem betrifft, da habe Microsoft ohnehin seit einigen Jahren Lizenzverträge mit mehreren osteuropäischen PC-Herstellern. Man sei jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt auf die neuen Märkte vorbereitet, werde dort ein Vertriebsnetz aufbauen und den Anwendern klar machen, was es bedeutet mit - nach westdeutscher Rechtsauffassung - legaler Software zu arbeiten. Microsoft plane nach Angaben von Kausch auch nicht, Software nachträglich zu lizenzieren. Statt dessen werde man den Anwendern die neuesten Versionen zum Kauf anbieten.

Eine ähnliche Strategie vertritt die Eschborner Wordperfect GmbH. Geschäftsführer Dirk Sebald will hier nach dem Grundsatz "Gleiches Recht für alle" verfahren. Man habe zwar überlegt, ob man spezielle DDR-Aktionen durchfahren solle, doch widerspreche dies letztlich der Philosophie des Unternehmens. Wenn schon eine "Amnestie" für Raubkopierer, dann müßte man diese weltweit durchführen. Beschränkt auf die DDR würde dies nur zu Unmut bei den ehrlichen Anwendern und Raubkopierern im Westen führen. Sebald: "Wenn Sie heute in der Bundesrepublik eine Programmversion für 1500 Mark kaufen und Sie dann in der Zeitung lesen, daß DDR-Raubkopierer nur 290 Mark zahlen müssen, dann wären Sie zu Recht verärgert".

Darüber hinaus glaubt Dirk Sebald, daß der größte Teil der Wordperfect-Raubkopierer aus dem Schul- und Universitätsbereich kommt. Für diese Anwendergruppen bietet Wordperfect auch in der Bundesrepublik Sonderpreise: "Ich schätze, daß wir auch in

der DDR die Schulversionen gut verkaufen werden. Bedenkt man die hohen Kosten für Fotokopien und Disketten in der DDR, dann müßte unsere Schulversion dort inklusive Handbuch billiger sein als eine Raubkopie, da man sich Mühen und Kosten beim Kopieren des Handbuches spart." Die Anbieter, die auf Sonderaktionen und "Amnestien" in der DDR setzen, haben nach Sebalds Auffassung nicht den erhofften Erfolg. Es sei außerdem nicht so, daß dort die ambitionierten Anwender über kein Geld verfügten: "Es ist erstaunlich, wieviel West-Geld die DDR-Anwender bereits vor der Währungsunion bereit waren, für professionelle Software auszugeben."

Deshalb bewertet auch Word-Perfect den Aufbau eines Vertriebsnetzes als den wichtigeren Schritt in den DDR-Markt. Man setzt hier auf kostenfreie Händlerschulungen, Ausstattung der Händler mit "legalen" Paketen und auf Aufklärung der Anwender, daß Raubkopien etwas Illegales sind. Es zeichne sich auch jetzt bereits ab, welche Händler sich in der DDR durchsetzen werden. Mit denen wolle man dann verstärkt zusammenarbeiten. Der DDR-Markt, so Sebald, sei ein "Marathonlauf, bei dem kurzfristige Sprints - im Klartext: Sonderaktionen - niemandem helfen werden. Auf uns und alle anderen Softwarehäuser wird eine Menge Arbeit

zukommen."