Finanzkrise gefährdet IT-Jobs

07.10.2008
Von Hadi Stiel
Noch werden IT-Spezialisten dringend gesucht. Doch die Finanzkrise und die Katastrophenstimmung an den Börsen könnten das schnell ändern.

Läuft die Wirtschaft rund, tut Spezialistenmangel weh. Dann rächen sich die Sünden der Vergangenheit, zu wenig in eine vorausschauende Personalpolitik investiert zu haben. 18,5 Milliarden Euro Wertschöpfungsverlust sind laut Institut der deutschen Wirtschaft in Deutschland 2006 durch nicht besetzbare Stellen entstanden. Doch das ist Schnee von gestern. Die zweite Welle der US-Finanzkrise droht, diesmal noch heftiger als die erste, in die Realwirtschaft überzuschwappen - mit Folgen für den IT-Arbeitsmarkt.

Die Auswirkungen der Finanzkrise sind abzusehen. Geldhäuser werden IT-Profis in großem Maßstab entlassen. "Das gilt für die, die sich verspekuliert haben, wie auch für die, die übernehmen und konsolidieren. Das wird - die positive Seite - den Mangel an Spezialisten teilweise entschärfen", prophezeit Ulrich Schütz, Partner Transaction Integration Services bei Ernst & Young. Sein Bereich berät Unternehmen bei Transaktionen, ihre IT und ihr Personal koordiniert zu trennen beziehungsweise planvoll zusammenzuführen.

Viele IT-Aufträge sind von Banken

"Die Marktbereinigung im Finanzsektor - weniger Institute, weniger Stellen, weniger Aufträge - wird sich negativ auf die Auftragslage in der IT-Branche auswirken", sieht Schütz voraus. Denn der Finanzsektor sei für viele IT-Anbieter die Schlüsselbranche.

"21 Prozent des deutschen IT-Umsatzes wurden 2007 im Kredit- und Versicherungsgewerbe generiert", berichtet Joachim Benner, Research Analyst bei IDC. Damit sei dieser Sektor die Nummer zwei hinter dem verarbeitenden Gewerbe. Inbesondere IT-Dienstleister werden im Zuge der Finanzkrise voraussichtlich mit erheblichen Auftragsrückgängen konfrontiert sein.

Damoklesschwert Entlassungen

Der Finanz- und IT-Markt werden nicht die einzigen Betroffenen sein. Der Kreditversicherer Coface hat acht Branchen deutlich heruntergestuft, darunter den Handel, die Auto-, Textil- und Papierindustrie, das Baugewerbe und den Luftverkehr. Die Kreditauskunftei misst Zahlungsverzögerungen und -ausfälle bei Forderungen in 65 Ländern. "Verschlechtert sich das Zahlungsverhalten, ist das ein untrügliches Zeichen für eine Marktabschwächung in diesen Bereichen", warnt Benoit Claire, Vorstandschef von Coface Deutschland.

Damit steht das Szenario: Die Marktabschwächung in vielen Branchen, verstärkt durch die Finanzkrise, könnte bei IT-Herstellern, IT-Dienstleistern und auch IT-Anwenderunternehmen eine Entlassungswelle auslösen. Auch bei Logica Deutschland schätzt man die Lage als ernst ein: "Das Fahrwasser dürfte, aufgewühlt durch die US-Finanzkrise, unruhiger werden", erklärt CEO Torsten Straß. Er sieht sein Unternehmen dennoch gut gerüstet: Logica achte auf einen Mix aus Beratungs- und Realisierungsprojekten sowie Outsourcing-Vorhaben. Letztere seien auch in schlechteren Zeiten gefragt. "Wenn die Konjunktur schwächelt, lagern viele Kunden ihre IT aus, um Kosten zu sparen", erläutert er. Logica lege zudem großen Wert auf Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter: "In schwierigen Zeiten brauchen wir Fachkräfte, die über langjährig gewachsenes Know-how und strategisches Marktwissen verfügen." Logica will bis Jahresende insgesamt 400 IT-Profis einstellen.

"Schon vor der Finanzkrise setzte die Konsolidierung im IT-Markt in großem Maßstab Spezialisten frei", beurteilt Winfried Materna, Geschäftsführer von Materna, die Lage. "Bei IT-Wachstumsraten zwischen drei und vier Prozent haben andere Nachfrager, vor allem mittelständische Anbieter und Anwender, die frei werdenden Arbeitskräfte bereitwillig aufgenommen." Deshalb hielt der Spezialistenmangel an. Lasse jetzt der IT-Markt nach, werde sich dieser Mangel deutlich abschwächen. "Dadurch", so Materna, "könnte sich die Zahl der freien IT-Profis bald und schnell vergrößern."

