IT-Chef der Barclays Bank loest Diskussion aus Trotz Microsoft-Dominanz liegen offene Systeme weiter im Trend

22.09.1995

MUENCHEN (CW) - "Offene Systeme haben keine Zukunft. Sollten sie doch eine haben, so findet diese wahrscheinlich ohne fuehrende Unternehmen wie die Barclays Bank, statt!" Mit dieser These provozierte Joseph De Feo, verantwortlich fuer Organisation und Technologie bei der Bank, die Open-Systems-Gemeinde in einem Beitrag der "Financial Times". De Feos Thesen loesten massiven Widerspruch aus.

Auf der ganzen Welt, so behauptet der IT-Direktor, ueberdenken Grossunternehmen derzeit ihr Bekenntnis zur Offenheit. Zwar wisse jedermann, dass aufgrund theoretischer, technischer und kommerzieller Ueberlegungen offene Systeme den herstellerspezifischen Loesungen klar ueberlegen seien, doch immer haeufiger fuehrten praktische Erwaegungen zu einer entgegengesetzten Beschaffungspolitik. Der Wunsch nach offenen Systemen sei aufgekommen, weil die Marktdominanz eines einzelnen Herstellers, der IBM, als bedrueckend empfunden wurde. Um Big Blue in die Schranken zu weisen und das Risiko einer Fragmentierung des Marktes zu reduzieren, einigte sich die Industrie auf gemeinsame Nenner, auf Standards.

Laut De Feo ist es den Anwendern und der Industrie auch gelungen, den Feldzug der IBM zu stoppen - allerdings nur zu dem Preis, dass nun Microsoft, das groesste Softwarehaus der Welt, das Marktgeschehen bestimme. Auch koenne man seitens der DV-Abteilungen einer starken Fragmentierung kaum Einhalt gebieten, da die PC- geschulten Endanwender jeweils das Tool einsetzten, das ihnen am meisten zusage.

Der IT-Direktor schildert, wie sein Unternehmen sich am Standardisierungsprozess beteiligt habe, um Open-Systems-Vorteile, wie Portabilitaet, Interoperabilitaet, Skalierbarkeit oder das bessere Preis-Leistungs-Verhaeltnis zu nutzen. Anhand vielfaeltiger Projekte habe man den Beweis erhalten, dass sich offene Systeme tatsaechlich realisieren liessen. Ungeachtet dessen sei er mit einem wachsenden Druck seitens der Anwendergemeinde konfrontiert, wo es Microsoft gelungen sei, durch eigene Standards Fakten zu schaffen.

Die Open-Systems-Gremien leisten laut De Feo wunderbare Arbeit, doch ihre Loesungen treffen in Form von marktfertigen Produkten meistens erst zu einem Zeitpunkt ein, an dem proprietaere Systeme die Bedarfsluecke bereits geschlossen haben. "Der Krieg ist verloren, ohne dass eine Schlacht stattgefunden hat", urteilt der Barclays-Manager und waehlt das Thema Objektorientierung als Beispiel. Microsoft setze (mit OLE, die Red.) einen Standard, der zunehmend akzeptiert werde. Dagegen habe es vier Jahre gedauert, ehe die Open-Systems-Fraktion ihren Objektansatz (Opendoc, die Red.) praesentieren konnte - und noch immer sei in den Reihen der Anbieter kein echter Konsens vorhanden.

Von den Herstellern, die an solchen Systemen mitarbeiten, wuerden Anwender wie Barclays gedraengt, auf die jeweiligen Standards zu warten. Die Absage an proprietaere Systeme, so hoere er von ihnen, sei eine vernuenftige Entscheidung. Diese Meinung mag De Feo in Zeiten, in denen Time-to-market einer der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren ist, nicht mehr teilen. Barclays wolle in der Lage sein, moderne Finanzprodukte zu entwerfen und diese ueber die verschiedenen Vertriebskanaele schnellstmoeglich auf den Markt zu bringen, noch ehe die Konkurrenz so weit sei. Dazu muesse man die jeweils modernste vorhandene Technik nutzen.

Die Ausfuehrungen des Barclays-Managers blieben nicht unkommentiert. Geoff Morris, Chairman und CEO des Open-Systems- Gremium X/Open, berief sich in seiner ebenfalls in der "Financial Times" erschienen Antwort zunaechst auf die Geschichte. Noch vor acht bis zehn Jahren habe sich jedes Unternehmen, das sein Unternehmen mit Informationstechnik ausstattete, auf Gedeih und Verderb dem Angebot eines einzigen Herstellers ausliefern muessen. Das sei nun vorbei - eine Errungenschaft, die man nicht verspielen duerfe.

"Wieviele von uns", fragt Morris, "wuerden heute die Wirtschaftlichkeit ihres Unternehmens oder die Zufriedenheit ihrer Kunden aufs Spiel setzen, indem sie sich nur aus einer Quelle beliefern liessen?" Morris betont, dass erst die Offenheit der Systeme zu Wahlmoeglichkeiten und damit einer echten Marktsituation in der IT-Branche gefuehrt habe.

Offene Systeme garantieren freien Zugriff auf Produkte

Offenheit ist fuer den X/Open-Mann die Bezeichnung einer Informationstechnik, deren zugrundeliegende Technologie bestimmten gemeinsamen Industriestandards entspricht. Anwender wissen, sie verlassen sich auf einen Standard, auf den sich nicht nur ein, sondern viele Hersteller verpflichtet haben.

