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Roboter in Japan

Japan: Das Roboterwirtschaftswunderland

14.03.2008
Von Handelsblatt 
Für Science-Fiction-Autoren müsste Japan das Land der Verheißung sein: In keinem anderen Land der Erde ist die Robotertechnik so weit fortgeschritten. Roboter pflanzen Reis und betreuen die Felder, rollen mit dem Staubsauger durch die Gänge oder füttern Bewohner eines Altenheims mit dem Löffel. Ein Blick in die mögliche Welt von morgen.

Der Roboter Kansei ist ein programmierter Kriegsgegner: Hört er das Wort "Krieg", verzieht er sein Gesicht zu einem Ausdruck zwischen Ekel und Angst. Spricht man von der Liebe, fängt er hingegen an zu lächeln. Kansei ist das jüngste Projekt eines Robotik-Labors der Meiji-Universität am Rand von Tokio. "Wenn Roboter unter Menschen leben sollen, müssen sie mit komplexen sozialen Aufgaben umgehen können", erklärt Projektleiter Junichi Takeno. Die Studenten des Labors haben Kansei daher so verdrahtet, dass sein gummiartiges Gesicht sechs grundlegende Ausdrucksformen beherrscht: Angst, Ärger, Trauer, Glück, Überraschung und Ekel. "Roboter werden mit Emotionen umgehen müssen", sagt Takeno. "Sie müssen sie verstehen und irgendwann auch fühlen."

Bis dahin mag es noch ein sehr langer Weg sein. Von allen Ländern in der Welt ist Japan aber wahrscheinlich einer solchen Zukunft am nächsten. Was sich Science-Fiction-Autoren in zahllosen Romanen vorgestellt haben, könnte irgendwann Wirklichkeit werden: Dass Menschen und Roboter Seite an Seite zusammenwirken und sozial interagieren. In japanischen Fabriken sind Roboter schon jetzt so anerkannt, dass sie an ihrem ersten Tag mit Shinto-Zeremonien begrüßt werden. Es gibt Roboter, die Sushi-Gerichte garnieren. Andere pflanzen Reis und betreuen die Felder. Roboter werden für den Empfang in Firmengebäuden eingesetzt, sie rollen mit dem Staubsauger durch die Gänge oder füttern Bewohner eines Altenheims mit dem Löffel. Nicht alle Roboter haben eine menschliche Gestalt. Der Paro ist eine Kuschelrobbe, die Sensoren im Fell und unter den Schnurrhaaren hat und einsamen Menschen etwas maschinellen Trost spenden soll.

Für Japan ist die Entwicklung der Roboter eine Konsequenz aus der demographischen Entwicklung. Weil mehr als ein Fünftel der Bevölkerung älter als 65 ist, müssen Roboter Arbeiten verrichten, für die es keine Beschäftigten gibt. Sie sollen auch einen Teil der Altenpflege übernehmen, was in Europa noch undenkbar wäre. Das liegt auch an den unterschiedlichen Kulturen. Während Roboter in Japan schon immer als freundliche Helfer dargestellt wurden, treten sie in der westlichen Science-Fiction-Literatur oft als gewaltsame Horror-Maschinen auf. Die hohe Akzeptanz von Robotern in Japan führen Experten auch auf die Shinto-Religion zurück, welche dazu neigt, die Grenzen zwischen beseelten Wesen und unbeseelten Gegenständen zu verwischen.

"Japan ist das einzige Land der Welt, wo jeder eine elektronische Toilette hat", sagt der Technologie-Experte der Macquarie-Bank in Tokio, Damian Thong. "Es könnte sein, dass wir eine Robotik-Revolution erleben werden." Diese Entwicklung ist bereits mitten im Gange. Nach einer Studie der Macquarie-Bank sind in japanischen Betrieben mehr als 370.000 Roboter im Einsatz. Auf 1.000 Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe kommen 32 Roboter. Dabei stammen diese Daten aus dem Jahr 2005, inzwischen ist von höheren Werten auszugehen.

