Wilke (Sun Deutschland): "Wir brauchen jetzt Leute, die zupacken"

21.05.2002
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach dem Rücktritt von President und Chief Operating Officer Ed Zander sowie vier weiteren Top-Managern soll eine neue Führungsriege bei Sun Microsystems für frischen Wind sorgen. Über den neuen Fokus auf Software und Services sprachen die CW-Redakteure Sabine Prehl und Heinrich Vaske mit Deutschland-Chef Helmut Wilke.

CW: In den vergangenen Wochen haben fünf Top-Manager ihren Rücktritt angekündigt. Verlassen sie Sun alle freiwillig?

Wilke: Ja, in jedem Fall. Ed Zander war 15 Jahre lang bei Sun, hat dort viel erlebt und geleistet. Es ist schon seit geraumer Zeit bekannt, dass er sich neu orientieren will. Und John Shoemaker, Executive Vice President Computer Systems, ist 59 Jahre alt - da darf er ja mal zurücktreten.

CW: Es fällt auf, dass alle gleichzeitig zum 1. Juli gehen. Da müsste es doch zu Reaktionen - vor allem auf den Finanzmärkten - kommen. War das Firmenchef Scott McNealy egal?

Wilke: Wir haben das natürlich auch diskutiert, aber McNealy hielt es für sinnvoller, alles in einem Aufwasch zu erledigen - nach dem Motto: Jetzt sind wir einmal dabei, und der Weggang von Mike Lehmann macht sowieso Schlagzeilen. Dass die Aktie fällt, wenn ein COO geht, lässt sich ja nicht verhindern.

CW: Trotzdem ist jetzt nicht gerade der günstigste Zeitpunkt für derart fundamentale Management-Veränderungen...

Wilke: Natürlich ist das Marktumfeld im Moment schwierig. Aber im Vergleich zu anderen Firmen herrschte in Suns Führungsetage lange Zeit enorme Stabilität, die einen regelrechten Stau an Managern verursacht hat. Und es hat ja auch sein Gutes, wenn eine neue Generation die Führung übernimmt. Gerade jetzt brauchen wir Leute, die zupacken und Druck machen.

Helmut Wilke: „Im Verhältnis zur derzeitigen Geschäftsentwicklung haben wir sehr hohe Personalkosten.“

CW: Unter Zander war Sun stark hardwarelastig aufgestellt. Immer wieder wurde kritisiert, dass Sie nicht genug ins Servicegeschäft investieren. Wird das jetzt anders?

Wilke: Ja, mit der neuen Management-Struktur nutzen wir die Gelegenheit, mehr Bereiche unter einem Dach zu vereinen. So gibt es mit dem neuen Chef der Software Systems Group, Jonathan Schwartz, nur noch einen Verantwortlichen für Suns gesamte Softwareinfrastruktur - Solaris, Java, Iplanet und Star Office. Um uns stärker als Softwareanbieter zu positionieren, haben wir die Iplanet-Produkte in „Sun One“ umbenannt und begonnen, die Vertriebsorganisationen zu verzahnen - also aus allen Produkten ein Angebot zu machen. Das ist ein klares Signal: Sun One ist die Alternative zu Microsofts .NET-Strategie.

CW: Sun hat in den vergangenen Jahren viel zugekauft - Netscape, Netdynamics, Forte. Haben Sie die Integration dieser Produkte vernachlässigt?

Wilke: Völlig richtig. Wir waren uns lange Zeit nicht recht im Klaren darüber, was wir damit machen sollen. Mit der Straffung des Angebots - mit nur einem Manager und einer Vertriebsorganisation - soll das besser werden.

CW: Wie sieht der neue Fokus auf Software und Services konkret aus?

Wilke: Durch die Marktkonsolidierung ist Sun in gewisser Weise gezwungen, mehr als Hardware zu bieten und stärker auf Service zu setzen - etwa indem wir die einzelnen Sales-Mannschaften in den Kernvertrieb einbinden. Außerdem bauen wir momentan eine weltweite Sales-Organisation für Web-Services und Liberty-basierende Projekte auf. Generell soll sich der Vertrieb stärker auf solche Projekte konzentrieren. Wir wollen früher an den Kunden herantreten - nicht erst, wenn er eine Plattform braucht. In der Vergangenheit hat sich Sun immer etwas geziert und solche Aufgaben lieber seinen Partnern überlassen.

