Der Begriff Software-Engineering wird 20 Jahre alt:

Programmier-Genies sind nicht mehr gefragt

23.12.1988

GARMISCH (CW) - 20 Jahre Software-Engineering: Unter diesem Motto veranstaltete die jetzt halb so alte GSE mbH, München, in Garmisch ein Symposium zu diesem Thema. 1968 war hier der Begriff "Software-Engineering" auf einer Nato-Tagung geprägt worden. Noch hat sich dieses Konzept aber nicht überall durchgesetzt.

"Die Wortverbindung von Ingenieur und Software-Entwicklung verspricht ein Mehr an Sicherheit für die Investoren", beschrieb Andre de Sike, geschäftsführender Gesellschafter der Genes GmbH Venture Services in München seine Sicht vom Software-Engineering. Ihm geht es bei der Programmentwicklung vor allem um deren risikogerechte Verzinsung, denn Software sei ein schnellebiges Gut mit schwer voraussehbarer Lebensdauer. Deshalb sei ein streng ingenieurmäßiges Vorgehen wichtiger als ein Zuviel an Ideen in zu kurzer Zeit.

Sicherheit durch streng methodisches und meßbares Vorgehen forderte auch Professor Albert Endres, Mitarbeiter im Entwicklungslabor der IBM in Böblingen. Für ihn bedeutet die Garmischer Tagung vor 20 Jahren einen Eckstein in der Software-Entwicklung. "Die Grundregeln und Methoden, die heute das Wesen der Software-Entwicklung ausmachen, sind alle in den folgenden 20 Jahren entstanden", so Endres, "und der Tagungsbericht von damals gehört nach wie vor zur meist zitierten Literatur der Informatik."

Nicht zu überhören waren jedoch die Klagen aber Software-Entwickler, die sich immer noch zu schnell ans Programmieren machen und zu wenig Zeit in die strukturierte Vorbereitung von neuen Projekten stecken. Eine solche Vorgehensweise berücksichtigt laut Endres nicht, daß in der Regel 70 Prozent der Fehler in der Vorbereitungsphase gemacht werden. Gefragt sei heute weniger der geniale Programmierer als der Software-Ingenieur, der streng nach den Regeln seines Berufsstandes vorgeht.

An inzwischen überwundene Gruselszenarien der 70er Jahre erinnerte Constantin Skarpelis, Leiter einer Abteilung der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt, die als Träger für das Projekt "Humanisierung des Arbeitslebens" auftritt. Menschenleere Fabriken werde es ebensowenig geben, wie die Erniedrigung des Menschen zum Handlanger von Computern, prophezeite er.

Dagegen betonte Skarpelis die zentrale Rolle des Menschen als den einzig innovativen Faktor für Entwicklung und Produktion. Er warnte vor der Bürokratisierung von Software-Entwicklung durch allzu strikte Methoden, die die Kreativität der Programmierer hemmen könnten. Neue und weniger problematische Möglichkeiten erschlössen sich durch den Einsatz von 4GL-Tools und die Entwicklung wiederverwendbarer Software-Bausteine.

Modernes Software-Engineering veranschaulichte Helmuth Coqui, Geschäftsführer der Software AG, München, anhand von CASE-Tools. In diesem Zusammenhang sprach er sich für integrierte Entwicklungsumgebungen aus. Zum Aufbau einer derartigen Umgebung gehörten eine gemeinsame Bedienoberfläche, phasenübergreifende Tools für Qualitäts-, Konfigurations- und Projektmanagement sowie für Bürofunktionen.

Auf einer objektorientierten Datenbasis könnten dann die verschiedenen Entwicklungsphasen eingebunden werden. In einer solchen Umgebung sei der Software-lngenieur zum streng systematischen Programmieren gezwungen. Derzeit werden in den USA und Westeuropa jedoch, so Coqui, nur 500 Mark pro Mannjahr in CASE-Entwicklungen investiert.

Einen Ausblick auf ihre Forschungen im Softwarebereich gaben schließlich Ulrich Fuhrbach, Leiter der Forschungsgruppe Intellektik am Institut für Informatik an der TU München, und Rudolf Bayer, Projektleiter "Wissensbasen" am Bayrischen Forschungszentrum für Wissensbasierte Systeme. Während Fuhrbach einen Überblick über den derzeitigen Stand der Kl-Forschung bis hin zu den Neuro-Computern gab, berichtete Bayer über einige seiner Projekte mit Experten-Datenbank-Systemen (XPDBMS).

Zu solchen Systemen gehört laut Bayer ein intelligenter Datenzugriff, eine Deduktionsmaschine, um komplexe Regelsysteme auf die zugrundeliegenden Datenbanken anwenden zu können, und eine Programmiersprache der fünften Generation. Durch sie sollen Wissen und Regelsysteme dargestellt werden.

In seinem Vortrag demonstrierte Bayer die Fähigkeiten eines solchen Experten-DBMS an einem System für die Münchner Verkehrsbetriebe. Damit ist beispielsweise eine Abfrage möglich, wie man am schnellsten zu einer bestimmten Zeit an eine vorgegebene Haltestelle kommt. Als Antwort erhalte man die Ein- und Umsteigestationen mit den entsprechenden Fahrzeiten sowie Alternativvorschläge.