Trend zu Zeitverträgen

Materna warnt davor, IT-Spezialisten übereilt zu entlassen. "Die Firmen sollten diesmal überlegter und vorausschauend handeln, um die unruhigen Gewässer erfolgreich zu durchqueren und ihre Geschäftsinteressen langfristig zu wahren", fordert er. Die Chancen dafür sind aber eher gering. "Solange die Börsen eine kurzfristige Gewinnmaximierung honorieren und Personalabbau beklatschen, werden sich Entlassungen im großen Stil wiederholen", befürchtet Mathias Hein, freier IT-Berater in Neuburg an der Donau. "Viele Mitarbeiter werden so wahrscheinlich wieder gehen müssen." Der verstärkte Trend zu Zeitverträgen könnte den personellen Kehraus verstärken. Die Arbeitgeber müssen diesmal mit weniger sozialen Verbindlichkeiten und damit Kosten rechnen.

Konsolidierung bei IT-Herstellern

IDC-Marktforscher Benner geht davon aus, dass sich die IT-Industrie in Deutschland im zweiten Halbjahr in einigen Branchen deutlich abschwächen wird. Er macht dafür verschlechterte Rahmenbedingungen verantwortlich. Insbesondere im Kredit- und Versicherungsgewerbe sowie in der Industrie - dazu gehört auch der IT-Bereich - wird sich laut der IDC-Studie die Lage eintrüben. Mit höheren IT-Ausgaben sei nur noch im Gesundheitswesen, bei den Energieversorgern und der öffentlichen Hand zu rechnen. Dabei ist die Erhebung längst nicht mehr aktuell. "Eigentlich müssten wir aufgrund der Ereignisse noch mal nachfassen, um die reale Marktsituation widerzuspiegeln", räumt Benner ein.

Bei den großen IT-Herstellern, die ihre eigenen Techniken konsequent einsetzen, lichten sich schon lange die Reihen. Sie haben, trotz vieler Firmenübernahmen, ihren Personalbestand kontinuierlich heruntergefahren. Konsolidierung heißt das Schlagwort. Aktuelles Beispiel ist HP, das den IT-Dienstleister EDS übernommen hat und in den kommenden zwei Jahren allein in Deutschland 1400 Stellen streichen wird.

Gleichzeitig suchten und suchen diese Hersteller, die zunehmend als Dienstleister auftreten, händeringend nach Spezialisten. Die Erklärung für dieses Paradoxon: Sie drücken ihren Technologien mit Marktmacht einen immer spezifischeren Stempel auf. Das Profil der gesuchten Mitarbeiter können weder Hochschule noch andere IT-Anbieter liefern. Das kann nur das eigene Unternehmen. Allerdings haben die großen IT-Hersteller in der Vergangenheit zu wenig in Aus- und Weiterbildung investiert. Die Tatsache, dass sie sich zudem von entwicklungsfähigen IT-Fachleuten verabschiedet haben, hat ihr Recruiting-Problem verschärft. Eine Entlastung ist nicht in Sicht.

"Damit werden kleinere IT-Dienstleister wieder einmal die Unterlassungslücken der Großen füllen müssen", vermutet Sandra Gehling, geschäftsführende Gesellschafterin der RDS Consulting. Ihr Unternehmen, 85 Mitarbeiter stark, investiert in Aus- und Weiterbildung. Um Spezialisten langfristig zu binden, setzt RDS auf Karriereplanung. Das hat sich ausgezahlt. Während andere Firmen nach Personal suchen, konnte der Dienstleister IT-Anbietern und Anwendern mit Fachleuten aushelfen.

Auch Brain Force Software macht die Hälfte seines Geschäfts mit Recruiting und Personalvermittlung.

Ende der sozialen Verpflichtungen

"Über unsere Datenbank haben wir das Wissen und die Erfahrungen von Tausenden IT-Spezialisten vernetzt", beschreibt Geschäftsführer Martin Friedrich. So kann Brain Force sogar für Sondersituationen wie Krankheits-, Urlaubs-, Stoß- und Schichtzeiten kurzfristig Fachkräfte bereitstellen. Friedrich macht sich keine Illusionen: "Schwächt sich der Markt ab, werden die Kunden auf eine noch höhere Einsatzflexibilität der Fachkräfte Wert legen. Wenn Kosten-, Zeit- und Wettbewerbsdruck zunehmen, werden die meisten Arbeitgeber Mitarbeiterbindungen und soziale Verpflichtungen nicht pflegen, sondern reduzieren." (am)

Dieselben Fehler?

Nach dem Platzen der Dotcom-Blase und dem begleitenden Abrutschen der Börsenkurse weltweit kam es zu einem heftigen Personalabbau in der IT. Wenige Jahre später war der Katzenjammer groß: Im Aufschwung fehlte es an qualifizierten Mitarbeitern. In den nächsten Monaten wird sich nun zeigen, ob sich die Geschichte wiederholt. IT-Unternehmer Winfried Materna warnt: "Firmen sollten diesmal langfristiger und strategischer denken."

Warum IT-Profis frei werden

  • Banken und Finanzdienstleister werden Personal abbauen - auch in der IT.

  • Softwarehäuser und Dienstleistungsunternehmen mit dem Schwerpunkt Banken werden weniger Aufträge bekommen und möglicherweise Personalmaßnahmen treffen.

  • Die Bankenkrise führt zu einer Konjunkturabkühlung in vielen Branchen - mit Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

  • In Krisenzeiten wächst die Bereitschaft zum Outsourcing. Dabei entstehen oft Skaleneffekte, die zu Lasten des IT-Personals gehen.