Schnüffeln für den Staat?

29.08.2001
Von Stefan Krempl
Die geplante Telekommunikations-Überwachungsverordnung des Wirtschaftsministeriums beinhaltet zahlreiche Grauzonen und bürdet der Wirtschaft immense Kosten auf.

Während in Ländern wie Großbritannien, Japan oder Belgien Polizeibehörden und Geheimdienste bereits weite Befugnisse zum Abhören der E-Mail-Kommunikation durchgesetzt haben, ist in Deutschland die entsprechende Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) weiter im Entwurfsstadium. Doch auch die Mitte Februar vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichte, bereits mehrfach überarbeitete Fassung der TKÜV lässt keinen Zweifel an dem Begehr der Strafverfolger, die letzten Lücken bei der Überwachung der Telekommunikation zu schließen und auch den E-Mail-Verkehr der umfassenden Kontrolle der "Bedarfsträger" zu unterwerfen. Der große Lauschangriff wäre nach der Verabschiedung des Papiers noch einfacher und umfassender möglich.

Internet-Provider müssten dem Entwurf zufolge in Zukunft genauso wie Sprachtelefonie-Anbieter Lauscheinrichtungen auf eigene Kosten installieren und auf Abruf Verbindungsdaten und die Mail-Kommunikation an Polizei- und Zollbehörden oder den Verfassungsschutz "unverzüglich" übermitteln. Alle Betreiber von Telekommunikationsanlagen, die ihre Dienste der Öffentlichkeit anbieten, sollen zur Aufzeichnung und Weiterleitung der Kommunikationsdaten an Strafverfolger verpflichtet werden. Ob es sich um Sprach- oder Datenübertragungen handelt, ob der Abzuhörende ein Handy oder einen ISDN-Anschluss nutzt, spielt dabei keine Rolle.

Die Verfasser des Entwurfs im federführenden Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) haben die zu überwachenden "Kennungen" sehr weit gefasst. Neben Rufnummern und E-Mail-Adressen sollen sogar Kreditkarten-Nummern darunter fallen. "Die Kennungen können fast alle Identifikationsdaten umfassen", kritisiert Katrin Drumm, eine auf Überwachungsfragen spezialisierte Berliner Rechtsanwältin. Unklar sei dabei, wie das Fernmeldegeheimnis bei der Umsetzung der vorgesehenen Abhöraufträge gewahrt werden soll.

Unverständlich ist der Expertin auch, wie Verpflichtete der Auflage nachkommen sollen, Bespitzelungsanordnungen selbst auf formale Richtigkeit zu prüfen. Falls sich später herausstelle, dass eine Anordnung nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat, würden Schadensersatzansprüche des zu Unrecht Überwachten drohen.

Internet-Provider bräuchten außerdem teure Soft- und Hardware zum Ausfiltern nicht angeforderten Datenmaterials sowie zum Verschlüsseln der in Echtzeit zur Verfügung zu stellenden Mitschnitte. Michael Rotert, Vorsitzender des Verbands der deutschen Internet-Wirtschaft eco, schätzt die Kosten pro "Abhörkiste" auf 140000 bis 150000 Mark. Wegen technischer Besonderheiten beim Versand von Datenpaketen über das Netz seien Provider gezwungen, gleich mehrere solche Geräte zu kaufen. Die Anschaffungskosten allein für die Technik lägen für einen großen Provider wie Uunet daher bei rund 75 Millionen Euro. Angesichts dieser Belastungen rechnet Eco mit dem Konkurs von einem Drittel der Zugangsanbieter. "Wir sollen den Hilfssheriff der Nation auf eigene Kosten spielen", wehrt sich Rotert gegen die Pläne, die er als "technisch völlig unausgegoren" bezeichnet.

Die Abhörverpflichtungen und die Kostenklausel sind bereits im Paragraph 88 des Mitte der 90er verabschiedeten Telekommunikationsgesetzes (TKG) angelegt und stützen sich letztlich auf das "Geheimdienstgesetz" G 10, den Paragraphen 100 der Strafprozessordnung sowie das Außenwirtschaftsgesetz. In der TKÜV geht es "nur" um ihre Umsetzung. Die neue Fassung ist bereits der zweite Rohentwurf. Den ersten legte die konservativ-liberale Regierungskoalition im Frühjahr 1998 vor. Er wurde im Sommer desselben Jahres nach heftigen Protesten auf Eis gelegt. Ein im April 1999 vorgelegtes "Eckwertepapier" der rot-grünen Regierung verschwand genauso rasch in den Schubladen. Seitdem brüten die vom ehemaligen Post- ins Wirtschaftsministerium übergesiedelten Abhörprofis über den juristischen und technischen Schwierigkeiten rund um die Lauschverordnung.

