Sesa-Seminar "Datenübertragungsnetze in Paketvermittlungstechnologie":

Mangelnde Kompatibilität behindert freie Kommunikation

24.11.1978

FRANKFURT (de) - Deutschlands DFÜ-Anwender, bislang mit der Datenpaketvermittlung kurz DPV - wenig vertraut, sollen jetzt eingehender über die Möglichkeiten dieser Technik informiert werden. Diesem Ziel ist eine Seminarreihe gewidmet, die von der Sesa-Deutschland GmbH durchgeführt wird. Sie will beispielhafte Realisierungen (Euronet) und offene Kompatibilitätsprobleme deutlich machen. Die Pläne der Deutschen Bundespost zur Errichtung eines öffentlichen DPV-Netzes schildert ein Seminar-Beitrag von Günther Giller; Mitglied der Euronet-Netzgruppe der DBP. Auszug:

DFV-Anwendungen und DÜ-Dienstleistungen der DBP haben sich seit Anfang der 60er Jahre entwickelt. Trotz starken Wachstums in der Vergangenheit steht die eigentliche Expansion noch bevor. Heute existieren meist insulare Netze einzelner Anwender, zwischen denen Verkehr kaum möglich ist. Mangelnde Kompatibilität und fehlende allgemein akzeptierte Standardisierung verhindern große Stückzahlen, führen zu hohen Preisen und blockieren viele Anwendungen und weiteres Wachstum.

Ziel der Fernmeldebetriebsgesellschaften ist es, weltweit die freie Kommunikation zwischen allen Anwendern zu ermöglichen beziehungsweise zu fördern. Hierzu stellen sie öffentliche Netze bereit. Die DBP sieht in dem geplanten öffentlichen Datenpaket-Vermittlungsdienst einen Basisdienst für kompatible Datenübermittlung, der im Bereich der Datentransportfunktionen die freie Kommunikation zwischen allen Dienstteilnehmern zu attraktiven Gebühren ermöglichen soll. Als Datentransport sind hier die Funktionen der physikalischen Ebene, der Netzzugangsprozedur sowie des Vielfachzugangs über eine Leitung gemeint. Dieses Datentransportsystem bietet vermittelte und feste Verkehrsbeziehungen mit weitgehender gemeinsamer Nutzung der Betriebsmittel des Netzes sowie Geschwindigkeitswandlung.

Sind offene DFV-Systeme aus Sicht der Post realisierbar?

Um die freie Kommunikation zwischen Prozessen und zwischen Prozessen und Anwender herzustellen, sind jedoch noch Vereinbarungen über zusätzliche Dienstleistungen notwendig, die sich des Basisdienstes der Datenpaket-Vermittlung (als eines transparenten Datentransportsystems) bedienen. Für einige dieser Dienstleistungen kann ein solches Netz unterstützende Funktionen erbringen (zum Beispiel Terminalunterstützung), für andere ist es denkbar, Absprachen zwischen Anwendern, EDV-Herstellern und Netzbetreibern zu treffen, die die freie Kommunikation ermöglichen.

Erarbeitete und vor allem durchgesetzte Normen helfen bei der Realisierung offener DFV-Systeme. In diesem Bereich haben die Fernmeldegesellschaften in der Vergangenheit schon erhebliche Beiträge geleistet und werden darin fortfahren. Ein in der Bundesrepublik Deutschland unter attraktiven Bedingungen angebotener Datenpaket-

Vermittlungsdienst könnte die Akzeptanz einheitlicher Schnittstellen- und Prozedur-Normen und damit die freie Kommunikation fördern. Die Post fördert hier offene DFV-Systeme mit Pilotprojekten (Berpex/Bernet/Euronet) und Untersuchungen über die Einführung eines öffentlichen Datenpaket-Vermittlungsdienstes.

Natürlich will die DBP nicht die Datenverarbeitung regeln oder einschränken. Sie will vielmehr durch das Angebot eines Datenpaket-Vermittlungsnetzes die Kommunikation zwischen allen Teilnehmern so weit wie irgend möglich fördern. Dabei sieht sie neben den Bedürfnissen ihrer Kunden auch die Nutzungsmöglichkeiten für innerbetriebliche Funktionen (Verbindung der Bildschirmtext-Zentralen, Postbankdienste etc).

Stand der Normung/Architekturmodell

Offene Kommunikationssysteme erfordern eine Standardisierung der Funktionsschichten (Protokollebenen) sowie ihrer Steuerungsverfahren und Schnittstellen zu den benachbarten Ebenen. International sind hier im wesentlichen zwei Gremien tätig:

- International Standardization Organisation (ISO) und

- Comite Consultatif International Telegraphique et Telephonique (CCITT) (ein technisches Komitee der internationalen Fernmeldeunion UIT).

ISO und CCITT haben sich abgestimmt, die erforderlichen Normen im gegenseitigen Einvernehmen zu bearbeiten. Funktionen der Fernmeldeeinrichtungen werden primär von der CCIIT betreut. Die Schnittstellen werden in gegenseitiger Konsultation bearbeitet Protokolle höherer Ebenen betreut die ISO.

