Europäische Snackfood-Division hat sich für "Rhythm" entschieden

Supply-Chain-Management: Mars macht mobil

16.10.1998

"Wir wollen unsere Läger, die derzeit den Bedarf für 22 Tage enthalten, bis auf fünf Tage herunterfahren." So lautet eines der konkreten Ziele, die sich der für Kontinentaleuropa zuständige Logistik-Manager Geert de Witte gesetzt hat. Der in Viersen bei Düsseldorf tätige Niederländer erklärte sich - trotz der eher restriktiven Informationspolitik der europäischen Mars-Niederlassung (siehe Kommentar) - bereit, mit seinem Vortrag die deutschen Farben auf dem diesjährigen "Planet"-Kongreß des texa-nischen Supply-Chain-Management-Anbieters i2 Technologies zu vertreten. Innerhalb der kommenden beiden Jahre will Mars SFE ein IT-gestütztes Lieferkettensystem aufbauen, das auf der Endstufe acht europäische Fertigungsstätten, 40 Vertriebsläger, 20 Koproduzenten und 150 Zulieferer sowie eine Reihe von Großabnehmern umschließen soll.

Snackfood-Kunden sind keineswegs anspruchslos, versichert der Logistiker; vielmehr erwarteten sie, immer wieder mit neuen Produkten umworben zu werden. Mars SFE bedient die europäischen Schleckermäuler in mehr als 30 nationalen Märkten mit rund 1500 verschiedenen Waren, deren durchschnittliche Lebenszeit, so de Witte, gerade einmal vier Monate beträgt. Aus diesem Grund ist bei Mars SFE nur jede zweite der insgesamt 36 Produktionsanlagen für ein bestimmtes Erzeugnis reserviert; der Rest wird flexibel eingesetzt.

Die Entscheidung, in das Supply-Chain-Management (SCM) zu investieren, führt de Witte vor allem auf den wachsenden Druck von seiten des Handels zurück. Lagerverkleinerung ist auch dort ein Thema. Deshalb erwarten die Großabnehmer, daß ihre Lieferanten die Aufträge möglichst kurzfristig erfüllen.

De Witte kann zwar eine Auftragserfüllungsquote von 98,7 Prozent vorweisen. Wie er selbst einräumt, entpuppt sich diese Zahl bei näherem Hinsehen jedoch als relativ. In Anbetracht der Mars-intern definierten Frischekriterien liege die Quote de facto nur bei 70 Prozent. Es vergingen im allgemeinen drei bis vier Wochen, bevor ein Auftrag wirklich abgehakt werden könne. Da die Fertigungskapazitäten bereits gut ausgelastet sind (Rund-um-die-Uhr-Betrieb an sieben Tagen der Woche), lautet de Wittes Fazit: "Wir müssen schlanker werden."

Ein ausgefeiltes SCM erscheint dem Unternehmen als das geeignete Mittel zu diesem Zweck. Indem der Snackfood-Hersteller alle seine fertigungs- und vertriebsrelevanten Informationen zueinander in Beziehung setzt, will er die Voraussetzungen dafür schaffen, daß er die vorhandenen Kapazitäten bedarfsgerecht einsetzt und im Endeffekt hundertprozentig exakte Lieferzusagen ausgibt.

Bei den Produkten des täglichen Bedarfs ("Consumer-packaged goods"), zu denen auch Schokoriegel zählen, unterliegen die Auftragsvolumina starken Schwankungen. Deshalb lassen sich de Wittes Ziele nicht mit Standard- oder Zirka-Werten erreichen.

Das SFE-eigene Planungssystem muß deshalb, so der Logistik-Manager, von einer periodischen auf eine tägliche Auswertung umgestellt werden. Dafür ist es notwendig, daß die einzelnen Glieder der internen Zulieferketten künftig besser ineinandergreifen, weshalb jede einzelne Station des Workflow den Überblick über den Gesamtprozeß benötigt.

