Knowledge-Management im zweiten Frühling

28.01.2002
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
Trotz stagnierender IT-Budgets soll der Markt für Knowledge-Management-(KM-)Lösungen in den nächsten Jahren überdurchschnittlich wachsen. Dabei werden die Tools immer umfangreicher. Im Gegenzug kommt es zu gravierenden Veränderungen auf Seiten der Anbieter.

Die Branche der Knowledge-Management-Entwickler steckt seit jeher in der Zwickmühle zwischen großen Heilsversprechen und einer vermeintlich deprimierenden Realität: "KM-Systeme kosten Unsummen, Projekte werden in der Regel nicht abgeschlossen, kaum ein Mitarbeiter nutzt die Tools, und der Return on Investment (ROI) lässt sich wegen vieler weicher Faktoren sowieso nicht bestimmen", lauten nur die gängigsten Vorurteile gegenüber einer IT-gestützten Wissensverwaltung.

Verständlicherweise genießen derartige Projekte keinen sonderlich guten Ruf in Unternehmen, was sich auch in Zahlen ausdrückt: Für mehr als drei Viertel aller deutschen Konzerne und Mittelständler spielt Knowledge-Management keine Rolle, hat die Meta Group in einer aktuellen Studie herausgefunden. Trotz der teilweise berechtigten Kritik ist das Segment jedoch beileibe noch nicht tot - oder zumindest nicht mehr, denn die Analysten erwarten für die nächsten Jahre eine Renaissance des Marktes. So sollen bis zum Jahr 2003 rund 75 Prozent der weltgrößten 2000 Unternehmen Prozesse und Techniken implementiert haben, die sich um die Verwaltung ihrer Wissensbestände drehen. Daher hält die Meta Group jährliche Wachstumsraten von über 30 Prozent in dem Bereich für realistisch.

Knowledge-Management, so viel scheint sicher, putzt sich mit Nachdruck für einen zweiten Frühling heraus. Dabei hat sich an den Argumenten für die Implementierung eines KM-Systems nicht viel geändert: Zu den primären Zielen zählt immer noch, Innovationen zu beschleunigen, die Produktivität zu erhöhen und das "intellektuelle Kapital" so aufzubereiten, dass damit eine Rendite erwirtschaftet wird.

Jedoch lasse sich derzeit ein Umdenken bei den Anwendern feststellen, was den Umgang mit der Ressource "Wissen" betrifft, meint Meta-Analyst Marc Tenbieg. Daher ist in dem IT-Segment auch keine so starke Kaufzurückhaltung zu spüren wie in anderen Bereichen. Um die gewünschten Effekte beim Anwender erzielen zu können, müssen allerdings übergreifende Lösungsansätze her. Knowledge-Management sollte in jedem Fall mehr sein als die reine Sammlung, Ablage und Verteilung von Informationen. Gefordert wird laut Tenbieg ein "ganzheitliches und integriertes Konzept", mit dem die Unternehmen kontinuierlich das Wissen ihrer Mitarbeiter erschließen, speichern und austauschen können. Für Anbieter bedeutet dies, dass sie mit funktional isolierten Programmen allein auf weiter Flur stehen. Aber: "Allein kommt man nicht weiter", schätzt Tenbieg den Markt ein.

Dies haben inzwischen auch die einschlägigen Anbieter erkannt, weshalb sich der Produkttrend von vermeintlich smarten Insellösungen hin zu komplexen Gesamtarchitekturen verlagert hat. Gerade kleinere Softwarehäuser reichern ihre Programme nach Erkenntnissen der Analysten mit neuen Funktionen an, um sich als kompletter Knowledge-Management-Lieferant am Markt zu positionieren. Folglich ist die Branche zersplittert; alles überragende, so genannte Key Player hätten sich laut Meta Group noch nicht durchgesetzt.

Allerdings profitieren Firmen wie Microsoft, SAP oder IBM von ihrem Bekanntheitsgrad, auch wenn sie nicht immer "wirkliche" Knowledge-Management-Lösungen vorweisen können, urteilen die Analysten. Integration in Portal-Frameworks Da die kleineren Anbieter nicht über Nacht ein komplettes Angebot aus dem Boden stampfen können, verfolgen sie eine zweigleisige Strategie: Einerseits müssen sie ihre vorhandenen Produkte weiter auf bestimmte Bereiche fokussieren, andererseits sind sie gehalten, ihre Lösungen auf Standardplattformen anzubieten. Hintergrund hierfür ist die vereinfachte Integration in Portal-Frameworks.

In diesem Zusammenhang gewinnen laut der Meta Group strategische Partnerschaften von Anbietern mit komplementären Produkten in den nächsten Jahren eine größere Bedeutung. Dass es in dem Prozess vermehrt zu Fusionen wie beispielsweise von den am Neuen Markt notierten deutschen Anbietern USU und Openshop kommt, ist ebenfalls zu erwarten. Größere Unternehmen, etwa aus dem Portal-Business, kaufen sich die intensive Entwicklungsleistung kleiner KM-Firmen ein, um die eigenen Produkte mit den neuen Funktionen aufzuwerten. Im Verbund mit Portalen und E-Learning-Programmen bildet sich dann eine holistische Gesamtlösung heraus. Diese lässt sich in einigen Jahren nur mehr schwer als Knowledge-Management identifizieren. Die kleinen Spezialanbieter liefern sich derweil einen Wettkampf im "Tal der Tränen", wie Tenbieg bemerkt. Die Frage dabei ist, ob und wann ihnen die Luft ausgeht.

Externe Dienstleister profitieren

Zu den Gewinnern des Trends zu übergreifenden Knowledge-Management-Lösungen zählt hingegen zweifellos die Garde der IT-Berater. Nach Erkenntnissen der Meta Group planen 72 Prozent der befragten Anwenderunternehmen, bei ihren Projekten externe Dienstleister oder die Consultants der Anbieter zu verpflichten. Da gleichzeitig mehr als die Hälfte der Anwender Knowledge-Management als ein kontinuierliches Projekt verstehen, ergibt sich laut Meta-Analyst Tenbieg für Berater ein "recht interessantes Geschäft". Erschwerend komme hinzu: "Ohne ausgeprägtes Consulting kann ein Anbieter heute kaum noch bestehen."

Ein Problem für das weitere Wachstum des Knowledge-Management-Marktes ist jedoch das gegenwärtige Bemühen in den Unternehmen, IT-Projekte verstärkt auf ihre Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Dies ist zwar nachvollziehbar, greift für Knowledge-Management jedoch häufig zu kurz: Zwei Drittel der befragten Anwenderunternehmen gaben zu Protokoll, dass sich die Profitabilität eines KM-Projektes anhand von messbaren Kriterien nicht nachweisen lässt. Trotzdem ist sich Tenbieg sicher: "Knowledge-Management ist künftig eine Selbstverständlichkeit in großen Unternehmen."