Redundante Auslegung der wichtigen Kommunikationsknoten

Flughafen München II: Mix von LWL- und Kupferkabeln

24.08.1990

*Angelika Schrader ist freie Fachjournalistin in München.

Geht es um weitläufige Vernetzungsvorhaben, stellen Glasfaser-Konzepte einen naheliegenden Lösungsansatz dar. Zur Überwindung von kurzen Distanzen soll - wie die im folgenden Artikel von Angelika Schrader - umrissene Kommunikation über mit Ethernets, ISDN und FDDI auf dem neuen Flughafen München II zeigt - der Weg jedoch weiterhin nicht an den probaten Kupferleitungen vorbeiführen.

Die technische Infrastruktur des Flughafens München II wird im wesentlichen durch die bauliche Anordnung geprägt. Zwei völlig unabhängig voneinander betreibbare Start- und Landebahnen verlangen dezentrale, ebenfalls voneinander unabhängige Kommunikationsschienen. Die Weitläufigkeit des 15 Millionen Quadratmeter großen Geländes legt darüber hinaus ein dezentrales Computerkonzept nahe, das flexible und zukunftsträchtige Übertragungseinrichtungen erfordert. Die Hauptabteilung Planung der FMG Flughafen München GmbH hat für die Verwirklichung einer solchen Kommunikations- und Informations-Infrastruktur insgesamt sieben Abteilungen geschaffen. Neben zwei Hochbau- und einem Tiefbau-Bereich gibt es eine Abteilung für Wasserbau, eine weitere für Energieversorgung, für Nachrichten- und Informationstechnik sowie eine Dokumentationsabteilung.

Vom Grobkonzept bis zur Detailplanung

Als Leiter der Abteilung Nachrichten- und Informationstechnik plant und verwirklicht Gerhard Kunde mit seinen Mitarbeitern sowie zahlreichen Planungsbüros und Zulieferbetrieben die Bereiche Informationsgebung (Anzeigesysteme), Tele- und Sprachkommunikation, Sicherheitstechnik und Kommunikationsnetze. Das Aufgabenspektrum reicht vom Grobkonzept bis zur Detailplanung. Nicht nur Kabelarten und ihre Verläufe sind zu berücksichtigen, sondern alle Aspekte der Kommunikationsstrukturen eines Flughafens bis hin zum Funksprechgerät für Vorfeld-Mitarbeiter und Telefonen oder anderen Terminals an den Arbeitsplätzen der zukünftigen FMG-Mitarbeiter sowie der FMG-Mieter.

"Bei den Planungen haben wir die Erfahrungswerte aus Riem als Basisinformationen zugrunde gelegt", erklärt Kunde zur Kapazitätsplanung. "Die Hauptmieter der FMG werden wie in Riem die Luftverkehrs-Gesellschaften, Banken, Speditionen und Behörden sein." Den Kommunikationsgewohnheiten sowie den absehbaren Steigerungsraten entsprechend wurde vor rund drei Jahren beschlossen, zwei Leitungsnetz-Strukturen zu verwirklichen, die parallel arbeiten und sich in Teilanwendungen überlagern: Neben Multimode-Lichtwellen-Leitern (LWL) kommen im neuen Münchner Flughafen ausschließlich Kupfer-Vierdraht-Kabel zum Einsatz. Dabei finden die LWL-Netze im wesentlichen für gebäudeübergreifende Dienste Anwendung, die sowohl hohe Übertragungsgeschwindigkeiten und Datenmengen über große Entfernungen als auch eine hohe Übertragungssicherheit erfordern. Die Vierdraht-Kabel werden hauptsächlich für Verbindungen mit hohen Übertragungsgeschwindigkeiten bis zu 16 Mbit/s über geringe Entfernungen sowie für einige Anwendungen mit niedrigen Datenströmen, wie sie etwa bei der Gefahrenmeldetechnik oder bei Uhrenanlagen vorkommen, genutzt.

Flughafen-Endausbau mit insgesamt 20 000 Nebenstellen ist sich Gerhard Kunde der Bedeutung des Kommunikationskonzeptes bewußt. "Die Gebäude auf dem Flughafen-Gelände liegen zum Teil mehrere Kilometer auseinander", erläutert er, "das gibt die Anforderung an die Übertragungstechnik vor." Langfristig nutzbar und flexibel muß sie sein. Die redundante Auslegung aller wichtigen Kommunikationsknoten kommt besonders bei der Telekommunikations-Anlage zum Tragen.