Um die geschlossen gegen die Verordnung anrennende Wirtschaft zu besänftigen, haben die Beamten in einem sich noch in der Abstimmung zwischen den Ressorts befindenden Entwurf die Ausnahmeregeln erweitert. Aufatmen können bereits Betreiber von Nebenstellenanlagen, unternehmensinterner Telekommunikationsanlagen und Corporate Networks. Ihre Daten sollen zwar grundsätzlich anzapfbar bleiben, doch müssen sie nicht in Vorleistung treten. Betreibern von Telekommunikationsanlagen, die nicht mehr als 10000 Endnutzer versorgen, wird eine Frist von 24 Stunden nach Benachrichtigung gewährt, um die geforderten Abhörmaßnahmen in Gang zu bringen.

Verhandlungsbereit zeigen sich die Ermittler auch beim Einsatz eines "Geräteparks" für den Lauschangriff, den sich Provider teilen können sollen. Der Verband eco hat in seiner Stellungnahme zu einer Anhörung im Bundestag Anfang Juli aber bereits darauf hingewiesen, dass sich die "Pool-Lösungen" nicht in die Praxis umsetzen lassen. Allein zur Überwachung der Kunden, die sich von zu Hause aus ins Netz einwählen, müssten alle Zugangspunkte gleichzeitig mit Abhörgeräten ausgerüstet sein, erläuterte Tobias Gramm, Justiziar beim Provider Uunet. Mobile Geräteparks kämen daher nicht in Frage.

Die offenen Fragen rund um die TKÜV kreisen neben der Kostenübernahme vor allem um die Abgrenzung von Telekommunikation und Telediensten im Internet. "Das Wirtschaftsministerium muss endlich klarstellen, was unter Telekommunikation fällt", fordert Helga Schumacher, Sprecherin des Bundesdatenschutzbeauftragten. Während E-Mail ihrer Meinung nach zweifelsfrei dazu zu zählen sei, wäre eine Verfolgung von Internet-Nutzern anhand ihrer IP-Adresse nicht gerechtfertigt. "Das gibt die Gesetzeslage einfach nicht her", erläutert Schumacher. Zahlreiche Widersprüche zu den eigentlich fürs Internet geltenden Datenschutzbestimmungen wie dem Teledienstedatenschutzgesetz hat auch Niels Lau, Justiziar beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), in dem Papier ausgemacht.

In Expertenkreisen ist angesichts der reinen Schönheitskorrekturen umstritten, ob die TKÜV überhaupt verfassungsgemäß und verhältnismäßig ist. Deutschland nimmt schon seit Jahren eine Spitzenposition beim Abhören ein. Allein zwischen 1998 und 1999 ist die Zahl der richterlich angeordneten Telefonüberwachungen von 9800 auf 12600 gestiegen.

Dagegen gibt es nach wie vor keine öffentlich verfügbaren Studien über die Wirksamkeit der bisherigen Überwachungsmaßnahmen. Zudem bleibt den Netzbürgern nach wie vor die Option erhalten, ihre E-Mail-Kommunikation zu verschlüsseln. Die vorgeschlagenen Maßnahmen könnten sich daher in der Praxis schlicht als ungeeignet erweisen, da Strafverfolger nur einen Datensalat von den Providern übermittelt bekämen.

Im Bundestag wächst unter den Medienpolitikern aller Fraktionen nun der Widerstand gegen die Abhörpläne. Den Abgeordneten wird das "Gezockere" des sich von Entwurf zu Entwurf hangelnden Wirtschaftsministeriums zu bunt, wie Hans-Joachim Otto, medienpolitischer Sprecher der FDP, die Meinung im Reichstag auf den Punkt bringt. Auch noch so viele Überarbeitungen der TKÜV ändern nichts daran, "dass sie an der Internet-Welt völlig vorbeigeht", ärgert sich Martina Krogmann, Internet-Beauftragte der CDU/CSU-Fraktion. Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Grünen, hält "die gesamte TKÜV" gar für "überflüssig".

Die Abgeordneten sind der Ansicht, dass der sensible Bereich der Bespitzelung der Nutzer mitsamt der Kostenfrage nicht auf dem Verordnungsweg ohne erneuten Einbezug des Parlaments gelöst werden kann. Die Medienexperten der Fraktionen dringen daher auf eine Entschärfung des TKG. Die Mängel des TKG haben sich im Bereich der Überwachungsparagraphen klar herausgestellt, befindet die Riege der "Netzpolitiker" unisono. Jörg Tauss, Beauftragter für Neue Medien der SPD-Fraktion, will nach der Sommerpause eine parlamentarische Initiative zur Novellierung des Abhörgesetzes starten. Das Wirtschaftsministerium werde sich danach nicht mehr auf die Position zurückziehen können, den gesetzlichen Rahmen bei der TKÜV voll ausgeschöpft zu haben.

Selbst im Wirtschaftsministerium halten nicht alle Referate die Neufassung der TKÜV für den großen Wurf. Denn während die alten "Postler" Abhörmaßnahmen vor allem unter einem technischen Aspekt sehen, hat sich in anderen Abteilungen die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine zu starke Beschneidung der Freiheitsrechte der Netzbürger nicht gerade das Vertrauen in E-Commerce und E-Government stärkt. In einem Pilotprojekt unterstützt das BMWi daher auch die anonyme Benutzung des Internet (www.anon.inf.tu-dresden.de) finanziell.