Um das zu erreichen, hat sich Mars SFE entschieden, das Produkt "Supply Chain Planner" (SCP) aus der "Rhythm"-Familie von i2 Technologies einzuführen. Laut de Witte soll es den Verantwortlichen auf jeder Stufe der Produktions- und Vertriebsprozesse ein realistisches, insbesondere zeitnahes Modell der Liefer- und Vertriebsketten in ganz Europa vermitteln, damit sie auf dessen Grundlage ihre Geschäftsentscheidungen mit größerer Sicherheit treffen können. Auf diese Weise ließe sich auch die bislang fehlende Synchronisation von Kurzzeit- und Langzeitplänen erreichen.

Deutsche Niederlassung spielt Versuchskaninchen

Wie der Mars-Logistiker betont, steckt das System noch in seinen Kinderschuhen. Die Entscheidung für SCP wurde erst Ende 1997 getroffen. Als Versuchskaninchen fungiert die Mars GmbH, Viersen. Sie hat im März dieses Jahres mit der Implementierung des Tools begonnen. Seither arbeiten dort knapp 30 Mitarbeiter (davon mehr als ein Drittel Anwender) daran, die drei Produktionsanlagen in ein Pilotprojekt einzubringen, das das spätere Gesamtsystem in einem handhabbaren Maßstab abbildet.

Das erste von insgesamt zwei Business-Releases hat Ende September den Betrieb aufgenommen, das zweite soll im Februar des kommenden Jahres folgen. Der Projektrahmen reicht vom Business Process Re-Engineering über Kapazitätsplanung und Materialwirtschaft bis zum Transportwesen.

Gesamtübersicht in Echtzeit

Für den Einsatz des i2-Produkts sprach, so der Logistikexperte, daß es "tatsächlich nutzbare" Informationen liefere, also alle für einen Prozeß bedeutsamen Daten permanent miteinander in Beziehung setze. Damit halte es die Verantwortlichen ständig auf dem laufenden darüber, wie die Auftragsdaten mit den Lagerbeständen und Fertigungskapazitäten korrelieren und an welcher Stelle des Prozesses Änderungen vorgenommen werden müssen. Die von Mars SFE untersuchten Konkurrenzprodukte seien nicht in der Lage, eine solche Gesamtübersicht in Echtzeit zu liefern.

Bestätigt werden diese Aussagen durch de Wittes Kollegen Dennis Goulait, der in den USA für die Mars-Division Kal Kan (Tiernahrung) arbeitet. Dort ist schon seit Jahren eine Mainframe-Version der SCM-Software von Manugistics im Einsatz. Laut Goulait muß Kal Kan die Daten aus der Auftragsbearbeitung in ein anderes Tool übertragen, um sie für die Kapazitätsplanung nutzen zu können. Von dort wandern sie in ein drittes Werkzeug, das für die Terminplanung zuständig ist. Dieser mehrstufige Prozeß koste das Unternehmen unnötig viel Zeit.

Als das vordringlichste technische Problem, das Mars SFE zu lösen hatte, bezeichnet de Witte die Synchronisation der unterschiedlichen Datenstrukturen. Zwar hat i2 Technologies durch einen Middleware-Layer dafür gesorgt, daß die Rhythm-Werkzeuge mit den R/3-Modulen von SAP kommunizieren können; doch bei Mars SFE sind auch noch unterschiedliche Mainframe-Anwendungen im Einsatz. Der Snackfood-Spezialist will deshalb die für SCP wichtigen Daten zunächst in einem Data-Warehouse sammeln, das auf Datenbanksoftware von Oracle basiert.

