Auslieferungsprozess

Julian Assanges Stern droht zu sinken

06.02.2011
Julian Assange hat mit seinen Enthüllungen vor allem die USA herausgefordert.

In London wird jetzt über seine Auslieferung nach Schweden verhandelt - wegen Vergewaltigungsvorwürfen. Der Aufdecker Assange könnte am Menschen Assange scheitern.

Julian Assange wird von seinen Anhängern als größter Enthüller der Gegenwart angesehen. Tatsächlich hat er mit seiner Internetplattform Wikileaks in den vergangenen vier Jahren mehr unangenehme Wahrheiten für Regierungen, Bankiers, und Armeen ans Tageslicht befördert als die klassischen Medien zusammen. Der Mann, der die Medienwelt aufwirbelte, könnte bald hinter schwedischen Gardinen sitzen - als gemeiner Vergewaltiger, gestürzt über seine Schwäche für Frauen. Ab heute verhandelt ein Gericht in London über seine Auslieferung nach Skandinavien.

Wegen einer Frauengeschichte mundtot gemacht zu werden, das macht dem sonst furchtlos auftretenden Assange Angst. Zuletzt rief er in einer Videobotschaft sogar die Premierministerin seines Heimatlandes Australien um Hilfe. "Julia Gillard sollte aktive Schritte unternehmen, um mich nach Hause zu bringen", sagte Assange. Er sei in Großbritannien, wo er unter strengen Auflagen und mit elektronischer Fußfessel im Anwesen eines Freundes lebt, Todesdrohungen ausgesetzt.

Gegen Assange wird in Schweden unter anderem wegen Vergewaltigung ermittelt. Er hatte im August in Stockholm Sex mit zwei Frauen - im Grunde einvernehmlich. Im Nachhinein machten die beiden jedoch geltend, Assange habe gegen ihren Willen durchgesetzt, kein Kondom zu benutzen. Ein Präservativ soll er sogar aktiv zerrissen haben. Die Polizei - nicht die Frauen - erstattete Anzeige.

"Er besteht darauf, unschuldig zu sein. Es war einvernehmlicher Sex zwischen Erwachsenen", sagte Assange-Anwältin Jennifer Robinson der "Washington Post". Die Vorwürfe würden nach Ansicht vieler Juristen weder in Großbritannien noch in einem anderen europäischen Land zu einer Anklage wegen Vergewaltigung reichen. In Schweden gilt jedoch ein besonders hartes Strafrecht für Sexualdelikte. Den von Assange mehrfach geäußerten Verdacht, er solle von Schweden in die USA weitergereicht werden, halten Juristen dagegen für nicht stichhaltig. Eine Auslieferung von Großbritannien in die USA sei deutlich einfacher als von Schweden aus.

Assange fürchtet nicht nur um sein Leben, sondern auch um sein Lebenswerk. Sein Stern scheint - ganz zum Wohlgefallen der Spindoktoren im Weißen Haus und im Pentagon - zu sinken. Vom britischen "Guardian", jahrelang Medienpartner und Sprachrohr von Wikileaks, wandte er sich genauso ab, wie von der "New York Times". Die von Assange gezeichneten Porträts werden selbst in ihm bisher wohlgesonnenen Medien kratzbürstiger. Nicht mehr die Inhalte stehen plötzlich im Vordergrund, sondern Assanges schwierige Persönlichkeit.

In Deutschland und Großbritannien sind Bücher mit wenig schmeichelhaften Details über den platinblonden Australier erschienen. Das Buch des ehemaligen Mitstreiters und Wikileaks-Aussteigers Daniel Domscheit-Berg soll Ende der Woche erscheinen. Besonders in den Aufzeichnungen der "Guardian"-Journalisten David Leigh und Luke Harding, die unter anderem zeigen wie Assange bewusst Lebensgefahr für Informanten in Kauf nahm, kommt er nicht gut weg. Seitdem ist der "Guardian" für Assange die "schleimigste Medienorganisation Großbritanniens".

Wenn im April sein eigenes Buch erscheint, an dem er seit Wochen schreibt, könnte Assange schon in Schweden hinter Gittern sitzen. Ob er aber tatsächlich ausgeliefert wird, ist indes ungewiss. Sein Juristen-Team um die Staranwälte Mark Stephens und Geoffrey Robertson lässt nichts unversucht, den EU-weiten Haftbefehl der Justiz in Göteborg aufzuweichen. Tatsächlich will Schweden Assange offiziell nur ins Land holen, um ihn zu verhören. Es gibt bisher nur Ermittlungen, keine Anklage, gegen den 39-Jährigen. Dafür eine Auslieferung zu erwirken, sei nicht verhältnismäßig, sagen die Juristen.

Eine schnelle Entscheidung wird vom Londoner Belmarsh Magistrates Court nicht erwartet. Bis zu zehn Tage könnte es dauern, bis überhaupt die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. Dass - wie immer die Entscheidung ausgeht - die unterlegene Partei Rechtsmittel einlegen wird, gilt als sicher. Monate könnten vergehen, bis dann ein Berufungsgericht zu einer Entscheidung kommt. (dpa/tc)