Neue Berlecon-Studie enthält nur spärliche Hinweise auf eine Trendwende

Keine Entwarnung für den IT-Servicemarkt

12.09.2003
MÜNCHEN - Die IT-Dienstleister rechnen noch in diesem Jahr mit mehr Umsatz, Gewinn und Auftragsbestand, sowie für das kommende Jahr mit höheren Honoraren. Doch der Markt wird sich vermutlich nur vorübergehend erholen. Die IT-Dienstleistungsbranche steht vor einem tiefgreifenden Strukturwandel.CW-Bericht, Joachim Hackmann

Die Anzeichen dafür, dass sich die deutsche Wirtschaft erholt, mehren sich. Der Ifo-Geschäftsklima-Index steigt, die Unternehmenzahlen bessern sich und die Aktienkurse ziehen langsam, aber sicher an. Unter den hiesigen IT-Dienstleistern macht sich allerdings nur verhalten Optimismus breit, das zeigt eine vom Berliner Marktforschungshaus Berlecon Research betriebene Umfrage. Dazu wurden im Zeitraum Mai bis Juli 206 IT-Dienstleister befragt. In der Mehrzahl erwarten die Anbieter steigenden Umsatz, Gewinn und Auftragsbestand (siehe Grafik: "Die Hoffnung keimt"). Zuversichtlich sind vor allem die Systemintegratoren und Outsourcer, argwöhnisch schauen hingegen die IT-Consultants in die Zukunft. "Die Umsetzung ist mehr gefragt als die Beratung zu bahnbrechenden neuen Strategien", erläutert Thorsten Wichmann, Geschäftsführer von Berlecon Research, die Zahlen.

Kein nachhaltiges Wachstum in Sicht

Allerdings sträubt sich der Marktforscher, die Ergebnisse als eine Wendung zum Besseren zu werten, zu heterogen erscheinen ihm die Ergebnisse. Einer Vielzahl positiv gestimmter Dienstleister steht eine etwas kleinere Gruppe von Skeptikern gegenüber. Dennoch: "Es gibt ein paar Indikatoren, die auf eine Trendwende schließen lassen könnten", formuliert er vorsichtig. "Die Unternehmen erwarten beispielsweise im laufenden Jahr noch fallende, aber für 2004 wieder steigende Tagessätze."

Wenn es einen Aufschwung gibt, dann ist er nur von kurzer Dauer, das zumindest glaubt Dietmar Fink, Professor für Unternehmensberatung an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg und Geschäftsführer der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung in Bonn: "Mag sein, dass der Markt anspringt, doch das wachsende Geschäft wird vornehmlich getragen durch den Nachholbedarf der Unternehmen. Vor allem kleine und mittlere IT-Dienstleister, die sich heute darüber freuen, werden morgen feststellen, dass das Geschäft wieder abflaut. Die Branche sollte das jetzige Marktniveau als dauerhaft akzeptieren."

Die Unternehmen reagieren auf die mittlerweile zwei Jahre andauernde Krise mit den bekannten Mitteln, sie versuchen, ihre Ausgaben zu reduzieren. "Die Dienstleister setzen vor allem darauf, ihre internen Prozesse schlanker zu gestalten. Zwei Drittel der Befragten sehen hier das größte Potenzial, um Kosten zu senken", schildert Wichmann. Zudem werden die hiesigen Service-Provider weiterhin ihre Pesonalstruktur anpassen, sprich Stellen abbauen: 42 Prozent der Befragten rechnen noch im laufenden Jahr mit weniger Personal, nur zwanzig Prozent wollen Mitarbeiter einstellen.

Zukunftstauglich ist das nicht, wer auch künftig im Geschäft bleiben will, muss neue Wege finden, denn aus dem prosperierenden IT-Servicegeschäft ist ein Verdängungswettbewerb geworden. "Die wenigsten Dienstleister haben einen professionellen Vertrieb aufgebaut, verkauft wurde, indem man eingehende Anrufe angenommen hat. Die gesamte Branche hat sich Strukturen geleistet, die ausschließlich auf Wachstum ausgerichtet waren", schildert Fink, "doch das funktioniert nicht mehr." Neben hauptamtlichen Vertriebsmitarbeitern gilt es für die Dienstleister, das Marketing auszubauen und die internen betriebswirtschaftlichen Abläufe zu professionalisieren. "Wer jetzt damit beginnt, hat einen Startvorteil, denn das Gros der Branche tut seit zwei Jahren nichts", schimpft Fink.

Gerangel um den Netzkunden

Großes Marktwachstum ist also passé, die Unternehmen können nur noch auf Kosten der Konkurrenz zulegen. Offenbar ahnen die Servicehäuser das, denn die Berlecon-Studie förderte das (an den Maßstäben früherer Jahre gemessen) überraschende Ergebnis zutage, dass 76 Prozent der Befragten Umsatzsteigerungen durch Neukundengeschäft anstreben. Da es aber kaum noch Anwenderunternehmen geben dürfte, die nicht schon den einen oder anderen Dienstleister beschäftigen, bedeutet dies Verdrängung. Wichmann bestätigt: "Ich würde mich nicht wundern, wenn wir im nächsten Jahr einen intensiven Wettbewerb sehen, dem der eine oder andere Anbieter nicht gewachsen ist."

