Kienbaum-Studie: IBM steht mit den Mainframes vor großen Herausforderungen

17.04.1992

*Dr. Karl Bell ist Geschäftsgebietsleiter der Kienbaum Unternehmensberatung in Düsseldorf.

DV-Manager sind in heutigen Zeiten nicht zu beneiden: Sie müssen schon gut argumentieren können, um weitere Großrechner-Investitionen gegenüber ihren Controllern aus der Vorstandsetage rechtfertigen zu können. Andererseits müssen sie mit den blauen "Sünden" der Vergangenheit leben. Die Unternehmensberatung GmbH Kienbaum und Partner aus Gummersbach hat zu diesem Thema eine Studie erstellt, die die langfristige Marktposition der ES/390-Architektur beleuchtet und eine Einschätzung der Anwender-Optionen für die Zukunft vornimmt.

Die Mainframe-Architektur von IBM sieht sich in den 90er Jahren drei grundlegenden Herausforderungen gegenüber:

- Die Grenzen der S/360- und S/370-Architektur sind erreicht und müssen insbesondere für zunehmende Online-Datenverarbeitung (OLTP) überwunden werden;

- IBM-Wettbewerber (Amdahl und Hitachi) bieten ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis und darüber hinaus attraktive Zuwachsraten an;

- Die IBM-Mainframes müssen ihrer zunehmenden Rolle als große Datenbank-Server gerecht werden, indem sie Multivendor-Umgebungen und Multitechnologien in Client-Server-Umgebungen unterstützen.

Wie erwartet, deckte die Ankündigung der ES/390-Architektur im September 1990 die Übergangspläne der IBM auf, wie die S/360- und S/370-Architektur in die künftige Mainframe-Architektur ("Planets" erwartet 1996/1998) überführt werden soll. Die ersten Modelle der ES/9000-Serie repräsentierten im wesentlichen eine Fortsetzung der 3090-Architektur. Erst die Modelle 820 (4-Wege-Prozessor) und 900 (6-Wege-Prozessor) verkörpern die neue Prozessor-Architektur, die voraussichtlich auch die Basis für IBMs High-end-Mainframe-Entwicklung in den 90er Jahren darstellen wird.

Die Innovation besteht im wesentlichen in den neuen Interconnect Communication Elements (ICEs), die die Kanalsubsysteme, die Erweiterungsspeicher und deren Kommunikation managen, während die System Control Elemente (SCEs) jetzt nur noch die Zentralprozessoren und den Hauptspeicher überwachen.

Dieses ist der grundlegende Unterschied in den beiden Architekturen. In der neuen Architektur gibt es jetzt zwei weitgehend separate Kommunikationskomponenten: Die neuen SCEs und die ICEs. Dadurch wird eine weitgehende Isolierung der zentralen Prozessorfunktionen von den I/O-Funktionen erreicht. Diese grundlegend neue Architektur, später verbunden in der vollständigen Sysplex-Architektur, wird in einigen Jahren den Zusammenschluß von bis zu 64 Prozessoren ermöglichen, die alle unter dem Single-ESA-Image operieren können.

Softwareausgaben werden um 20 Prozent steigen

Die weiter steigende Nachfrage nach großen Mainframe-Architekturen wird vorangetrieben durch den zunehmenden Aufbau von großen Datenbasen sowie dein dann häufig benötigten Online-Zugriff auf diese Daten. Vor diesem Hintergrund wird DB/2 die großen Systeme als Datenbank dominieren, auch unter dem Aspekt, daß IBM die Leistungsfähigkeit von DB/2 um 25 bis 30 Prozent jährlich steigern wird. Diese Steigerung wird durch eine stärkere Integration von DB/2-Funktionen in das Betriebssystem beziehungsweise betriebssystemnahe Facilities erreicht.

In dem Maße wie MVS/ESA sich weiter entwickelt, werden auch zunehmend DB/2-Elemente in VM und VSE integriert werden. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß IBM in den kommenden Jahren über ausreichende Ressourcen verfügen wird, um die Summit-Sysplex/MVS-Funktionalität über alle ihre Betriebssystem-Plattformen (VM, VSE) bereitzustellen. Aus diesem Grunde wird es in den kommenden Jahren zu einer Art Konvergenz der Betriebssysteme kommen, wobei jedoch nach wie vor auf die Stärken jedes einzelnen Systems hingewiesen werden wird. CICS, IMS/DC und DB/2 werden ihre Operabilität weiter verbessern und ihre Leistungsfähigkeit und Robustheit als Komponenten der DB/2-basierten S/390-OLTP-Plattform ausbauen.

