Trotz Krise: Venture Capitalists glauben an die IT

Gute Startups boxen sich durch

19.07.2002
MÜNCHEN (mb) - Nachdem IT-Startups und Wagniskapitalgeber erkennen mussten, dass auch sie die Gesetze der Old Economy nicht außer Kraft setzen können, gilt nun wieder das eherne Prinzip Klasse statt Masse. Wer die strenger gewordenen Qualitätsprüfungen besteht, kann seine Geschäftsideen nach wie vor finanziert bekommen.

Mit dem vorläufigen Scheitern der Internet-Revolution ging auch bei einigen Venture Capitalists (VCs) das Licht endgültig aus, bei praktisch allen ist nach den Investitionsausfällen der vergangenen Jahre die Risikobereitschaft deutlich gesunken. Als es galt, nach dem Platzen der Börsenblase die Beteiligungslisten von den Verlustbringern zu säubern und in den Bilanzen Farbe zu bekennen, sparten die VCs nicht an roter Tinte. Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) haben die Mitglieder im vergangenen Jahr 607 Millionen Euro für Totalausfälle bei 426 Beteiligungen abgeschrieben - mit entsprechend katastrophalen Auswirkungen auf deren Bilanz. Zwar gehören Verluste per definitionem zum Geschäftrisiko der Wagnisfinanzierer, der Anteil der missglückten Investitionen verdoppelte sich damit gegenüber dem Vorjahr und stellte mit 36 Prozent die größte Bewertungsgruppe dar. Trotz des drastischen Schnitts sind die VCs noch nicht über dem Berg: Die 209 Mitglieder des BVK meldeten für das erste Vierteljahr 2002 weitere Ausfälle in Höhe von 105,6 Millionen Euro, bei 30 Prozent aller Exits kam es zu Verlusten.

Laut BVK-Präsident Werner Schauerte hat die Pleitewelle unter den Startups jedoch bereits im Herbstquartal 2001 mit einer Verlustquote von 40 Prozent ihren Höhepunkt erreicht und sinkt seitdem. Die deutsche VC-Branche, in der einige Experten ebenfalls noch mit einer Konsolidierung rechnen, habe das Schlimmste überstanden - vorausgesetzt, es bahne sich über kurz oder lang eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation an.

Eine noch deutlichere Sprache als die Ausfallquote bei den Exits spricht die Höhe der Investitionen: Im ersten Quartal flossen hierzulande nur VC-Gelder in Höhe von 482 Millionen Euro, die Summe der Neufinanzierungen lag damit laut Schauerte um 39 Prozent unter dem Stand des Vorjahresquartals. Der BVK-Präsident befürchtet nun, dass die Investitionskurve in diesem Jahr einen starken Knick nach unten macht und das hohe Niveau der vergangenen beiden Jahre von 4,4 Milliarden Euro nicht mehr beibehalten werden kann, sollte die erhoffte Erholung im Herbst ausbleiben.

IT-Firmen haben die Nase vorn

Die strenge Auswahl hat aber auch Vorteile, erklärt Schauerte: "Firmen, die sich jetzt VC-Kapital sichern können, weisen Qualität auf. Gleichzeitig erhalten diese Unternehmen nun mehr Betreuung, um die Ausfallrate so niedrig wie möglich zu halten." Grund zur Hoffnung gibt zudem die Tatsache, dass die IT-Firmen hierzulande bei der Vergabe von VC-Geldern noch immer die Nase vorne haben: Im ersten Vierteljahr 2002 entfiel mit einem Fünftel der größte Anteil des Risikokapitals auf die IT-Branche, die Unternehmen aus den Bereichen Hard- und Software sowie Halbleiter lagen damit auch zahlenmäßig an der Spitze.

Schauerte, der neben seiner Verbandstätigkeit als Geschäftsführer der Deutschen Venture Capital (DVC) amtiert, sieht trotz der Investitionsflaute und dem Aufholen von Firmen aus anderen Märkten wie etwa die Bereiche Life Sciences und Mikrosysteme in der Informationstechnologie noch immer ein sehr starkes Thema. Insbesondere dem (Enterprise-)Softwarebereich räumt er dabei gute Chancen ein. Ercan Kilicaslan von Tec Venture Partners bestätigt diese Ansicht: Wirklich gute Software-Startups fänden immer einen Kapitalgeber. "Allerdings liegt heute die Messlatte höher, es wird länger und intensiver geprüft. Wenn dabei Unklarheiten zutage treten, lässt man heute auch dort die Finger davon, wo man früher noch ein Auge zugedrückt hatte."

Dass die VCs nun abermals das Hohelied auf ihr IT-Beteiligungsgeschäft singen, liegt natürlich in ihrem eigenem Interesse. Dutzende von Beteiligungen sind noch - zurückhaltend formuliert - in der kritischen Phase. Dennoch sprechen nicht nur die aktuelle Beteiligungsstatistik, sondern auch eine Reihe von Erfolgsbeispielen für eine Art Comeback der IT-Gründerszene. So konnte sich etwa der Münchner Knowledge-Management-Anbieter Hyperwave im November 2001 erneut eine Finanzierung von 20 Millionen Euro sichern - bereitgestellt durch ein von E-Millennium und DVC geführtes VC-Konsortium. Sogar eine E-Commerce-Strategie ist per se nicht grundsätzlich zum Misserfolg verdammt: Ein Beispiel im Portfolio der DVC ist der Online-Reifenhändler Delticom AG, der bereits 2001, im zweiten Jahr nach Gründung, schwarze Zahlen und einen Umsatz von über 19 Millionen Euro vorweisen konnte. Das Erfolgsrezept der Hannoveraner war die Einführung von Old-Economy-Strukturen von Anfang an. So liegen etwa die VC-Gelder in Höhe von drei Millionen Euro trotz hoher Anfangsinvestitionen noch immer unangetastet auf der Bank.