Die meisten bleiben draußen

Dieser Entwicklung wird aber nicht nur der eine oder andere Name zum Opfer fallen, auch die verbleibenden Unternehmen müssen sich in einem neuen Umfeld orientieren. Gleich mehrere aktuelle Trends haben grundlegenden Einfluss auf die IT-Dienstleistungslandschaft der Zukunft, in der neue Arten von Generalisten, Spezialisten, Subunternehmern und Service-Providern-Netzwerken entstehen. Zum einen suchen vornehmlich die großen IT-Dienstleistungshäuser nach neuen Serviceformen, weil sich das IT-Consulting-Geschäft herkömmlicher Prägung nicht mehr lohnt. Zum anderen reduzieren die Anwenderunternehmen schon seit geraumer Zeit die Zahl ihrer Dienstleister auf wenige strategische Partner. Vor allem kleine und mittlere Anbieter sowie Häuser mit austauschbaren Kenntnissen werden Gefahr laufen, keinen direkten Zugang mehr zu ihren Kunden zu finden.

Auf die Vollsortimenter unter den Serviceanbietern kommen neue Aufgaben zu. "Für die Unternehmen entsteht die Möglichkeit, Co-Kompetenzen gemeinsam mit dem Dienstleister aufzubauen. Das, was sich in der Fertigungsindustrie schon seit langem etabliert hat, nämlich die Senkung der Fertigungstiefe, wird sich auch in anderen Branchen und im internen Dienstleistungs- und Verwaltungsbereich durchsetzen", erläutert Fink. Banken und Versicherungen hätten beispielsweise eine Leistungstiefe von bis zu 90 Prozent. "Da schlummert noch ein gigantischen Potenzial", schwärmt Fink, allerdings: "Profitieren werden davon nur die Großen."

Der Kunde ist Partner

Denn um die Probleme der Kunden lösen zu können, sind Kompetenzen notwendig, die den bisherigen Strukturen zuwiderlaufen. Bislang gab es laut Fink die vier Servicebereiche Strategieberatung, Prozess- und Strukturentwicklung, Umsetzung und Betrieb. Dies verknüpfen die Dienstleiser in einer Art Servicematrix mit betriebswirtschaftlicher, technischer und HR- beziehungsweise Change-Management-Kompetenz verknüpften. Künftig müssen die Dienstleister nicht wie bislang nur Teile dieser Matrix beherrschen, sondern sämtliche Fähigkeiten miteinander verschmelzen. Gefragt ist eine durchgängige und an Prozessen orientierte Betreuung der Kunden.

Daraus entsteht zudem ein neues Beziehunsggeflecht: Das Kunde-Lieferanten-Verhältnis entwickelt sich zu einem Partnermodell, in dem der Dienstleister und der Kunde gemeinsam Verbesserungen in den Prozessen und Abläufen erarbeiten und sich die Gewinnen beziehungsweise Einsparungen teilen. Das Consulting- und Marktforschungshaus Lünendonk aus Bad Wörishofen prägte dafür den Begriff "Business Innovation Partner".

Sechs Vollsortimenter kommen durch

Fink sieht in diesem Markt nur wenige weltweit tätige Unternehmen, die die geschilderten Herausfordungen bewältigen können: Die IBM nach ihrer Akquisition des Consulting-Arms von Pricewaterhouse Coopers, Accenture, EDS im Verbund mit der Beratungstochter A.T. Kearney, Cap Gemini Ernst & Young, Bearingpoint und CSC. Kaum einer der Genannten ist jedoch heute bereits in der Lage, die skizzierten Leistungen im vollen Umfang zu erbringen. Dies eröffnet wiederum Möglichkeiten für kleine Anbieter, als Subunternehmer das Portfolio der Generalisten zu ergänzen. Doch eine dauerhaft tragbare Strategie ist das nicht, denn die großen Dienstleister werden in den nächsten zwei Jahren ihr Portfolio ausweiten.

Während die von Berlecon befragten IT-Dienstleister im kommenden Jahr steigende Tagessätze erwarten (siehe Grafik: "Soviel müssen Sie für einen IT-Berater ausgeben") geht der Consulting-Professor Fink von fallenden Honoraren und weiterem Personalabbau aus. Letzteres bestätigt sie Berlecon-Studie. Nur durch Flexibilität, Fokussierung und Vernetzung können sich die kleinen und mittelgroßen IT-Dienstleister der Bedrängnis durch Preisverfall, Verdrängungswettbewerb und zunehmender Präsenz der mächtigen Service-Provider erwehren.