Roboter beschweren sich nicht über Überstunden und brauchen keine Altersversorgung. "Die Kosten von Maschinen sinken, während die Arbeitskosten steigen", sagt Eimei Onaga, Vorstandschef von Innovation Matrix, einer Firma, die japanische Roboter in die USA exportiert. "Schon bald könnten Roboter Arbeiter mit einfachen Tätigkeiten ersetzen und die Produktivität erheblich steigern." Solche Vorstellungen liegen ganz im Sinne der Regierung. Das Handelsministerium stellte im vergangenen Jahr einen Technologie-Zeitplan vor, wonach bis 2025 der Einsatz von einer Million Industrieroboter erwartet wird. "Roboter sind der Eckstein der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Japans", erklärte der Abteilungsleiter für Industriepolitik im Handelsministerium, Shunichi Uchiyama, kürzlich auf einem Seminar. "Wir erwarten, dass die Robotik-Technologie in immer weitere Branchen eindringt."

Der nächste logische Schritt sind Roboter im Alltagsleben. In einem Krankenhaus in Aizu Wakamatsu, 300 Kilometer nördlich von Tokio, rollt ein weiß-blauer Roboter von der Größe eines Kindes über die Flure und führt Patienten zur ambulanten Chirurgie. Die Maschine, hergestellt vom Startup-Unternehmen Tmsk, kennt einfache Begrüßungsformeln und erkennt Menschen mit Hilfe von Sensoren. Die Aizu-Chuo-Klinik gab für die Anschaffung von drei Robotern umgerechnet 363.000 Euro aus. Die Reaktionen seien überwiegend positiv gewesen, sagt Kliniksprecher Naoya Narita. "Wir denken, das ist eine gute Arbeitsteilung. Roboter werden nie Ärzte sein. Aber sie können die Aufgabe übernehmen, Patienten zu empfangen und zu ihrem Ziel zu führen."

Nicht alle Patienten sind jedoch davon überzeugt. "Es hat uns gesagt, dass wir aus dem Weg gehen sollen", beschwert sich der 81-jährige Rollstuhlfahrer Hiroshi Asami. "Das ist ein Roboter. Er ist derjenige, der mir aus dem Weg gehen sollte."

Trotz aller Forschungen hat Japan bislang aber noch keinen kommerziell erfolgreichen Roboter für den Privathaushalt auf den Markt gebracht. Mitsubishi scheiterte 2003 mit dem Versuch, einen Haushaltshelfer mit der Bezeichnung Wakamaru zu vermarkten. Und selbst der Sony-Roboterhund Aibo wurde trotz hoher Popularität 2006 nach sieben Jahren eingestellt, weil der Erfolg auf dem Massenmarkt ausgeblieben war. Der einzige im Geschäft zu kaufende Haushaltsroboter kommt aus den USA, der Staubsauger-Roboter Roomba von iRobot. Seit dem Start im Jahr 2002 wurden bisher 2,5 Millionen dieser Maschinen verkauft, zum Einzelpreis von 120 Dollar (78 Euro).

"Was wir jetzt brauchen, ist nicht der ultimative Humanoid-Roboter", meint der Leiter der japanischen Vereinigung zur Förderung des Robotermarkts, Kyoji Takenaka. "Die Ingenieure sollten daran denken, dass der Schlüssel zur Entwicklung von Robotern nicht im Labor liegt, sondern im Alltagsleben."

Die Forscher aber sind nicht in erster Linie am sofortigen geschäftlichen Erfolg interessiert. An der Universität Osaka entwickelt das Team von Minoru Asada einen "biomimetischen Kind-Roboter", eine Maschine, die Bewegungen eines Kleinkinds und dessen Reaktionen auf die Umwelt nachahmen soll. Asada interessiert sich vor allem für die Entwicklung der künstlichen Intelligenz. "Die Roboter der nächsten Generation müssen in der Lage sein zu lernen und sich selbst weiterzuentwickeln." Sein Kollege Hiroshi Ishiguro meint: "Eines Tages werden sie unter uns leben. Dann müssen Sie mich fragen: Sind sie ein Mensch? Oder ein Roboter?"