"Wir streben nicht nach vielen Features"

12.10.2006
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Jan Schulze ist freier Autor in Erding bei München.
Der Datenbankhersteller MySQL gehört zu den Größen im Open-Source-Geschäft. Mit Zack Urlocker, Executive Vice President Products von MySQL, sprach Jan Schulze* über künftige Marktchancen.

CW: MySQL wird allgemein als Datenbank für Web-Seiten wahrgenommen. Ist das noch immer Ihr Hauptmarkt?

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Neues Angebot für Unternehmen

Der schwedische Datenbankhersteller MySQL AB hat ein neues Paket aus Software und begleitenden Dienstleistungen angekündigt. Das als "MySQL Enterprise" bezeichnete Angebot adressiert vor allem große Unternehmen und erweitert das bestehende Serviceangebot "MySQL Network" um einige neue Merkmale.

Dazu gehört zum Beispiel die Häufigkeit, mit der neue Binär-Dateien mit Bug-Fixes bereit gestellt werden: Während die unter GPL lizenzierte Community-Version des Datenbank-Management-Systems alle sechs Monate aktualisiert wird, sollten MySQL-Enterprise-Abonnenten monatlich aktualisierten Code erhalten.

Zudem will MySQL im Rahmen von MySQL Enterprise Netzwerk-Monitoring und Beratungsleistungen in Form von "Software as a Service" anbieten. Dem Hersteller zufolge wird dabei die Datenbank des Kunden permanent durch MySQL überwacht, das Monitoring liefert den Administratoren selbstständig Ratschläge zur Verbesserung der Datenbankleistung. MySQL Enterprise steht in verschieden umfangreichen Servicepaketen bereit, die Preise für ein Jahresabonnement pro Server liegen je gewünschten Leistungen zwischen 500 und 4000 Euro.

Urlocker: Im Web-Bereich haben wir nach wie vor die meisten Anwender. Es wird auch unser typisches Einsatzgebiet bleiben. Allerdings übersieht man oft, dass wir zum Beispiel auch bei den in Anwendungen eingebetteten Datenbanken, also im Embedded-Bereich, stark sind. Hier zählen wir unter anderem Cisco oder Nokia zu unseren Kunden. Für den Einsatz als klassische Datenbank etwa im ERP-Umfeld haben wir in MySQL 5.0 Merkmale wie Stored Procedures oder Views integriert.

CW: Mit diesen neuen Merkmalen versucht MySQL, in Szenarien vorzudringen, die bislang den großen Closed-Source-Datenbanken wie Oracle oder DB2 von IBM vorbehalten waren. Wollen Sie ernsthaft versuchen, funktional mit diesen gleich zu ziehen?

Urlocker: Nein. Wir adressieren einen anderen Markt und zwar den für Commodity-Produkte. Unsere Design-Ziele sind einfache Bedienung, Schnelligkeit und Stabilität. Wenn neue Merkmale in das Produkt aufgenommen werden, geschieht das meistens auf Wunsch unserer Kunden. Wir streben aber nicht nach unzähligen Features. Deswegen werden wir immer weniger Funktionen haben als die traditionellen Datenbankanbieter.

CW: Verschließen Sie sich damit nicht potenziellen Märkten?

Urlocker: Das mag sein. Aber unser Fokus auf spezielle Märkte hat Erfolg wie man zum Beispiel am aktuellen Hype-Thema Web 2.0 sieht: Der größte Teil der heute verfügbaren Web-2.0-Angebote basiert auf dem klassischen LAMP-Stack, also aus Linux, Apache, Perl, PHP und eben MySQL. Darunter befinden sich Angebote mit extremen Leistungsanforderungen. Wikipedia zum Beispiel verarbeitet über 25000 SQL-Abfragen an die MySQL-Server pro Sekunde.

CW: Der Kostenaspekt wird immer wieder angeführt, wenn es um Open Source geht. Nutzen Ihre Kunden bei kommerziellen Web-2.0-Seiten wirklich die Gratis-Version von MySQL ohne Support- und Wartungsverträge?

