US-Kunde verlangt Schadensersatz

IBM hat Ärger mit einem SAP-Projekt

13.11.2012
Der US-Chemiehersteller Avantor hat IBM wegen eines fehlgeschlagenen SAP-Projekts auf Schadensersatz in Millionen-Höhe verklagt. Das Vorhaben habe den Betrieb zeitweilig lahm gelegt.
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Avantor Performance Materials bezichtigt IBM der Lüge. Um den Auftrag für ein Migrationsprojekt zu bekommen, habe der IT-Konzern falsche Angaben darüber gemacht, inwiefern sich ein SAP-basierendes Software-Paket für den Hersteller von chemischen Produkten eigne. Das geht aus einer Klage hervor, die das Unternehmen beim District Court von New Jersey eingereicht hat.

Im Jahr 2010 hatte sich Avantor offenbar dafür entschieden, die bis dato genutzte ERP-Applikation durch eine SAP-Installation abzulösen. "Die Entscheidung von Avantor aufgreifend - und im Wissen darum, dass Avantor aufgrund des Wettbewerbsdrucks und der speziellen Kundenanforderungen keine Ausfälle im Kundenservice tolerieren kann - hat IBM die eigene Lösung 'Express Life Sciences Solution' als einmalig passend für das Geschäft von Avantors dargestellt", heißt es in der Klageschrift. Hinter der angesprochenen Lösung verberge sich eine von IBM-angepasste, vorkonfigurierte und proprietäre SAP-Implementierung.

Wurden Testergebnisse ignoriert?

Nach Vertragsunterschrift kam das böse Erwachen, Avantor musste eigenen Angaben zufolge feststellen, dass die IBM-Lösung alles andere als passend für die eigenen Anforderungen war. Die Installation habe die eigene Geschäftstätigkeit fast zum Stillstand gebracht, beklagte Avantor. Zudem habe IBM die vertraglichen Zusicherungen gebrochen, weil der Konzern das Projekt mit "inkompetenten und sorglosen Berater besetzt habe, die sich einige Fehler im Design, in der Konfiguration und in der Programmierung erlaubt haben." Zudem habe es der IT-Partner "absichtlich oder versehentlich versäumt", Avantor über die Projektrisiken aufzuklären.

Um die eigenen Versäumnisse und funktionalen Lücken zu kaschieren, habe IBM die Ergebnisse von eigenen Testläufen ignoriert, andere unangemessene und verkürzte Testläufe gefahren und Avantor empfohlen, am geplanten Datum für den Betriebsstart festzuhalten. Dagegen habe das Anwenderunternehmen stets betont, dass der Zeitplan weit weniger wichtig sei als ein funktionsfähiges und zuverlässiges System, das einen Kundenservice ohne Ausfälle garantiere.

Geschäftsbetrieb musste zeitweilig ruhen

Den Betriebsstart im vergangenen Mai beschreiben die Avantor-Verantwortlichen in dem Schreiben an das Gericht als Desaster. Das System habe Bestellungen nicht korrekt bearbeitet, einige sogar verloren. Es sei zudem unfähig gewesen, notwendige Dokumente für den Zoll zu erstellen. Zum Teil seien gefährliche chemische Substanzen an den falschen Orten gelagert worden. Dem Unternehmen sei ein Schaden von mehreren zehn Millionen Dollar entstanden. Zudem habe das Ansehen bei Kunden und Partnern gelitten.

Ein Geschäftspartner habe beispielsweise vor Projektstart besorgt nachgefragt, ob seine EDI-Anbindung an das Avantor-System auch in der neuen IBM-Umgebung laufen werde. IBM habe volle Funktionalität zugesichert. Tatsächlich sei das EDI-Interface nach Betriebsstart der neuen Lösung unbrauchbar geworden.

Für die Projektarbeiten hat IBM insgesamt 13 Millionen Dollar an Beraterhonoraren eingestrichen. "Unglaublicherweise sucht IBM nun nach weiteren Einnahmenquellen, indem man einige Millionen Dollar für das Redesign und den Neubau des defekten Systems verlangt", erbost sich Avantor in der schriftlichen Klage.

IBM reagiert überrascht auf die Vorwürfe

Foto: IBM

IBM streitet die Vorwürfe ab und zeigt sich angesichts der drohenden gerichtlichen Auseinandersetzung verblüfft: "Wir glauben, dass die Vorwürfe in der Klageschrift übertrieben sind, und wir sind überrascht, dass Avantor den Weg der gerichtlichen Auseinandersetzung gewählt hat", teilte ein IBM-Sprecher mit. "IBM hat seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt und eine Lösung ausgeliefert, die Avantor derzeit im Betrieb verwendet."

Laut Avantor habe IBM im vergangenen Juni Anstrengungen unternommen, das Projekt wieder in die richtige Spur zu lenken, nachdem der damalige Avantor-CEO Rajiv Gupta eingegriffen habe. Erst da sei IBM der Ernst der Lage bewusst geworden; diverse Berater wurden ausgetauscht. Danach habe man die Implementierung überarbeitet und neu programmiert. Die Korrekturen seien indes erfolglos geblieben, wirft Avantor dem Geschäftspartner vor.

Im Juli forderte IBM den Kunden schließlich dazu auf, alle Bestellungen, die über das System abgewickelt werden, zu annullieren und das gesamte System zurückzusetzen, weil man erhebliche Schwierigkeiten mit dem Warenlager habe. Das sei nötig, um der Ursache der Probleme auf den Grund gehen zu können.

In der Klageschrift zitiert Avantor aus persönlichen Gesprächen mit IBM-Beratern. Einige haben demnach eingeräumt, dass IBM mit dem Projekt überfordert sei. Andere bezeichneten das Vorhaben als das schlimmste SAP-Projekt, das sie je gesehen hätten. (jha)