Von der Technik her gibt es immer neue Anwendungsgebiete:

Ohne Sekretärin nicht handlungsfähig

27.06.1980

MÜNCHEN - Von der technischen Seite sind der Textverarbeitung nach Meinung von Experten keine Schranken gesetzt. Vielmehr tun sich von Tag zu Tag neue, ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten auf. Die Probleme stellen sich im humanen Bereich: Die Textverarbeitungsautomaten, ähnlich wie die Datenverarbeitungssysteme, vermögen nur vorgegebene, logische Probleme zu lösen. Den Apparat um einen Kaffee zu bitten, ist absurd. Die Grenzen liegen einigen TV-Spezialisten zufolge in der Akzeptanz der elektronischen Geräte begründet.

"Ohne eine perfekte Sekretärin ist ein Beamter nicht voll handlungsfähig," heißt es in einem Leserbrief, den die Süddeutsche Zeitung abdruckte. Statt Beamter könnte hier auch Diktierer, ein Sachbearbeiter oder Weisungsbefugter stehen, beladen mit einer Menge von Texten, die er im Arm oder im Kopf trägt und zur Verarbeitung loswerden will. Die einfachste Lösung wäre ein großer Container, in den der Weisungsberechtigte sämtliche Text- und Gedankenträger kippt. Allein dieser Lösungsvorschlag widerspricht den grundsätzlichen Möglichkeiten der Daten- und Textverarbeitung.

Textautomaten sind nach einer Definition des Betriebswirtschaftlichen Institutes für Organisation und Automation an der Universität Köln (Bifoa) alle Geräte zur Textbe- und -verarbeitung, angefangen bei der Speicherschreibmaschine bis hin zu komfortablen Bildschirm-Textsystemen mit diversen Zusatzeinrichtungen. Charakteristisch für die Automaten ist ein Minimum an Selbständigkeit bei der Erfüllung ihrer Funktionen. Im Gegensatz zur Schreibmaschine sind Eingabe und Ausgabe durch einen Zwischenspeicher für vom Bediener oder System vorgenommene Manipulation der Texte getrennt. Die Möglichkeiten der automatisierten Textverarbeitung entsprechen also in logischer Sicht denen der Datenverarbeitung mit Schwerpunkt auf dem geschriebenen Output. Zu den Zukunftsvisionen so Dr. Peter Asam, Vertriebsleiter TV bei der Siemens AG, München, gehört der integrierte Büroarbeitsplatz mit Electronic Mailing und elektronischem Archiv. Technisch gesehen können, prognostiziert das Bifoa in seinem Forschungsbericht der Temex-Gruppe, Optische Zeichenerkennung (OCR) und Spracheingabe die Input-Seite verändern, der Plasmaschirm die Handlichkeit und Wärmeentwicklung des Bildschirms beeinflussen, Blasenspeicher intern die Geschwindigkeit und Kapazität verändern, Ink-Jet, High-Speed- und Laser-Drucker die Geschwindigkeit und die Schriftqualität des Druckerzeugnisses verbessern. Ein kleines Kreuz zur Verbreitung liegt in der Akzeptanz der TV-Automaten.

Kein Problem in Gänsefüßchen

Werden Unternehmer, Weisungsbefugte, Diktierer, Sachbearbeiter und Sekretärinnen mit den Neuerungen überfahren, so wehren sie sich, indem sie die Neuerung ablehnen. "Akzeptanz ist kein Problem", erklärt Asam zu den Grenzen der TV, "wenn der TV-Automat in kleinen, zahlreichen Schritten eingeführt wird. Anderenfalls fühlen sich die Mitarbeiter überfordert."

Dieser Ansicht stimmt auch Max Gegenfurtner, Institut für Textverarbeitung in Stuttgart, zu. Da die menschliche Aufnahmefähigkeit begrenzt sei, biete eine allmähliche Einführung der Textverarbeitung, ähnlich damals der Datenverarbeitung, keine Probleme. In vielen TV-Bereichen würden jedoch in kurzer Zeit große Änderungen vorgenommen, mit denen die Betroffenen nicht fertig würden.

Daß auch die großen Hersteller von TV-Geräten die Akzeptanz als Problem ansehen, darauf deuten die zahlreichen Schriften zu den Themen Ergonomie im Büro oder Bildschirm-Arbeitsplatz hin. Möglicherweise, so Asam, mindert die private Nutzung von Bildschirmtext als Computerleistung zu Hause unterschwellig auch die Abwehr, die gegen die automatisierte Textverarbeitung am Arbeitsplatz heute noch herrscht.

Wirkung auf gesellschaftlichen Bereich

Nach einer Berechnung des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung waren 1976 rund 2,64 Millionen Beschäftigte im textverarbeitenden Bereich tätig. Die breite Einführung der Textverarbeitung - auf einen Schlag sozusagen - könnte nach Ansicht von Gegenfurtner 800 000 Schreibkräfte freisetzen. Wenn sich in zehn bis 15 Jahren der Sprachsynthesor durchsetzte, stiege die Zahl der Arbeitslosen, die die neue Technik

der Textverarbeitung im Büro freisetzte. "Man weiß heute noch nicht, wie man diese massiven Nebenwirkungen handhaben soll," meint Gegenfurtner. Je schneller die Technik

Neuerungen anbietet, desto weniger seien die Konsequenzen in den Griff zu bekommen. Heute werde noch rationalisiert, um mit einem konstanten Stamm an Personal die Aufgaben zu bewältigen. Ebensowenig wie die gesellschaftlichen Probleme, die aus steigender Arbeitslosenzahl erwüchsen, ließen sich die Veränderungen im kulturellen und zivilisatorischen Bereich absehen, was die Verbreitung der Textverarbeitung begrenzen könnte.

Ohne frauliche Tugenden

Doch weil die Textverarbeitungsautomaten nur elektronische Maschinen sind, fehlen ihnen die fraulichen Tugenden, die die perfekte Sekretärin kennzeichnen, das Manko schafft Vorbehalte gegen die Technik. Jeder Sachbearbeiter möchte seine Vorzimmerdame als Prestige-Objekt behalten, äußerte ein Seminarteilnehmer auf dem Temex-Arbeitskreis. Zum anderen spult die Maschine ihr Programm ab, während die Sekretärin allzeit bereit für störende Aufträge ist, eine der Forderungen, die nach einer Studie des Soziologischen Forschungsinstitutes Göttingen an eine "gute" Sekretärin gestellt wird. Unwahrscheinlich auch, daß der Apparat als "Assistentin und Partnerin" auf die Launen "seines" Chefs eingeht, persönlich hoch engagiert ist, sich gleichzeitig unterordnet und selbständig Aufgaben löst, oder, wie in einem Lehrbuch für die Chefsekretärin steht "den Chef entlastet und alle für ihn unwesentlichen Dinge von ihm fernhält."

Lernen aber auch Männer, wie es Gegenfurtner den Sachbearbeitern anempfiehlt, mit der Tastatur einer Schreibmaschine umzugehen, so können die so Emanzipierten am TV-Automaten einen Arbeitsgang vollständig erledigen, ohne auf die Hilfe ihrer Sekretärin angewiesen zu sein. Gegenüber der Sekretärin hat der programmierbare Automat noch den Vorzug von Flexibilität. "Je mehr sie (die Sekretärin) für ihren Chef wert ist, desto größer ist die Gefahr," folgert die Untersuchung, "daß sie nur für diesen Chef etwas wert ist." Und an den Automaten, so zeigt die Erfahrung, sitzt heute auch weibliche Körperwärme die ab und an aufsteht, um dem Chef Kaffee zu holen.