Kurt Müller, Gründer und Partner der Risikokapitalgesellschaft Target Partners, sieht aktuell sogar eine sehr gute Zeit, um zu investieren. Die Qualität der eingereichten Business-Pläne ist gestiegen, erklärt er, die wenigen Unternehmen, die sich jetzt trauen, nach Kapital zu fragen, sind zweifelsfrei die besseren. Obwohl bei dem Münchner Wagnisfinanzierer die Zahl der Anträge gegenüber dem Stand von vor zwei Jahren um über die Hälfte auf 80 bis 100 Business-Pläne pro Monat gesunken ist, hält sich der Anteil an guten Geschäftsideen aus der IT-Branche konstant, berichtet Müller: Sein Fazit: "Die Teams sind heute erfahrener." So habe etwa das Management-Team der Wiesbadener Internetwork AG, an dem sich Target Partners in diesem Jahr bereits beteiligt hat, über lange Jahre gemeinsam Projektarbeit betrieben. Gleichzeitig zählt der Hersteller von Load-Testing-Systemen für IP-Netze bereits Firmen wie die Deutsche Telekom, Nortel oder Arcor zu seinen Kunden. "Die Schnittstelle IT-Telekom ist gerade jetzt besonders interessant", begründet der Target-Partners-Verantwortliche außerdem das Investment: "Aufgrund der aktuellen Flaute im TK-Bereich sind die Player gezwungen, die bestehenden Netzstrukturen zu verbessern." Ähnlich motiviert war auch die im Mai dieses Jahres eingegangene Beteiligung an Vectriz, einem Anbieter für Abrechnungssoftware in den Branchen Energieversorgung und Telekommunikation.

Ein weiterer Grund, warum Target Partners gegen den Trend investiert, liegt laut Müller in der Gnade der "späten Geburt": Der Risikokapitalgeber hat den Großteil der Dotcom-Party verpasst und im Jahr 2000 nur ein Investment getätigt.

Business Angels kommen zu Hilfe

Bei den relativ ausfallträchtigen Gründungs- und Startfinanzierungen ist aber auch Target Partners in der Regel skeptisch. Die dort klaffende Finanzierungslücke können private Business Angels füllen: Heinrich Stedler und Hans Peters, Wirtschaftsprofessoren an der Fachhochschule Hannover, schätzen in einer aktuellen Studie die Zahl der Unternehmensengel hierzulande auf etwa 40 000 Aktive. Die Mehrheit von ihnen investiert laut Untersuchung über eine halbe Million Euro in junge Firmen, mehr als 52 Prozent davon stammen aus der IT-Branche. Dass an fähigen Gründern kein Mangel ist, beweisen etwa die jüngsten Aktivitäten der Munich Business Angels. Die privaten Förderer von jungen Unternehmen hatten im ersten Halbjahr 2002 rund 200 Companies im Dealflow, das sind doppelt so viele wie im vergangenen Jahr (siehe auch das Interview mit Christian Wedell, Geschäftsführer der Münchner Gründerinitiative Kurt Müller von Target Partners schränkt aber ein: "Viele Business Angels ziehen sich nach Fehlspekulationen an der Börse aus dem Geschäft zurück. Der Inkubatorenbranche geht es momentan nicht so gut."

Insgesamt haben derzeit vor allem Startups eine besonders gute Chance auf Finanzierung, deren Geschäftsmodelle thematisch zur aktuellen wirtschaftlichen Situation passen. Die Investoren suchen jetzt nicht mehr nach Vitaminen, sondern nach Schmerzmitteln, bringt es Guy Kawasaki, CEO der US-amerikanischen Risikokapitalgesellschaft Garage Technology Ventures, auf den Punkt. Das bestätigt Oliver Bube, Geschäftsführer von Capital Stage IT/New Media: "Fertige Konzepte, die aktuelle Probleme der Nutzer lösen können, haben gegenwärtig die besten Marktchancen." Die Auswertung der im zweiten Quartal bei dem Hamburger VC-Unternehmen eingereichten Business-Pläne ergab außerdem, dass die kapitalsuchenden IT-Newcomer auch mit ihren finanziellen Vorstellungen den potenziellen Investoren entgegenkommen: Sie wollen bis zum Breakeven im Schnitt mit 1,2 Millionen Euro auskommen. Bis erstmals schwarze Zahlen ausgewiesen werden, sollen nach der Gründung zudem nur noch durchschnittlich rund drei Jahre vergehen. Da die Antragsteller aufgrund der aktuellen Konjunkturflaute die Umsatzprognosen zurückschrauben mussten, planen sie außerdem weniger Mitarbeiter ein.

Auch wenn psychologisch einiges passiert ist, sieht der frühere Apple-Evangelist objektiv keine großen Unterschiede zwischen der Situation von vor fünf Jahren und jetzt. Kapitalsuchende Startups sollten sich daher durch bisherige Fehlschläge nicht aus der Fassung bringen lassen, empfiehlt der Autor von mehreren Büchern. So wurde im Jahr 1987, direkt nach dem Börsenkrach an der Wallstreet, Cisco Systems gegründet. Finanziers, die damals nicht in das Unternehmen investieren wollten, werden sich vermutlich noch heute die Haare raufen: Für eine halbe Million Dollar hätten sie seinerzeit einen 25-prozentigen Anteil an dem jetzigen Netzwerkriesen erhalten.

Abb: Deutsche VC-Investitionen nach Branchen

Trotz Branchenflaute und Dotcom-Crash können sich IT-Unternehmen noch immer den Großteil der VC-Investitionen sichern. Quelle: bvk