CW: Ed Zander wird nicht ersetzt - seine Position übernimmt McNealy zusätzlich. Verfolgt der CEO die Idee einer zentraleren Ausrichtung, wie etwa bei Oracle, wo Larry Ellison heute allein das Zepter schwingt?

Wilke: Das kann man so sehen. Die Strukturen werden straffer, die Entscheidungswege kürzer. Zehn Manager berichten direkt an den CEO - eine große Herausforderung. McNealy wiederum ist stärker an der Basis dran, das ist auch kein schlechtes Signal.

CW: Das klingt allerdings nach einem sehr personalintensiven Geschäft und passt nicht zum Stellenabbau, der letztes Jahr begonnen hat und ja auch fortgesetzt werden soll.

Wilke: Ein Fokus auf Service heißt ja nicht, dass man dann bei der Realisierung alles selber machen muss. Sun hat nicht vor, die Professional-Services massiv aufzustocken. Wir sehen unsere Hauptaufgabe in der Akquisition solcher Projekte. Die Implementierung überlassen wir nach wie vor unseren Partnern.

CW: Offenbar wird aber auch die Payroll gekürzt. Der Abbau von 1000 weiteren Stellen ist im Gespräch, obwohl Sun nach den Entlassungen im Oktober zugesichert hatte, keine weiteren Stellen mehr zu streichen.

Wilke: Im Oktober haben wir uns von neun Prozent der Belegschaft getrennt - das ist angesichts der Geschäftsentwicklung nicht viel. Sie wissen ja selbst, dass die Umsätze im Server-Bereich gegenüber dem Vorjahr um 20 bis 30 Prozent gesunken sind. Im Verhältnis dazu hat Sun noch immer sehr viele Mitarbeiter und hohe Personalkosten. Zweitens handelt es sich diesmal nicht um Entlassungen, sondern um eine weltweite Reduzierung, die in den nächsten neun Monaten über die normale Fluktuation erfolgen soll. Die Fluktuationsrate liegt in unserer Branche bei etwa vier Prozent - die 1000 Stellen entsprechen gerade einmal 2,5 Prozent der Belegschaft.

CW: Sun hat kürzlich angekündigt, in diesem Quartal wieder in die Gewinnzone zurückzukehren. Halten Sie das für realistisch?

Wilke: Wenn wir die Einnahmen leicht steigern, werden wir dieses Ziel erreichen. Bislang haben wir uns ja gut geschlagen: Im Gegensatz zu vielen anderen konnte Sun die Umsätze zumindest konstant halten. Und hätten wir im Oktober mehr Stellen abgebaut, wären wir schon jetzt wieder in der Gewinnzone. Außerdem haben wir IBM im Servergeschäft massiv Marktanteile abgenommen. Aber machen wir uns nichts vor: Vom Aufschwung ist noch nichts zu sehen. Die TK-Branche ist völlig am Boden, die Banken fusionieren, in Deutschland grassiert die Pleitewelle. Auch im Servermarkt zeichnet sich keine Besserung ab.

CW: Was tut Sun konkret, um der Flaute im Servergeschäft zu begegnen? Wilke: Noch bis vor kurzem waren wir stark von Banken und Telcos abhängig - zwei Drittel der Umsätze entfielen auf diese beiden Branchen. Inzwischen haben wir unseren Kundenkreis erweitert. Außerdem wollen wir die Entry-Level-Server verstärkt mit Intel- und AMD-CPUs sowie auf Linux-Basis anbieten. Grundsätzlich bleiben wir aber bei der Strategie, eigene Technologien zu vermarkten. Dass Sun Intel-PCs oder Itanium-Server verkauft, werden wir wohl nicht mehr erleben.

CW: Wer weiß - vor nicht allzu langer Zeit hat McNealy gesagt, Sun werde sich nicht im Softwaremarkt engagieren. Diese Ausrichtung hat sich ja auch geändert.

Wilke: Klar, heute setzen wir stärker auf Infrastruktursoftware wie Directories oder Application-Server. Aber dabei handelt es sich eher um Erweiterungen von Solaris, nicht um eine neue Strategie. Auf Anwendungsebene sind wir uns bis heute treu geblieben. Und wir werden auch in Zukunft keine Navision kaufen, um SAP Konkurrenz zu machen.