Urlocker: Der Großteil der Anwender startet mit der GPL-Version. Die ist ja im Wesentlichen mit der kommerziell lizenzierten Version identisch und nicht funktional abgespeckt. Sobald das Geschäft läuft und die Datenbank unternehmenskritisch wird, kommen die meisten Anwender dann auf die entsprechenden Dienstleistungsangebote zurück, die wir als MySQL Network bezeichnen. Das ist ja der Vorteil eines dualen Lizenzmodells: Sie können mit sehr niedrigen Investitionen und der GPL-Datenbank starten und erst bei Bedarf die Services wie Support rund um die Uhr oder Beratung dazukaufen. Sie müssen weder Ihre bestehenden Daten auf eine neue Datenbank migrieren noch sonstige Änderungen am Technik-Stack vornehmen.

Dieses Prinzip ist für neue Themen wie Web 2.0 wichtig. Schließlich kann heute noch niemand sagen, wie sich die darauf basierenden Geschäftsmodelle entwickeln werden. Letztlich waren die hohen Investitionen in proprietäre Hard- und Software ein Grund, weshalb so viele Internet-Unternehmen mit dem Platzen der Dotcom-Blase aufgeben mussten - sie hatten einfach keinen finanziellen Spielraum mehr. Open Source kann dabei helfen, diesen Fehler zu vermeiden und die Investitionen in Relation zum Geschäftsverlauf zu setzen.

CW: Als eine der Stärken der Datenbank heben Sie das Skalieren über Replikation hervor. Wie genau funktioniert das?

Urlocker: Hier muss man vielleicht erst ein Wort über den MySQL Cluster verlieren: Unsere Clustering-Technik dient primär dazu, Hochverfügbarkeit zu erzielen. Da Clustering sehr komplex ist und sich kaum ohne professionelles Consulting implementieren lässt, haben wir für Anwender ohne Hochverfügbarkeitsansprüche auch ein einfacheres Verfahren integriert: Um nur die Last der Abfragen auf mehrere Server verteilen zu können, nutzen wir die Replikation. Dabei werden alle Schreibzugriffe auf die Datenbank von einem Master-Server entgegen genommen. Dieser repliziert die veränderten Tabellen auf eine beliebige Zahl von Slaves. Alle Lesezugriffe werden von diesen Slaves bedient, die Verteilung übernimmt eine Load-Balancing-Lösung. Neue Slaves lassen sich im laufenden Betrieb hinzufügen. Der aus unserer Sicht entscheidende Vorteil beim Skalieren über Replikation ist, dass es wesentlich einfacher zu implementieren und zu administrieren ist als ein Cluster. Jeder ausgebildete Administrator bekommt das ohne Spezialkenntnisse hin.

CW: Der Master-Server führt aber zu einem Flaschenhals, wenn wie bei Web 2.0 auch viele Schreibzugriffe zu erwarten sind.

Urlocker: Nicht unbedingt. Die Tabellen lassen sich ja partitionieren. Also zum Beispiel bei einer Abonnenten-Datenbank könnte eine Partitionen die Kunden von A bis F enthalten, eine weiter von G bis L und so fort. Jede Partition kann dann auf einem separaten Master gehalten werden, ohne dass die Integrität der Daten gefährdet ist. Bislang ist das noch eine Aufgabe des Betriebssystems. Wir werden jedoch mit dem kommenden Release 5.1 von MySQL die Partitionierung direkt in die Datenbank integrieren.

CW: Wie sehen die weiteren Pläne bei der Produktentwicklung aus?

Urlocker: Neben der Partitionierung liegt uns besonders die Volltextindexierung am Herzen. Einer der Gründe, weshalb MySQL im Internet so stark geworden ist, ist ja unsere MyISAM-Speicher-Engine. Die ist zwar nicht transaktionssicher, kann dafür aber die in den Tabellen enthaltene Texte indexieren. Das ermöglicht sehr schnelle Antworten auf entsprechende Anfragen. In den anderen Speicher-Engines steht diese Funktion nicht zur Verfügung. Das wollen wir ändern. Wir arbeiten daran, Volltextindexierung direkt im Datenbank-Management-System zu verankern, damit es unabhängig von der eingesetzten Speicher-Engine genutzt werden kann. Damit ließe sich in vielen Einsatzbereichen die Geschwindigkeit weiter steigern. Wann es soweit ist, steht zur Zeit noch nicht fest. In MySQL 5.1 wird das Feature noch nicht enthalten sein. (ue)