Damit ist eine Lock-in-Situation, die den Anwender von einem Hersteller abhaengig macht, ausgeschlossen. Wichtiger noch: Will ein Unternehmen seine Geschaeftsfelder beziehungsweise -strategie aendern, muss es sich nicht mit dem IT-Portfolio eines bestimmten Anbieters und dessen Satelliten begnuegen. Er hat den freien Zugriff auf Standard-konforme Produkte. Bewege man sich in einer proprietaeren Umgebung, koenne es extrem teuer werden, die Infrastruktur auszutauschen.

Unternehmen, die sich dem Open-Systems-Gedanken verschreiben, treffen laut Morris eine strategische Geschaeftsentscheidung: Sie investieren in die Entwicklung von Produkten und Services, die einem gemeinsamen, voellig unabhaengigen Industriestandard entsprechen. Wenn De Feo darauf aufmerksam mache, dass lediglich die Marktdominanz eines Herstellers durch die eines anderen ausgetauscht worden sei, dann liege das auch daran, dass er nicht erkenne, wie stark sich offene Systeme in Wirklichkeit durchgesetzt haetten. Leider haetten die Hersteller kein Geld dafuer ausgegeben, dies der Oeffentlichkeit zu verdeutlichen.

In den vergangenen zehn Jahren ist der Wert von geschaeftskritischen Anwendungen, die auf Basis offener Systeme entwickelt wurden, laut Morris weltweit von gut elf Millionen auf knapp 80 Milliarden Mark angewachsen. Dies sei ein wahrscheinlich zu gut gehuetetes Geheimnis. IT-Anbieter, die sich zu offenen Systemen bekennen und einen uebergeordneten, von niemandem kontrollierten Standard unterstuetzen, posaunen dies nach Erfahrungen des Managers nicht in die Welt hinaus. Um Produkte verkaufen zu koennen, macht man weniger auf Gemeinsamkeiten als auf technologische Differenzen - die Vorzuege der eigenen Produkte eben - aufmerksam. Daher weiss der Anwender gar nicht, welche Summen er beim Kauf in eine kollektiv entwickelte Basistechnologie steckt.

Andere Hersteller erhoffen sich einen Wettbewerbsvorteil davon, dass sich ihre - proprietaeren - Produkte als De-facto-Standard durchsetzen. Sie investieren in ihre Produkte und druecken sie vehement in den Markt, nach dem Motto: Entweder es wird ein De- facto-Standard oder es scheitert. Ob diese Strategie erfolgreich ist, haengt laut Morris davon ab, wie sich IT-Verantwortliche wie Joseph De Feo entscheiden. Die Barclays Bank sei schliesslich keine kleine Adresse, De Feo gehoere zu den wichtigsten Entscheidern in einer von Informationstechnik immer staerker beeinflussten Branche.

Um einen industrieweiten Konsens in Sachen IT-Standards herbeizufuehren, fordert der X/Open-Chef, dass sich Hersteller und Anwender in Open-Systems-Konsortien engagieren. Die Gremien sollen sich durch die Produktion marktfaehiger Technologien finanzieren, nicht durch Zuweisungen seitens der Industrie.

Morris schliesst sein Statement mit der Warnung an De Feo ab: "Joseph, die Kavallerie kommt!" Gemeint ist die Europaeische Union, die ihre Standardisierungsprozesse ebenso ueberarbeitet, wie die US-Regierung, die sich auf den Information Superhighway vorbereitet. Oeffentliche Einrichtungen wie das Internet seien der beste Beleg dafuer, dass die Gesellschaft IT-Standards benoetige.

Aehnlich rigoros wie Morris aeusserte sich ICL-Manager Graham Taylor, Direktor des Open-Systems-Forums Uniforum. Offene Systeme sorgten fuer einen freien Markt im IT-Sektor; Wahlfreiheit und Konkurrenz seien ohne sie nicht moeglich. Auch heute werde die IT-Realitaet durch die Existenz offener Standards gepraegt - zu leicht vergesse man, dass selbst von wichtigen herstellerspezifischen De-facto- Standards die Schnittstellen offenlaegen.

Fuer Taylor wird am naechsten Kapitel der Open-Systems-Geschichte bereits geschrieben: Es geht um die Anwendungen. Nicht nur die Anbieter von Server-Betriebssystemen, Kommunikationspfaden und Sprachen, auch die Applikations- und Datenbankhersteller muessten sich an einen Tisch setzen, damit die Zusammenarbeit zwischen Anwenderunternehmen optimal laufe.

Taylor schliesst sein Statement mit einem Hinweis auf Microsoft. Gates habe sich die Marktposition, die sein Unternehmen heute innehabe, auf redliche Weise erworben. Natuerlich sei nicht auszuschliessen, dass Microsoft seine Vormachtstellung im Desktop- Bereich missbrauche. Daher sei es Aufgabe der Anwender, dies zu verhindern. Ferner sei es hilfreich, wenn sich Microsoft endlich angemessen in Open-Systems-Gremien engagiere. Das Softwarehaus sei das einzige IT-Grossunternehmen, das nicht zu den Uniforum- Mitgliedern zaehle.