Ein eher organisatorisches Problem ist das von de Witte beschriebene "Risiko der Überreaktion". Daß SCP einem Unternehmen die Möglichkeit einräume, seine Planungen kurzfristig zu ändern, könne dazu führen, daß bei jeder Modifikation des Input gleich der gesamte Prozeß über den Haufen geworfen werde. Deshalb müßten die Verantwortlichen Toleranzgrenzen formulieren und im Einzelfall zwischen den wichtigen und den vernachlässigbaren Änderungen unterscheiden.

Last, but not least hat Mars SFE auch mit dem natürlichen Beharrungsvermögen der Mitarbeiter zu kämpfen. Sie müssen lernen, sich nicht mehr nur für ihren Bereich, sondern für die gesamte Lieferkette verantwortlich zu fühlen. "Das geht nicht von heute auf morgen, und es läßt sich auch nicht erzwingen", weiß de Witte.

In dieser Beziehung ist es sicher richtig, daß der Zeitplan für die gesamteuropäische SCP-Einführung recht großzügig gestaltet ist. Im kommenden Jahr soll der Supply Chain Planner zunächst über die europäische Distributionskette hinweg implementiert werden; die Produktionsstätten folgen voraussichtlich erst Mitte des Jahres 2000.

De Witte machte kein Hehl daraus, daß der Zeitplan für ihn eine Enttäuschung bedeutet: "Je eher ein Unternehmen diese Veränderungen vollziehen kann, desto größere Vorteile zieht es daraus." Allerdings räumte er ein, daß eine zeitliche Verzögerung eher zu akzeptieren sei als ein Kompromiß hinsichtlich der Funktionalität.

Für den Logistik-Manager ist das Produkt-Rollout ohnehin nur der Startschuß für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozeß. Die Flexibilität, die das Unternehmen durch das Supply-Chain-Managment erhält, soll es ihm ermöglichen, zu einer "lernenden Organisation" zu werden.

Selbstverständlich ist sich Mars SFE auch darüber im klaren, daß das Lieferketten-Management nicht an den Toren des eigenen Unternehmens aufhört. Vielmehr geht es bei diesem Thema im besonderen darum, die Zulieferer und die Kunden in die Prozeßketten einzubeziehen.

Lieferanten sollen eigenständig auffüllen

Als ersten Schritt in diese Richtung hat die europäische Snackfood-Division die Anzahl ihrer Zulieferer von mehr als 500 auf rund 150 reduziert. Die verbliebenen Lieferanten verpflichten sich, künftig den jeweiligen Bedarf des Snack-Produzenten selbständig zu decken. Auf der anderen Seite prüft Mars SFE auch die Möglichkeit, Einblick in die aktuellen Warenbestände der Großabnehmer zu erhalten, um den Auffüllprozeß (im Fachjargon: "Replenishment") zu optimieren.

Wie die für eine unternehmensübergreifende Kooperation notwendigen Informationen ausgetauscht werden sollen, ist noch nicht endgültig entschieden. Aber die breite Akzeptanz und Ubiquität des Internet machen das World Wide Web hier zum heißesten Kandidaten. In jedem Fall bedeutet diese Art der Zusammenarbeit, daß alle Partner zumindest einen begrenzten Zugriff auf ihre geschäftskritischen Daten gewähren müssen. Da werden mit Sicherheit nicht nur technische Probleme zu lösen sein.

Das Unternehmen

Der Lebensmittelkonzern Mars Inc. fertigt nicht nur die gleichnamigen Schoko-Karamel-Riegel, sondern auch Reisprodukte ("Uncle Ben's") und Tiernahrung ("Whiskas", "Pedigree") sowie elektronische Verkaufsautomaten. Das Unternehmen beschäftigt in 160 Niederlassungen rund 30000 Leute und bedient Kunden in 100 Ländern. Damit erzielte es im vergangenen Jahr einen Umsatz von 13 Milliarden Dollar, der zu mehr als der Hälfte aus Europa stammt. Die rund 6000 Mitarbeiter zählende europäische Snackfood-Division trug mehr als zwei Milliarden Dollar zu den Gesamteinnahmen bei.