Hausaufgaben nicht gemacht

07.08.1992

Berufesterben und Flaute auf dem Arbeitsmarkt hielten viele Datenverarbeiter bislang für Hirngespinste, die sie nichts angingen. Man verdient heute nach wie vor gut, wie die CW-Gehaltsstudie zeigt (Seite 1). Doch nun sind beunruhigende Zeichen nicht mehr zu übersehen: Der Rückgang der Nachfrage nach DV-Fachkräften - nimmt man die Stellenanzeigen mit Informatikbezug in regionalen und überregionalen Tageszeitungen sowie in der COMPUTERWOCHE als Maßstab - hat eine Größenordnung erreicht, wie wir sie von "normalen" Wirtschaftszweigen her kennen. Das muß natürlich noch nicht bedeuten, daß bei der DV in den Unternehmen etwas im argen liegt. Eine mögliche Erklärung wäre auch, daß die DV/Org.-Leute ihre Hausaufgaben besonders gut gemacht haben: Nichts mehr unerledigt, folglich kein zusätzlicher Personalbedarf - doch dafür fehlt jeglicher Beweis. Ernsthaft behauptet auch keiner, das Thema DV als Wettbewerbsfaktor sei ausgereizt.

Eher wird das Gegenteil angenommen - von Realitätsnähe zeugt auch dies nicht. Bisher war die DV eben keine normale Branche - in jeder Beziehung. In einem Punkt ist sie immer noch unreif: Diejenigen, die es besser wissen müßten, die Marktforscher und Ausbilder, begegnen der Abschwächung der Nachfrage mit Selbsttäuschung. Da wird der Nestbeschmutzung bezichtigt, wer auch nur den Versuch unternimmt, die Fakten zu klären, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Die Selbsttäuschung war erfolgreich: Wie kommt es, daß es keine Hochrechnungen über den Personalbedarf im Informatikbereich gibt, daß nicht einmal offiziell, anerkannte, verläßliche Zahlen aus der Vergangenheit und über den Ist-Zustand verfügbar sind? Die deutsche Hardware-Industrie baut ab - schon mit dieser scheinbar gesicherten Erkenntnis ist es nicht weit her in einem Land, in dem Montagefirmen als Computerproduzenten geführt werden, in dem selbst die Abgrenzung zwischen Telecom-Equipment, DV-Systemen und sonstigen Bürogeräten zum Politikum wird. Fraglich ist denn auch, ob etwa die Verbandsfunktionäre des ZVEI, des VDMA, des BVB an ihre eigenen Arbeitsmarkt-Statistiken glauben.

Zur Sache selbst, zu den beschäftigungspolitischen Auswirkungen der DV-Krise, äußern sich die Verantwortlichen, wenn überhaupt, nur vieldeutig: Daß die DV eine schnellebige Branche sei und daß sich die Anforderungen an die in der DV Tätigen beinahe täglich änderten - man kennt das Lamento. Für die Anwender, korrekt: die DV-Spezialisten bei Anwenderunternehmen, können sie ohnehin nicht sprechen. Für diese ist wichtig, mehr über die Ursachen der Krise zu wissen. Um eine Krise handelt es sich - die Hausaufgaben wurden nicht gemacht. Jetzt müssen viele nachsitzen.