Infratest Wirtschaftsforschung erstellt Fertigungsscenario 1985:

Zweite Roboter-Generation fühlt binär

28.08.1981

MÜNCHEN - Die Bundesrepublik, Großbritannien und, nicht zuletzt, die USA und Japan stellen gewaltige Beträge für die Entwicklung der zweiten Roboter-Generation zur Verfügung. Nach einer Untersuchung des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes (IMB), Genf, sagen "mehrere glaubwürdige Prognosen eine jährliche Wachstumsrate beim Einsatz von Robotern von 15 bis 30 Prozent voraus". Der Einsatz werde überwiegend in der Metallindustrie erfolgen.

Die heute eingesetzten Roboter sind relativ simpel. Eingestellt auf eine kleine Menge von Variablen, erledigen sie wohldefinierte Aufgaben. Die Bedingungen, die die Roboter an die Arbeitsvorbereitung stellen, fallen entsprechend hoch aus. Die Werkstücke müssen beispielsweise einheitlich geformt sein, immer in der gleichen Position und Reihenfolge an der Maschine ankommen. An den angelieferten Teilen ist jedesmal die gleiche Operation auszuführen. In der jetzt vorbereiteten Roboter-Generation werden die Anforderungen an die Arbeitsvorbereitung zurückgehen. Die Roboter der zweiten Generation können binär sehen, hören, "fühlen", "denken" oder sich unabhängig bewegen. An der Komposition dieser Zukunftsmusik wird in Europa, in den USA und in Japan auf Hochtouren gearbeitet. Großbritannien beispielsweise stattete den Science and Engineering Research Council (SERC) mit rund vier Millionen Pfund Sterling aus, die innerhalb von fünf Jahren für die angewandte Roboter-Forschung und -entwicklung ausgegeben werden sollen. An dem Projekt beteiligen sich zehn britische Universitäten, das Cranfield Institute of Technology, Unternehmen, die bereits Roboter der ersten Generation einsetzen oder an intelligenten Maschinen der Folgegeneration interessiert sind und die Production Engineering Research Association.

Wie in Großbritannien das SERC, so beschäftigt sich in der Bundesrepublik das Fraunhofer-lnstitut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart mit der zweiten Robotergeneration.

Dem Bundesforschungsbericht nach zählen die neuen Fertigungstechniken, darunter mit Sensoren ausgestattete Industrie-Roboter, zu den Schlüsselbereichen, die zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft zu subventionieren sind.

Zusammen mit anderen Instituten und Industrieunternehmen versucht das IPA, einheitliche Empfehlungen für vereinheitlichte Schnittstellen bei komplexen Sensoren zu schaffen.

Roboter statt Arbeiter?

In den USA, so munkeln die berühmten "informierten Kreise", könnte General Motors zum Roboter-Selbstversorger werden. Im Mai bildete das Unternehmen eine "Flexible Automation Systems" - Gruppe. Bis zum Jahre 1990 will der Kfz-Konzern 14 000 Roboter installiert haben. Die Gesamtaufwendungen werden mit rund einer Milliarde Dollar veranschlagt. Der Generaldirektor des Konzerns prophezeite, daß bis 1988 rund 90 Prozent aller Arbeitsmittel und Maschinen seines Unternehmens computergesteuert sein werden. General Electric behauptet, sofort 2000 Arbeitnehmer durch Roboter ersetzen zu können. Auf lange Sicht könnten bis zu 18 000 Beschäftigte auf diese Art freigesetzt werden. Durch den Einsatz kapitalintensiver Arbeitsmittel nimmt die Schichtarbeit zu. Der Jahresumsatz der Roboter-Hersteller in den USA soll 1990 drei Milliarden Dollar

erreicht haben. Vorhergesagt werden bis zu diesem Zeitpunkt jährliche Umsatzzuwächse von 35 Prozent.

Ob die Bezeichnung Roboter dem kalten Krieg entnommen ist oder auf die überragenden Leistungen sowjetischer Kybernetiker zurückgeht, vermag ich nicht zu entscheiden. Dem Lexikon nach stammt das Wort aus dem slawischen Sprachbereich, ist ursprünglich abgeleitet von Fron. Im Russischen heißt "arbeiten" transkribiert rabotatch, der "Arbeiter" rabotschij oder rabotnik. In seinem "Wörterbuch der Kybernetik" empfiehlt Georg Klaus, Professor an der Berliner Humboldt-Universität, den Terminus "Roboter" zu vermeiden. Literarisch und journalistisch sei der Ausdruck in negativem Sinne belastet. Sagt man über einen Menschen, "er arbeitet wie ein Roboter", ist das kaum ein Kompliment. Zwar müht er sich schwer und lange, doch führt er eine stumpfsinnige, vielleicht sogar sinnlose oder andere schädigende Tätigkeit aus. Der Automat setzt, wie Klaus es beschreibt, einen Befehl ohne Rücksicht auf die jeweilige konkrete Situation in die Tat um.