Hicom-Entscheidung von strategischer Bedeutung

Wenn der Flughafen seinen Betrieb aufnimmt, werden mehr als 5000 Nebenstellen über ein 50 Kilometer langes Fernmeldenetz auf dem Gelände geschaltet - für den Endausbau sind bislang bis zu 20 000 Anschlüsse vorgesehen. Die Entscheidung pro Hicom-Anlagen von Siemens für alle Belange der Telekommunikation "hat strategischen Stellenwert", meint Kunde. Der dezentralen Bebauungsstrategie entsprechend hat Gerhard Kunde mit seinem Team eine TK-Anlage mit vier selbständigen, vernetzten Knoten geplant, die mit den Telekommunikationseinrichtungen ausgestattet werden. Die Kabel sind gelegt, und bis Ende dieses Jahres sollen die ersten Systeme in der FMG-Verwaltung sowie im Bereich Technischer Betrieb installiert sein. Die beiden anderen Systeme werden ab 1991 im Fracht-Gebäude beziehungsweise in der Passagierabfertigung aufgebaut.

Die Anforderungen an die Telekommunikationsanlage des neuen Flughafens konzentrierten sich bei der Ausschreibung auf ein zukunftssicheres, ISDN-fähiges System, das sowohl dezentral installiert als auch wie ein kompaktes Gesamtsystem gehandhabt werden kann - es also zuläßt, nur eine Amtsrufnummer für alle Knoten zu schalten. Darüber hinaus müssen an jeder Anlage der gesamte Rufnummerplan sowie alle Leistungsmerkmale gleichmäßig vorhanden sein, damit sich für den Benutzer eine einzige transparente Telefonanlage ergibt. Auf der Teilnehmerseite wird Siemens laut Vereinbarung für den Anschluß von Endgeräten die So-Schnittstelle nach internationalen Standards liefern beziehungsweise nachliefern, sobald diese definitiv vorliegen.

Denn "angesichts der vielen internationalen Mieter der FMG in den einzelnen Flughafen-Bereichen sollen natürlich auch Endgeräte über die Hicom kommunizieren, die von anderen Herstellern stammen", ist Kundes Forderung. Darüber hinaus ist vorgesehen, analoge Endgeräte über a/b-Schnittstellen anzuschließen. In Einzelfällen werden weit abgesetzte ISDN-Endgeräte auch über die U-Schnittstelle an die Hicom-Knoten angebunden.

Substitution zwischen den Diensten auf einem Kabel

Die Kabelstruktur, an die die Endgeräte angeschlossen sind, hat wegen der Beschränkung auf nur zwei Medien als Referenzinstallation in der Presse schon viel Beachtung gefunden. Die strikte Orientierung an Lichtwellen-Leitern und Kupfer-Vierdraht-Leitungen gewährleistet, daß sowohl Telefone als auch andere Terminals oder LAN-Komponenten über die Anlage kommunizieren können. Substitution zwischen den Diensten auf nur einer Kabelstruktur ist ein erklärtes Ziel - also kein Unterschied zwischen Sprache oder Daten auf den Leitungen.

Für die langen Strecken zwischen den Gebäuden bis zu den ersten aktiven Netzkomponenten kommen dabei Glasfasern, jenseits davon die Kupfer-Leitungen zum Einsatz.

Wo die Gebäude weitläufig sind, wie etwa bei dem einen Kilometer langen Passagier-Abfertigungsgebäude, wurden aus Gründen der Sicherheit und besseren Handhabung die TK-Knoten dezentralisiert. Die vier Hicom-Hauptknoten sowie die insgesamt sieben Hicom-Unterknoten will man auf Basis von Verkehrsschätzungen untereinander über mindestens zwei Primärmultiplex-Anschlüsse koppeln. Was die zahlreichen Mieter der FMG in Zukunft an die Anlagen anschließen, bleibt ihnen weitgehend überlassen. "Wir liefern dazu sowohl die Einrichtungen als auch die Infrastruktur", kommentiert Kunde die Planungen. "An jedem Arbeitsplatz im Flughafen werden drei vieradrige Kabel enden: ein ISDN-Anschluß, ein Datenkommunikationsanschluß und einer, der für sonstige Dienste, aber auch für weitere Datenanwendungen vorgesehen ist und im Moment eine Art Vorratsverkabelung darstellt."

