100Base-T versus VG Anylan Schnelles Ethernet trennt und eint die konkurrierenden Lager

16.12.1994

MUENCHEN (jha) - Im LAN-Markt zeichnet sich ein Showdown zwischen 100Base-T und VG Anylan ab. Das Duell der 100-Mbit/s-Verfahren wird vermutlich die LAN-Szenerie des kommenden Jahres beherrschen. Erste Produkte sind bereits verfuegbar, das Gros der Hersteller will 1995 folgen. Die beiden schnellen Ethernets sind zueinander inkompatibel, nur ein Ziel eint die konkurrierenden Lager: Zwischen ATM, FDDI und Switching-Technologien einen Markt fuer ihre Topologien zu schaffen.

Fuenf Vertreter aus zwei Lagern hatte der Distributor Computer 2000 zu einer Diskussion ueber das Thema 100-Mbit/s-Ethernet nach Muenchen eingeladen. Die 100Base-T-Allianz, die sich an der 10- Mbit/s-Spezifikation orientiert, wurde vertreten von 3Com, Intel und Synoptics, das seit der Fusion mit Wellfleet unter dem Namen Bay Networks firmiert.

Als Repraesentant des VG-Anylan-Konsortiums sass Brice Clark, Strategic Planning Manager bei Hewlett-Packard, am Tisch. Clark trat fuer ein Konzept ein, das mit den herkoemmlichen Ethernet- Vorschriften bricht, dafuer aber auch Token-Ring-Merkmale integriert. Doch HP steht mit seinem Engagement derzeit allein auf weiter Flur. Die maechtigsten Mitstreiter, AT&T und IBM, zeigen wenig Aktivitaeten hinsichtlich

VG Anylan, Big Blue entwickelt derzeit verstaerkt Loesungen fuer 25- Mbit/s-ATM.

Zwischen den konkurrierenden Lagern hat sich Cisco plaziert. Der Router-Marktfuehrer bezieht keine eindeutige Position, sondern unterstuetzt beide Topologien, um "Kunden die Loesung anzubieten, die sie sich wuenschen", so Mike McKeown, Product Marketing Manager Europe bei Cisco. Das Unternehmen setzt jedoch nicht nur auf 100- Mbit/s-Ethernet. Derzeit, so McKeown, sind Switching-Verfahren fuer Cisco noch wichtiger.

Ebenso wie Cisco haben oder planen beispielsweise auch 3Com und Synoptics Switching- und ATM-Loesungen, so dass sie vor dem Problem stehen, die einzelnen Verfahren gegenueber der schnellen LAN- Methode abzugrenzen. Aus dem Bereich der leistungsstarken Weitverkehrsnetze draengen ATM und FDDI auf den von den 100-Mbit/s- Ethernet-Anbietern beanspruchten Markt der lokalen Vernetzung und machen beiden konkurrierenden Lagern zu schaffen. Aus dem unteren Marktsegment drohen Switching-Ethernet-Verfahren in den Markt fuer die lokale Hochgeschwindigkeits-Vernetzung einzubrechen. Beide High-speed-Topologien werden demnach von Techniken in die Zange genommen, die durchaus das Ruestzeug haben, in Sachen Leistung dem schnellen Ethernet das Leben schwerzumachen.

Um die Positionierungsfrage zu klaeren, haben sich die Hersteller in trauter Einhelligkeit eine entsprechende Argumentation fuer 100- Mbit/s-Ethernet-Loesungen in lokalen Umgebungen zurechtgelegt.

"ATM bis zum Arbeitsplatz ist unrealistisch", argumentierte HP- Manager Clark und versuchte so, das paketorientierte WAN- Hochgeschwindigkeitsnetz aus dem LAN-Umfeld zu isolieren. ATM werde niemals das Preisniveau von 100-Mbit/s-Ethernet erreichen koennen, die Technik sei viel zu kompliziert. Bis Ende des Jahres werden Adapterkarten fuer 100-Mbit/s-Ethernet schon auf das Preisniveau von 10-Mbit/s-Loesungen gefallen sein, lautete die ergaenzende Prognose von Albrecht Pausch, Sales Manager Central Europe bei Intel.

HP geht mit leichtem Vorsprung ins naechste Jahr

FDDI, ein weiteres Konkurrenzverfahren fuer 100-Mbit/s-Ethernet- Installationen, ist schon seit geraumer Zeit am Markt, hat bis dato jedoch den Weg zum Desktop nicht gefunden. Als Backbone greifen Anwender haeufig auf diese Topologie zurueck, bis zum PC, so der Tenor in der Runde, werde sie aber auch kuenftig nicht vordringen. Beide Techniken, ATM und FDDI, werden als Ergaenzung, nicht jedoch als Ersatz von 100-Mbit/s-Ethernet existieren.