In der Fertigung von morgen werden mehr "Roboter" und weniger Menschen vertreten sein. "In einer typischen großen Fabrik von 1985 gibt es sowohl in der Fertigung als auch in der Montage zahlreiche industrielle Roboter." Mit dieser Beschreibung der Zukunftsindustrie beginnt eines der Scenarios, die die Infratest Wirtschaftsforschung, München, im Auftrage dreier Bonner Ministerien erstellte. 1985 werden die Montagearbeiten weitgehend von Robotern erledigt. Eingesetzt sind dann nicht mehr die dummen heutigen Maschinen sondern intelligente, sensorisch ausgestattete Roboter, die sich einem Großteil der 1020 veränderlichen Randbedingungen der Umwelt anpassen und ihre Fehler selbst korrigieren Für die Beschäftigten bedeutet dem Scenario zufolge die Arbeit mit Robotern zusammen einerseits eine Erleichterung, auf der anderen Seite aber auch mehr Streß und höhere Anforderungen an das Konzentrationsvermögen und die Reaktionsfähigkeit bei den Arbeitnehmern, die die Systeme überwachen. "Viele Mitarbeiter die ehemals die Arbeit der Roboter versahen, sind heute arbeitslos" schließt die Prognose der Infratest Wirtschaftsforschung für die Fertigung 1985. In Fertigung und Verwaltung zusammen werden bis 1985 rund eine Million Arbeitskräfte freigesetzt. Die Folgen des höheren Stresses machen sich spürbar deutlich in Kosten für gesundheitliche und psychische Betreuung. Selbst in den Industriezweigen, die die zur Rationalisierung verwendeten Produkte herstellen, wächst die Zahl der Arbeitsplätze nicht. Die DV-Industrie wie die Hersteller von NC-Maschinen, Robotern und Büromaschinen setzten selbst die eigenen Geräte zur Vereinfachung der Fertigung ein.

Gewerkschaften besorgt

In der britischen Wirtschaft und Verwaltung kursiert die Befürchtung, bei einem wirtschaftlichen Aufschwung werde nicht in Arbeitsplätze, sondern vermehrt in den Einsatz von Industrierobotern investiert. Angesichts der bereits absehbaren Investitionsvorhaben von bundesdeutschen Kfz-Herstellern (siehe CW Nr. 4 vom 23. Januar 1981) könnte diese Tendenz auch für die Bundesrepublik zutreffen.

Ein Roboter, so schreibt IMB-Generalsekretär Herman Rebhan im Vorwort zur Gewerkschaftsstudie "Metallarbeiter und neue Technologie" ersetzt durchschnittlich fünf Arbeitsplätze. In den Gewerkschaften wächst folglich die Besorgnis über die Auswirkungen der neuen Technologien auf die Beschäftigung. Zwar gibt es, wie die in der Studie zusammengefaßten Antworten auf Fragebögen zeigen, keine Gewerkschaft im Internationalen Metallarbeiterbund, die sich der Einführung neuer Techniken, wie der Industrie-Roboter, grundsätzlich widersetzt. Die meisten beobachten jedoch sorgfältig die Entwicklung und versuchen bereits jetzt, über Vereinbarungen mit den entsprechenden Arbeitgebervereinigungen, den Problemen wie Arbeitslosigkeit, und Veränderung der Arbeitsinhalte zu begegnen. Oberstes Ziel der Technologieverträge ist, die Vertreter der Arbeitnehmer bei der Planung zur Entwicklung und Einführung neuer Fertigungsmethoden frühzeitig zu konsultieren. Allgemein ausgedrückt begrüßen die Gewerkschafter den Einsatz von Robotern, wenn es darum geht, Risiken und Gefahren für die Beschäftigten zu vermeiden oder dann, wenn die Roboter monotone und ermündende Arbeiten übernehmen. Obwohl die Auswirkungen auf die Beschäftigten bisher gering seien, rechnen die Gewerkschaften spätestens dann, wenn Maschinen der zweiten oder dritten Generation eingesetzt werden, mit ernstzunehmenden Beschäftigungsproblemen. Der Verlust an Fertigkeiten beim Arbeitnehmer erfüllt die Gewerkschaften mit Sorge. "Einige Studien lassen einen deutlichen Rückgang der Arbeitsplätze für angelernte Arbeitskräfte, nur einen geringen Anstieg der Arbeitsplätze für Facharbeiter und einen ständigen Anstieg der Arbeitsplätze für hochqualifizierte Arbeitskräfte erkennen", heißt es in der IBM-Studie. Die Vertreter der Gewerkschaften sehen auch, daß ein vermehrter Einsatz von Industrie-Robotern ihre eigene Position untergräbt.

Übergang zur "aktiven Strategie"

Die Veränderungen, die die Industrie-Roboter und andere Geräte der Mikroelektronik auf dem Arbeitsmarkt hervorrufen, gelten nach Ansicht der IG Metall auch in der Bundesrepublik. Rund die Hälfte der Arbeitnehmer werde in den kommenden zehn bis 15 Jahren die Auswirkungen der Mikroelektronik zu spüren bekommen. Als Konsequenz schlagen ihre Experten den Übergang zu einer "aktiven Strategie in bezug auf Innovationen" vor. Sie soll die bisherige, defensive Haltung gegenüber Rationalisierungsmaßnahmen ersetzen. Wichtig sei, daß die Gewerkschaften die Entwicklung und die Einführung neuer Technologien in die Betriebe mitbeeinflußten. Ehe sie realisiert werden, seien die neuen Prozesse vollständig zu beherrschen, wozu nach Auffassung der IG Metall auch die soziale Beherrschung zählt. "Mit jeder: Rationalisierungsmaßnahme muß eine belegbare Verbesserung der Arkteitsbedingungen verbunden sein", fordert die IG Metall in ihrer Entschließung "Rationalisierung und technischer WandeI". Arbeitsorganisation und Arbeitstechnologie seien dabei so zu verändern und anzupassen, daß ganzheitliche Arbeitsabläufe in einer gesundheitsfreundlichen Arbeitsumgebung geschaffen werden und genügend Zeit für die persönliche Erholung zur Verfügung steht.