Anwenderbericht Faber-Castell, Stein bei Nürnberg:

Spezialisten für Software-Schnittstellen

03.10.1980

Von CW-Mitarbeiter Ulf Bauernfeind

Anfang 1977 entschloß sich der Schreib- und Zeichengerätehersteller Faber-Castell, Stein bei Nürnberg, die gesamte betriebliche Datenverarbeitung neu zu organisieren. In einem mehrjährigen Prozeß sollte eine integrierte DV-Gesamtlösung auf Datenbankbasis realisiert werden. Die meisten Anwendungen "stehen" inzwischen. Kernstück der neuen DV-Organisation ist das eigenentwickelte Vertriebs- und Lagersteuerungssystem Invesy, in das 16-Mannjahre investiert wurden.

Faber-Castell ist der Ansicht, keine Insellosung, sondern ein bei anderen marketingorientierten Firmen mit oder ohne eigene Produktion einsetzbares Softwareinstrument geschaffen zu haben. Das Programmpaket ist als Quasi-Standard zu haben. Tabellengeneratoren und Parametereingabe sollen die Anpassung an andere organisatorische Strukturen relativ einfach machen. Das Steiner Unternehmen übernimmt nach eigenen Angaben die Programmpflege und leistet organisatorische Implementierungshilfe. Invesy lauft auf IBM-kompatiblen Systemen mit mindestens 1 MB Hauptspeicher und 400 MB Plattenkapazität.

Als 1977 der Leiter der Abteilung Organisation und Datenverarbeitung im Stammwerk Stein, Hans-Joachim Kaul, und sein Team an die Reorganisation des Unternehmens gingen, bildete man sieben DV-Integrationskreise (Materialwirtschaft, Personal, Finanzen, Kosten- und Leistungsrechnung, Absatz, Entwicklung und Produktion sowie - Planung und Information), die wiederum in Problemkreise unterteilt wurden. Das angestrebte integrierte DV-Gesamtsystem ist weitgehend mit Hilfe eines wirtschaftlich und funktionell sinnvollen Soft- und Hardware-Mixes realisiert worden. Um ein Datenbanksystem mit verschiedenen untereinander "vernetzten" Datenbanken wurden diverse eigene und fremde Softwareprodukte gruppiert und über Schnittstellen miteinander integriert. Invesy und Prodplan (letzteres für Entwicklung und Produktion) sind eigene Schöpfungen. In der Personalwirtschaft wird das Softwarepaket Paisy der Lammert-Unternehmensberatung eingesetzt; in der Finanzbuchhaltung die Teile eins bis vier des Finanzsystems IFS von IBM. Für die Kapazitätsterminierung und Durchlaufsteuerung wird derzeit das IBM-Programmpaket Caposse-E eingeführt. Da zahlreiche Schnittstellen zu definieren waren und noch zu definieren sind, haben sich einige DV-Fachleute von Faber-Castell zu ausgesprochenen Interface-Spezialisten "gemausert". Man ist durchaus bereit, dieses Know-how an andere Anwender weiterzugeben.

Mixed-Hardware der Kosten wegen

Das Rechenzentrum von Faber-Castell ist mit einer IBM/370-148 mit 2 MB Hauptspeicher ausgestattet. Allein die Invesy-Programmbibliothek umfaßt bereits 118 Online- und 80 Batchprogramme. Insgesamt sind 27 Datensichtgeräte und fünf Terminaldrucker online angeschlossen. Davon sind in der Programmierung und in der Finanzbuchhaltung jeweils drei Bildschirme, zwei im Personalwesen Je einer in der Kostenrechnung, dem Produktmanagement, in der Unternehmensleitung sowie im Einkauf zwei Bildschirme und zwei Drucker in der Produktionssteuerung, 7 Bildschirme und 2 Drucker in der Logistik zwei Bildschirme und zwei Drucker im Auslandsvertrieb sowie zwei Bildschirme im Inlandsvertrieb installiert An der Schnittstelle zwischen Produktion und Lagerwirtschaft befindet sich ein Display und ein Terminaldrucker und zwischen Lager und Versand ebenfalls ein Bildschirm.

Hardware-Mix wird bei den externen Massenspeichern praktiziert. Da die DV-Abteilung schon lange mit BASF im Kontakt steht und von dort Bänder und Plattentöpfe bezieht, ließ man sich "überreden", probeweise BASF-Plattenlaufwerke an die /370148 zu hingen. Der Test verlief positiv. Bei Mixed-Media ist die Fehlerrate geringer als bei den Produkten des Mainframers, der Kundendienst funktioniert reibungslos und ist schnell zur Stelle. Da sich zudem ein nicht unerheblicher Preisvorteil ergibt, entschloß sich Faber-Castell dazu, auch BASF-Magnetbandlaufwerke zu beziehen. Gegenwärtig sind vier Plattenlaufwerke BASF 6250 (Kapazität für Laufwerk 2x317,5 Mio Bytes), vier Magnetbandspeicher BASF 6358 und je eine Steuereinheit BASF 6038 beziehungsweise 6050 angeschlossen.

Bei der Konzeption des integrierten Vertriebsabwicklungs- und Lagersteuerungssystems Invesy hatte sich Faber-Castell hohe Ziele gesetzt. Es sollten zugleich die Auftragsabwicklung rationalisiert, die Lieferbereitschaft erhöht, die Lagerbestände gesenkt und die interne Kommunikation zwischen Produktion und Vertrieb verbessert werden. Man schuf daher ein Datenbanksystem, bei dem alle wesentlichen Daten weitgehend redundanzfrei gespeichert und die einzelnen Datenbanken miteinander verknüpft sind. Als Datenbanksprache wurde DL/t gewählt, als Programmiersprache Assembler, als TP-Monitor CICS/VS, als Zugriffsmethode für alle Dateien VSAM. Die /370-148 lauft unter dem Betriebssystem DOS/VSE. Für Invesy wurden folgende Datenbanken aufgebaut: Kundendatenbank, Kundenauftragsdatenbank, Kommissionierlistendatenbank, Teiledatenbank und Informationsdatenbank. Das Mengengerüst ist für 6000 Artikelvarianten ausgelegt, die sich zu 18 000 Stammsitzen für Roh- und Halbfabrikate sowie Fertigerzeugnisse summieren.

Zum Start des Vertriebs- und Lagersteuerungssystems am 2. Mai 1979 wurde die Auftragsbearbeitung zentralisiert und mit Bildschirmarbeitsplätzen ausgestattet. In jedem Stockwerk des Verwaltungsgebäudes steht ein Auskunftsterminal, über das die Auskunftsberechtigten alle benötigten Informationen aus dem Auftrags- und dem Fertigungsbereich abfragen können. Umgekehrt ist es den :Mitarbeitern der Fertigungssteuerung möglich, bis zum Kunden "durchzublicken".

Für potentielle Benutzer noch der Hinweis: Die lizenzgebühr für das komplette System liegt bei etwa 100 000 Mark.