Mackintosh-Studie: Renntempo; Matthöfer plädiert für Kooperation

Europäische Halbleiter-lndustrie rückständig

04.02.1977

BONN (CW) - Ohne Unterstützung durch die Regierungen wird die europäische Halbleiterindustrie ihre Eigenständigkeit nicht wahren können. Schon heute ist die Position der amerikanischen und japanischen Konkurrenten nicht nur auf dem Weltmarkt, sondern selbst in der Gemeinschaft außerordentlich groß. Dies ist die Aussage der "Marktstudie Halbleiter", die Mackintosh Consultants im Auftrag des Bonner' Forschungsministeriums mit Unterstützung der Regierungen in Frankreich, England und Holland sowie der Brüsseler EG-Kommission für rund 500 000 Mark erstellt hat.

Die 900-Seiten-Untersuchung liefert Marktprognosen, beurteilt technologische Trends und analysiert die Halbleiterindustrie in Westeuropa, USA und Japan nach technischen, wirtschaftlichen und strategischen Faktoren. Zugänglich ist nur eine Kurzfassung von 43 Seiten.

Die Halbleiterindustrie ist, so stellt es sich für Mackintosh Consultants und Forschungsminister Hans Matthöfer dar, innovativ wie kein anderer Industriezweig. Schon jetzt werden etwa 1000mal mehr Transistorfunktionen auf einem Siliziumplättchen untergebracht als vor zehn Jahren. Es wird erwartet, daß der Integrationsgrad von zur Zeit maximal 30 000 Einzelfunktionen pro Chip bis zum Jahre 1980 auf etwa 1 Million und bis 1985 auf mehrere Millionen ansteigen wird.

1985: 10 Milliarden Dollar

Angesichts dieser zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten wird der Weltmarkt für integrierte Schaltungen in den nächsten Jahren fast exponentiell ansteigen. 1975 lag das Volumen bei etwa 2,6 Milliarden US-Dollar, 1976 waren es nach den Schätzungen von Mackintosh rund 3,0 Milliarden US-Dollar, aber schon 1980 wird das Volumen bei 5 Milliarden und 1985 gar bei l0 Milliarden US-Dollar liegen. Allein der westeuropäische Markt I für Mikroprozessoren wird bis 1980 auf etwa 5 Millionen Stück und bis 1985 auf etwa 25 Millionen Stück anwachsen, das entspricht einem Volumen von 106 Millionen beziehungsweise 265 Millionen Dollar.

Die westeuropäischen Halbleiterunternehmen sind hinter der amerikanischen Entwicklung nicht nur um etwa zwei Jahre zurück, sondern sie wissen außerdem nicht, "welche Strategien sie anwenden sollen". Eine klare Vorstellung von der großen Bedeutung der Mikroprozessor-Märkte sollen sie nicht haben. Die technische Leistungsfähigkeit eines Landes wird, so Forschungsminister Hans Matthöfer, "entscheidend davon abhängen", ob die moderne Technologie der integrierten Schaltungen beherrscht wird. Die meisten Firmen werden sie einsetzen müssen, wenn sie konkurrenzfähig bleiben wollen.

Halbleiter werden im Renntempo besser: Im Jahre 1973 betrugen die Schaltverzögerungszeiten noch 40 bis 50 Nanosekunden, heute liegen sie bei speziellen Schaltkreisen bei 5 Nanosekunden. Auch die Speichertechnologie hat in den letzten Jahren beachtliche Erfolge zu verzeichnen. Serielle CCD-Speicher mit Kapazitäten von 2 MByte sind bereits als. Muster vorhanden. Innerhalb von nur fünf Jahren. hat sich die Kapazität von 1 Kbit auf 4 Kbit je Chip erhöht, sogar 16 Kbit-Chips, die allerdings noch ein Watt verbrauchen, sind bereits verfügbar. Bei Verringerung des Leistungsbedarfs werden auch die bereits angekündigten 64 Kbit-Speicher realisierbar.

Diese technologische Entwicklung wird nicht ohne Auswirkungen auf die Wirtschaft bleiben. Mackintosh Consultants stellte jedoch fest, daß die Leistungsfähigkeit der meisten europäischen Halbleiterhersteller zu niedrig sei, um Erweiterungen der Produktionskapazitäten zu finanzieren, die notwendig sind, wenn man mit dem zu erwartenden Wachstum des westeuropäischen Marktes für integrierte Schaltungen Schritt halten will. Die Kosten für eine fertige gute Schaltung betragen heute in Europa etwa 90 Cents, in den USA hingegen nur 82,5 Cents. Diese Kosten lassen sich durch Verbesserung der Ausbeute und der Kapazitätsausnutzung reduzieren. Aus diesem Grunde benötigt die Halbleiterindustrie nach Auffassung von Mackintosh Consultants hochqualifizierte Hilfsdienste.

Als außerordentlich günstig hat es sieh in den USA erwiesen, daß sich die Halbleiterhersteller einschließlich des benötigten Dienstleistungsgewerbes auf kleinstem Raum in Kalifornien, im sogenannten "Silicon Valley", konzentriert haben.

Matthöfer hofft jedenfalls, daß die anderen Regierungen Europas und die europäische Industrie bereit sind, die Konsequenzen aus der Studie zu ziehen, und sich auf eine gemeinsame Strategie einigen. Der Minister ließ aber keinen Zweifel daran, daß man von deutscher Seite durchaus an eine Zusammenarbeit mit einem potentiellen amerikanischen Unternehmen denke, falls sich der europäischen Kooperation auch weiterhin unüberwindbare Hindernisse entgegenstellen.