Auch Ethernet-Switching kann keine Alternative zum 100-Mbit/s-LAN sein, meinten die Diskutanten. Der Flaschenhals der 10-Mbit/s- Datenuebertragung vom und zum PC bleibe mit dieser Technik bestehen, so dass Switching keine echte Hochgeschwindigkeitsuebertragung ermoegliche. Dieser Argumentation der Anbieter zufolge bleiben dem Markt fuer lokale High-speed-Netze also nur die zwei zueinander inkompatiblen Loesungen 100Base-T und VG Anylan.

Die Mitglieder beider Allianzen haben zur Jagd nach Marktanteilen geblasen. HP ruehrt bereits die Werbetrommel fuer PC-Adapterkarten sowie einen Multiport-Konzentrator gemaess der VG-Anylan- Spezifikation, hat sich also einen kleinen Zeitvorteil erarbeitet. Allerdings schlaeft die Konkurrenz nicht. Angesprochen auf den Implementationsvorsprung von HP, konterte Wolfgang Ober, Sales Manager Central Europe bei 3Com: "Die Markteinfuehrung von Produkten ist vergleichbar mit Sex: Nicht die schnellste Variante ist die beste."

Anfang des naechsten Jahres zieht 3Com mit den ersten 100Base-T- Loesungen nach. Die Produkte basieren auf dem vom 10-Mbit/s- Ethernet bekannten Zugriffsverfahren CSMA/CD. Mit dem Festhalten an dem traditionellen Protokoll hat sich das 100Base-T-Lager eine schwere Buerde auferlegt, da die Kollisionspruefung Bandbreite zu Lasten des Transports von Daten erfordert. Allerdings, argumentieren die Hersteller, sei damit die Abwaertskompatibilitaet gewaehrleistet, waehrend das Verfahren von HP, IBM und AT&T "wohl mehr Token Ring als Ethernet implementiert", so Ober.

"VG Anylan ist exakt Ethernet", widersprach daraufhin Clark,

"Sie koennen die gleiche Software verwenden und haben identische Kaskadierungsregeln wie bei der 10-Mbit/s-Loesung." VG Anylan vereint laut HP beide Topologien, so dass die Migration sowohl von Ethernet als auch von Token Ring auf Basis der bestehenden Verkabelung moeglich ist.

Das Verfahren, fuegte Clark hinzu, biete VG Anylan Einsatzmoeglichkeiten in Installationen mit Twisted-Pair-Leitungen der Kategorien 3, 4 oder 5. Das 100Base-T-Konsortium koenne dagegen derzeit noch kein Loesung fuer Infrastrukturen der Klasse 3 praesentieren und werde vor Ende 1995 nicht dazu in der Lage sein, so der HP-Manager. Dass in Europa ueberwiegend Koax-Leitungen verlegt sind, ignorieren beide Lager und schmaelert auch kaum deren Optimismus. Der Trend gehe zu Twisted-Pair-Installationen, sowohl bei Neu- als auch bei Ersatzverkabelungen, glauben die Vertreter der konkurrierenden 100-Mbit/s-Gemeinden.

Einigkeit demonstrierten beide Lager auch hinsichtlich der anvisierten Applikationen. Die Chancen fuer 100-Mbit/s-LANs liegen in speziellen Anwendungsfeldern wie interaktiven Schulungen oder in der Medizin. Vor allem im professionellen Umgang mit der Bildverarbeitung sehen die Propagandisten von 100Base-T und VG Anylan einen Zielmarkt. CAD/CAM- und Publishing-Applikationen benoetigen fuer das Versenden von Grafikdateien hohe Bandbreiten, um die Wartezeiten zu verkuerzen, "denn Anwender wollen nicht warten", gab HP-Manager Clark zu bedenken.

Applikations-Sharing duerfte eine weitere Motivation fuer eine Migration auf 100-Mbit/s-Ethernet sein. "Anwender koennen durch die zentrale Speicherung von Programmen Lizenzierungskosten sparen", begeistert sich Intel-Vertreter Pausch. Intels Engagement in Sachen Fast Ethernet laesst sich auf eine einfache Formel reduzieren: Jede Technik, die den Rechner aufwertet, forciert den PC-Absatz.

"Welche Marktanteile werden die einzelnen LAN-Verfahren Ende 1995 aufweisen?" wurden die an der Diskussion beteiligten Hersteller gefragt. Die spontanen Prognosen spiegeln den Optimismus der Anbieter wider. Als Basis diente das geschaetzte aktuelle Verhaeltnis von 80 zu 20 zwischen 10-Mbit/s-Ethernet und Token Ring.