Vor diesem Hintergrund ist zu prognostizieren, daß die Softwareausgaben von Großanwendern um jährlich 20 Prozent steigen werden - in Abhängigkeit von den zunehmend integrierteren IBM-Software-Produkten sowie der Forderung nach völlig neuer Software. Demgegenüber ist davon auszugehen, daß die Preiskurve (Preis-Leistungs-Verhältnis) der CPUs von derzeit 92 Prozent auf zirka 87 Prozent bis 1994/95 fällt. Der Speicherpreis wird von derzeit 97 Prozent auf voraussichtlich 83 Prozent und der von DASDs von derzeit 87 Prozent auf 80 Prozent sinken.

Diese Preisentwicklung versteht sich vor dem Hintergrund, daß die weitgehend offengelegte Mainframe-Architektur von IBM es dem Wettbewerb ermöglicht, verstärkt Prozessoren, Haupt-/ Erweiterungsspeicher und auch Magnetplatten als Alternative zu IBM selbst anzubieten.

Als erste Reaktion auf diese Entwicklung ist davon auszugehen, daß IBM voraussichtlich bereits im dritten Quartal 1992 die erste Summit-Leistungserweiterung ("E-Modell" in 3090-Terminologie) ankündigen und bereits im vierten Quartal 1992 mit der Auslieferung beginnen wird. Bei einer 20prozentigen Leistungssteigerung ist vom gleichen Listenpreis wie heute auszugehen.

33 % weniger Leistung von IBM als von Amdahl

Die Leistungssteigerung wird insbesondere durch Amdahls deutlich höhere Uniprozessorleistung (52 MIPS gegen IBMs 42 MIPS) bewirkt. Aber auch Amdahls 8-Wege-Prozessor und die angekündigte Extended-Performance-Facilities (EPF, Verfügbarkeit voraussichtlich zweites Quartal 1992), haben IBM in eine defensive Rolle gedrückt. IBM muß daher früher als ursprünglich angenommen ebenfalls ein 8-Wege-Prozessor-Modell ankündigen, das aber dennoch erst im zweiten Quartal 1993 verfügbar sein wird. Als Ergebnis muß man deshalb davon ausgehen, daß IBM in den nächsten zwölf bis 18 Monaten zirka 33 Prozent weniger Leistung anbieten kann als Amdahls 5995/8650.

Diesen Nachteil will die IBM durch die neue SES-basierte Architektur (Shared Expanded Storage) ausgleichen, die voraussichtlich im vierten Quartal 1992 angekündigt und im ersten Halbjahr 1993 verfügbar sein wird. Diese Architektur wird den Anwender zu signifikanten Upgrades von den gegenwärtigen Summit-Modellen zwingen. Da nach wie vor die IBM-Architektur im Mainframe-Bereich ohne Alternative bleibt, sichert sich IBM durch das entsprechende Software-Umfeld (ESA/390, Syspex Phase II) einen funktionellen Vorteil gegenüber den PCMern.

Bei dann nachlassenden Hardware-Preisen bis zu zirka 30 Prozent unter dem gegenwärtigen Vergleichspreis werden die Softwarepreise deutlich angehoben. Durch ein dann zu erwartendes Packaging von Software und attraktiven SES-Speicherpreisen, hofft IBM, den zwölf- bis 18-monatigen Preisvorsprung der PCMer durch höhere Funktionalität ausgleichen zu können.

Dem Großanwender bleiben innerhalb der IBM-Architektur nur wenig Spielmöglichkeiten. Ein Aspekt ist das Downsizing von solchen Anwendungen, die nicht zwingend auf IBM-Mainframe-Architekturen angesiedelt werden müssen. Dies ist von Fall zu Fall sorgfältig zu prüfen und insbesondere sind Anwendungen auszulagern, die nicht zwingend OLTP erfordern. Alternativen im Unix-Bereich und entsprechend vernetzte Systeme sollten verstärkt untersucht werden.