In der Normung offener Kommunikationssysteme steht man heute erst am Anfang. Ein Unterkomitee der ISO (SC 16), das sich mit diesen Problemen beschäftigt, wurde Anfang 1977 gegründet. Nur für die untersten Ebenen im vielschichtigen Architekturmodell für offene Kommunikationssysteme liegen derzeit allgemein akzeptierte Steuerungsverfahren beziehungsweise Schnittstellenvereinbarungen vor. Hier sind insbesondere die V.- und X.-Empfehlungen des CCITT für die Schnittstellen DÜE/ DEE und die ISO-Standards zu Basic- Mode- und HDLC-Übertragungssteuerungsverfahren zu nennen.

Für die Transportfunktionen eines DPV-Netzes liegen - bezogen auf die Schnittstelle zwischen Datenübertragungseinrichtung (DÜE) und Datenendeinrichtung (DEE) - Vereinbarungen in Form der CCITT-Empfehlung X.25 für die Funktionsschichten (Ebenen) 1 bis 3 der Protokollhierarchie vor.

Aufgaben der Funktionsebenen nach Empfehlung X.25

In der Empfehlung X.25 werden behandelt:

- Ebene 1 regelt die physikalische Kopplung der Datenendeinrichtungen mit dem Fernmeldenetz über die Schnittstelle zwischen DÜE und DEE. Die diesbezüglichen Festlegungen in X.25 sind identisch mit der CCITT-Empfehlung X.21 für neue Datennetze. Im Netz der Deutschen Bundespost wird X.21 ab 1981 allgemein zur Verfügung stehen. Übergangsweise kann die Schnittstelle X.21bis eingesetzt werden.

- Ebene 2 beinhaltet ein HDLC-Übertragungssteuerungsverfahren für den Ablauf der Datenübertragung zwischen DÜE und DEE. Die Festlegung dieser HDLC-Prozedur ist durch die ISO geschehen. Da bei der Verabschiedung von X.25 im Jahre 1976 noch kein endgültiger ISO-HDLC-Standard vorlag, basierten die Festlegungen zur Ebene 2 in X.25 zunächst auf vorläufigen Arbeitsergebnissen der ISO. Diese erste Vereinbarung in X.25 wird heute als LAP A bezeichnet (Link access procedure, Version A, gelegentlich auch, wie in der Empfehlung aufgeführt, LAP ohne Zusatz), LAP A entspricht nicht den heutigen ISO-Standards. Mitte 1977: wurde LAP A in X.25 durch eine mit ISO abgestimmte, normengerechte HDLC-Version, die LAP B abgelöst. Das CCITT kam überein, bestehende oder in der Realisierung befindliche DPV-Netze zunächst mit der Version LAP A zu betreiben, langfristig jedoch, insbesondere für neue Projekte, einheitlich die Version LAP B einzusetzen. Das öffentliche Datenpaket-Vermittlungsnetz der DBP wird mit der Version LAP B arbeiten. Das zugrunde liegende allgemein einsetzbare HDLC-Steuerungsverfahren zwischen gleichberechtigten DEE auf Punkt-zu-Punkt-Verbindungen wird Anfang 1979 von DIN in eine deutsche Norm überführt werden. Die LAP B ist kompatibel mit dem balanced ISO-Verfahren (Kl BAS, Optionen 2.8.11 und 12).

- Ebene 3 in X.25 regelt den eigentlichen Ablauf auf der Paketebene. Die Empfehlung behandelt zur Zeit nur virtuelle Verbindungen und virtuelle Leitungen. Ein Datagrammdienst wird noch diskutiert.

In einigen Punkten der X.25 werden Vereinbarungen zwischen Netzbetreiber und Anwender behandelt. Die erforderlichen Angaben wird die DBP in Abstimmung mit den Anwenderbedürfnissen rechtzeitig bekanntgeben.

Aufgaben der Empfehlungen X.3, X.28 und X.29

DEE, die nicht die Empfehlung X.25 erfüllen, können über PAD-Einrichtungen an das DPV-Netz herangeführt werden. Die rufenden DEE und die angerufenen X.25-Hauptanschlüsse müssen bei der Abwicklung der Datenübermittlung bestimmte Regeln einhalten.

Die PAD-Einrichtung ist in einer Empfehlung X.3 beschrieben. Für asynchrone Datenstationen von 110-300 bit/s sind die Regeln zur Datenübermittlung zur PAD in der Empfehlung X.28 angegeben. Die Steuerung zwischen PAD und gerufenem X.25-Hauptanschluß legt die Empfehlung X.29 fest.

In einigen allgemein zugänglichen Datenpaket-Vermittlungsnetzen werden die Regeln der Empfehlungen X.28 und X.29 auch für Geschwindigkeiten bis zu 1200 bit/s verwendet.