Post installierte bereits eine ISDN-Ortsvermittlung

Für den Zugang zum öffentlichen ISDN ist bereits gesorgt, da die Deutsche Bundespost Telekom auf dem Flughafen-Gelände bereits eine ISDN-Ortsvermittlung eingerichtet hat. Trotz der Entfernung ist der Flughafen seit Juli 1990 unter der Münchner Vorwahl 089 erreichbar. Die externen Schnittstellen der Telekommunikations-Anlage umfassen Basis- und Primärmultiplex-Anschlüsse zum ISDN-Netz sowie verschiedene Übergänge zu anderen Kommunikationssystemen des Flughafens. Dazu gehören unter anderem Personensuchanlagen und Bündelfunksysteme, aber auch Zugänge zur Computeranlage der FMG.

Auch das lokale Datenkommunikations-Netzwerk des Flughafens basiert auf Glasfaser- und Kupfer-Vierdraht-Leitungen. Ein sogenanntes zonenübergreifendes Backbone-Netz in FDDI-Technik bildet sein Rückgrat. Daran werden die einzelnen zonenspezifischen Netze, meist auf Ethernet-Basis, angeschlossen, die auch wieder auf LWL oder Kupfer aufbauen. Die Lichtwellen-Leiter verbinden alle aktiven Elemente des komplexen Netzes bis auf Abteilungsebene. Jenseits davon, zum Beispiel zum Anschluß von Endgeräten an Verteiler, werden Kupfer-Vierdraht-Leitungen genutzt.

Verschiedene technische Systeme auf dem Flughafen arbeiten DV-gestützt und sind in der Regel Nutzer der Kommunikationsschienen. Dazu gehört zum Beispiel das Basis-System für den Verkehrsbetrieb, über das die gesamten flugplanbezogenen Daten bearbeitet und verteilt werden. Fast alle Systeme und Einsatzstellen rufen von dort Informationen ab. So sind auch alle Monitor- und Anzeigesysteme über geeignete Verteilsysteme an das lokale Datennetz angeschlossen.

Darüber hinaus ist daran gedacht, diese Infrastrukturen auch den FMG-Mietern zur Verfügung zu stellen, die ihre eigenen Rechner und Telekommunikations-Anlagen daran anschließen. Hinzu kommen Radaranlagen der Bundesanstalt für Flugsicherung, Lärm-Meßsysteme oder die Einrichtungen des Deutschen Wetterdienstes, die ebenfalls Kommunikationskapazitäten benötigen.

Was wird aus der Hauptabteilung Planung im Jahr 1992, wenn der Flugbetrieb mit der gesamten technischen Infrastruktur aus der Planungsphase in die Wirklichkeit getreten ist? Werden sich die Planer dann endlich ruhig im Sessel zurücklehnen können? "Auf keinen Fall", meint Gerhard Kunde. "Ein solches Projekt ist im Grunde nie beendet. Und möglicherweise kommt es in den neunziger Jahren ja doch noch zu einem zweiten Abfertigungsterminal im Osten." Das dezentrale, flexible Kommunikationskonzept steht einer solchen Erweiterung jedenfalls nicht im Weg.

Der Flughafen München II

Der neue Flughafen München II im Erdinger Moos soll jährlich zwölf bis vierzehn Millionen Passagiere bewältigen und 48 Flugzeuge gleichzeitig abfertigen können. Das gigantische Bauvorhaben, das auf 1500 Hektar Land entsteht, ist durch zwei parallel verlaufende Start- und Landebahnen von je 4000 Metern Länge und 60 Metern Breite gekennzeichnet, die 1500 Meter auseinanderliegen. Das Herz neuen Flughafens mit dem Abfertigungsgebäude für den Linien- und Charter-Verkehr, dem Zentralgebäude mit S-Bahnhof, Restaurants, Läden, Mietwagen-Firmen, Parkhäusern mit 10 000 Pkw-Stellplätzen, einem Hotel und natürlich dem Tower liegt genau in diesem Zwischenraum.

Bauträger und Flughafen-Betriebsgesellschaft ist die FMG Flughafen München GmbH mit den Gesellschaftern Freistaat Bayern, Bundesrepublik Deutschland und der Landeshauptstadt München.

Die nun mehr als eine Dekade währenden Planungen sollen in zwei Jahren mit der Inbetriebnahme des neuen Flughafens abgeschlossen werden. Insgesamt benötigte man mehr als 41 000 Pläne mit einem Aufwand von rund 5000 Mannjahren für den in insgesamt 61 Teilbereiche aufgegliederten Bau.