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß bis heute immer noch keine leistungsfähigen Unix-Systeme zur Verfügung stehen, die kommerzielle Anwendungen mit mehr als 50 bis 60 Terminals pro Server bedienen können. Zum anderen fehlt noch immer der Nachweis, daß verteilte Datenbanken auf diesen Systemen wirklich kommerziell genutzt werden können. Diese beiden Handicaps (Hardware und Datenbanksoftware) werden voraussichtlich erst 1994/95 zu lösen sein. Hinzu kommt, daß die Thesen oder Erwartungen in "Offene Systeme" heute noch nicht in dem Maße erfüllt worden sind wie ursprünglich angenommen. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf die zahllosen unterschiedlichen Unix-Derivate verwiesen, die eine tatsächliche Portierbarkeit der eingesetzten Software definitiv erschweren.

Unübersehbar hingegen ist, daß bei den sogenannten "Offenen Systemen" klare Vorteile im Preis-Leistungs-Verhältnis wegen der zunehmenden Weitergabe der relativ niedrigen Entwicklungskosten zu beobachten sind. Trotz der vergleichsweise leichten Vernetzung haben diese Systeme aber noch immer erhebliche Nachteile hinsichtlich der Sicherheit, der Verfügbarkeit, des TP-Monitoring sowie im System- und Datenmanagement, was ihre Nutzbarkeit als Ersatz für Mainframe-Architekturen einschränkt.

Innerhalb der IBM wird der Wettbewerb stärker

Sucht man die längerfristige Einschätzung der Geschäftsperspektiven von IBM, ist vor diesem Hintergrund festzustellen, daß IBM durch den relativ frühzeitigen Start der internen Restrukturierung heute eine recht gute Ausgangsposition für die Geschäftsperspektive der 90er Jahre hat. Trotz eines definitiven Umsatzrückgangs im abgelaufenen Geschäftsjahr 1991 (64,79 Milliarden Dollar; - 6,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr) und einem Nettoverlust von 2,8 Milliarden Dollar ist längerfristig mit einer deutlichen Stabilisierung sowohl des Umsatzes als auch des Gewinns bei IBM zu rechnen. Bei dem Nettoverlust ist anzumerken, daß hier erhebliche Rückstellungen (zuletzt von 2,26 Milliarden Dollar) für die Restrukturierungsmaßnahmen enthalten sind.

Daß diese Restrukturierungsmaßnahmen sich bereits auszuwirken beginnen, ist auch daraus ersichtlich, daß IBM Deutschland einen Umsatzzuwachs von zwölf Prozent (nur Inlandsumsatz) gegenüber dem Vorjahr ausweist. Berücksichtigt man im Ergebnis des Umsatzes auch den Export, liegt die Steigerungsrate Hoch immer bei beachtlichen elf Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Nun ist allerdings diese Umsatzsteigerung nicht allein auf die Restrukturierungsmaßnahmen und den Personalabbau zurückzuführen, sondern geht vielmehr auf einen erheblichen Anteil des sogenannten Traditional Win Backs zurück: IBM konnte aufgrund der zunehmenden Abwendung der Anwender von alten Nixdorf-Systemen einen erheblichen Umsatzzuwachs insbesondere bei den AS/400-Systemen in Deutschland verzeichnen.

Der Trend innerhalb von IBM Corporation hin zu stärkeren Gliederungen in profitverantwortliche Business Units wird voraussichtlich auch in den nächsten Jahren in Deutschland Einzug halten. Dabei ist nicht zu übersehen, daß sich dann die einzelnen Business Units innerhalb von IBM einen stärkeren Wettbewerb untereinander liefern werden.

Bereits heute ist festzustellen, daß einzelne "Special Offers" der IBM sehr attraktive Konditionen bieten, bei deren Abschluß aber die jeweiligen Einheiten (insbesondere AS/400, Magnetbandeinheiten) nicht auf die vorhandenen RMO-Verträge angerechnet werden. Für den Anwender können dies zum Teil sehr interessante Angebote sein, dennoch sollte er sorgfältig prüfen, inwieweit er gegebenenfalls in eine nächst niedrigere Stufe bei seinem RMO-Rabatt fallen könnte.