Gemeinsam mit den Großen

"Für die mittelständischen IT-Dienstleister ist es sinnvoller, Netzwerke zu bilden und möglicherweise eine Allianz mit einem großen Partner einzugehen. Die Strategie, sich nur auf mittelständische Kunden zu konzentrieren, erachte ich nicht als sinnvoll, denn auch dort gibt es Bestrebungen Einkaufspartnerschaften zu formieren", warnt Fink. So hat sich in Frankfurt bereits eine Gruppe kleiner Privatbanken zusammengefunden, die ihre Abwicklungsprozesse zusammengeschlossen und einem großen Dienstleister übertragen haben. Jeder einzelne Auftrag wäre für den Service-Provider zu klein, um ihn sinnvoll betreiben zu können. Zusammengelegt ergeben sich jedoch für beide Seiten nutzbare Skaleneffekte, so dass sich auch die Kosten senken lassen.

Der von Fink beschreibene IT-Dienstleistungsmarkt der Zukunft lässt demnach kaum Platz für kleine und mittlere Dienstleister - realistisch ist dieses Szenario nicht. Es setzt voraus, dass die großen IT-Anbieter alle erforderlichen Fähigkeiten für eine Rundumversorgung beherrschen, und dass die Anwenderunternehmen das One-stop-shopping samt der potenziellen Gefahr der Abhängigkeit dem Ziel unterordnen, möglichst geringe Fertigungstiefe bei minimalen Kosten und Koordeinationsaufwand zu erzielen. "Ich räume ein, dass dieses Bild des zukünftigen IT-Dienstleistungsmarktes etwas überzeichnet ist", räumt Fink ein. "T-Systems und Siemens Business Services sind beispielsweise Unternehmen, die in bestimmten Bereichen auch die Rolle der Generalisten wahrnehmen können. Zudem wird es auch weiterhin Dienstleister mit reinem IT-Know-how und spezialisierte Strategieberater geben."

Die Herausforderung für die kleinen und mittlere Servicehäuser wird es sein, Spezialkenntnisse aufzubauen. Die Entwicklung scheint bereits im vollen Gange, denn 60 Prozent der von Berlecon befragten Häuser streben eine Fokussierung an. Zwischen den großen und kleinen Serviceanbietern könnte sich zudem ein Outsourcing-Verhältnis einstellen, in dem die Generalisten bestimmte Aufgaben an die Spezialisten auslagern. "Möglichkeiten gibt es", meint Berlecon-Geschäftsführer Wichmann, "etwa indem Entwicklungsarbeiten Offshore-Anbietern übertragen oder Helpdesk-Leistungen von Spezialisten eingekauft werden." Aktuell beschäftigen sich die Dienstleister laut Umfrageergebnis noch nicht mit diesem Thema. "Vermutlich scheuen sich die IT-Dienstleister derzeit Outsourcing-Leistungen einzukaufen, weil sie zunächst ihre eigenen Mitarbeiter auslasten wollen", meint Wichmann. Die aktuellen Probleme sind nach wie vor die dringlichsten.

Anbieter fokussieren

Das Berliner Marktforschungshaus Berlecon Research befragte zwischen Mai und Juli 206 deutsche IT-Dienstleister nach ihren Geschäftserwartungen für das laufende Jahr. Demzufolge rechnet eine kleine Mehrheit mit Besserung bei Umsatz, Gewinn und Auftragsbestand. Nichts Gutes verheißen hingegen die Ausichten für Personalstand und Preisentwicklung (siehe Grafiken). Erst ab 2004 erwarten die Anbieter steigende Honorare bei fallender Mitarbeiterzahl.

90 Prozent der Befragten wollen die Qualitätsführerschaft anstreben, nur ein Drittel setzt auf das Kostenargument. Möglicherweise ergeben sich also Versorgungslücken im Niedrigpreissegment. Die Dienstleister suchen sich zudem ihre Kunden nicht nach Größe, sondern nach Branche aus. 58 Prozent erklärten, dass Spezialisierung nach Industrien ein bedeutenden Positionierungsmerkmal darstellt, nur eine Viertel richtet seine Aktivitäten nach Größenklassen aus. Überraschenderweise spielt das Geschäft mit mittelständischen Unternehmen und der öffentlichen Hand für die meisten Anbieter keine bedeutende Rolle. Hier haben nur die großen Dienstleister erhöhtes Interesse gezeigt.

Abb.1: Soviel müssen Sie für einen IT-Berater ausgeben

Die von Berlecon befragten IT-Dienstleister rechnen im kommenden Jahr wieder mit steigenden Honoraren. Das Niveau vom Vorjahr wird jedoch noch nicht erreicht. Quelle: Berlecon Research

Abb.2: Die Hoffnung keimt

Die Mehrzahl der Dienstleister erwartet für 2003 steigende Zahlen bei Umsatz, Gewinn und Aufträgen. Auf eine Trendwende lässt das noch nicht schließen, denn die Gruppe der Skeptiker ist groß. Quelle: Berlecon Research