Schutzansprüche auf Software bleiben umstritten

EU-Patentstreit - und kein Ende?

28.05.2004
MÜNCHEN (CW) - Die in der vergangenen Woche vom EU-Wettbewerbsrat beschlossene Richtlinie zur Softwarepatentierung sorgt für neuen Zündstoff im Kampf um die Schutzansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen". Von der Industrie begrüßt, stößt die Regelung bei unabhängigen Entwicklern und kleineren Unternehmen nach wie vor auf heftige Ablehnung.

Der EU-Rat hat sich für die Patentierbarkeit von Software in der Europäischen Union ausgesprochen. Nach Angaben der Kommission garantiert der jüngste Richtlinienentwurf staatlichen Monopolschutz für "echte Innovationen", soll jedoch freie Entwickler nicht in ihrer Arbeit behindern.

EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein, Urheber des ursprünglichen Richtlinienentwurfs, bezeichnete den aktuellen Ratsbeschluss als wichtigen Schritt. Man müsse Investitionen in Innovationen belohnen, damit die wissensbasierende Wirtschaft in Europa floriere, so der Kommissar. Von der Patentierung ausgeschlossen sind laut jüngstem Entwurf jedoch Geschäftsmethoden oder Computerprogramme, die keine tatsächlichen Neuerungen darstellen, hieß es vage.

Die Bundesregierung hatte der heftig umstrittenen Neufassung der Richtlinie entgegen anders lautenden Ankündigungen zugestimmt, nachdem einige geforderte Änderungen in das Dokument eingeflossen waren. Letztere sollen die Arbeit von Open-Source-Entwicklern schützen und genauer spezifizieren, was patentfähig ist.

Doch auch für kleinere Unternehmen ist die Patentierung von Software nach Meinung der Kritiker eine Bedrohung. Zeit- und Kostenaufwand für Patentrecherchen, die sich große Firmen leisten könnten, würden die Kapazitäten und Mittel der Kleinen übersteigen und diese ins wirtschaftliche Abseits drängen, so die Argumentation. Für Markus Beckedahl vom Netzwerk Neue Medien birgt der aktuelle Brüsseler Beschluss die Gefahr, "dass kleine und mittelständische Unternehmen künftig nur noch von der Gnade der Inhaber der Patentmonopole existieren können".

Die Patentgegner betrachten die Richtlinie nach wie vor als katastrophal. So erklärten der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) und die Eurolinux-Allianz: "Bei dem von der Bundesregierung in Brüssel durchgesetzten Dokument handelt es sich um einen Vorschlag zur grenzenlosen Patentierung und Patentdurchsetzbarkeit, der in seiner Radikalität den ursprünglichen Vorschlag der Kommission in den Schatten stellt." Georg Greve, Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE), wiederum wähnt Europa "im Begriff, sich endgültig von dem Ziel zu verabschieden, bis 2010 die ''wettbewerbsfähigste wissensbasierte Region'' zu werden".

Das bereits seit Jahren anhaltende Ringen um eine europaweite Regelung zur Patentierbarkeit von Software - derzeit ist diese in Europa nur durch das Urheberrecht geschützt - gerät zum Tauziehen. So hatte das EU-Parlament im Herbst 2003 bereits 21 Modifikationen an der ersten Version der Richtlinie durchgesetzt. Ziel der Korrektur war, die Patentierbarkeit dahingehend einzuschränken, dass Geschäftsmethoden und Algorithmen nicht und Software nur in Verbindung mit bestimmten Anwendungen in technischen Geräten patentierbar sind. Diese Entscheidung wurde jedoch gegen den Widerstand von EU-Kommission, Ministerrat und Industrielobby getroffen. So hatten etwa die fünf Konzerne Alcatel, Nokia, Siemens, Philips und Ericsson damit gedroht, bei Inkrafttreten der damaligen Regelung ihre Forschungs- und Entwicklungsbereiche außerhalb von Europa anzusiedeln. Der vergangene Woche von der irischen Ratspräsidentschaft vorgelegte Kompromiss soll laut EU-Sprechern und Patentgegnern nahezu alle 2003 beschlossenen Modifikationen außer Acht lassen.

Ob die jüngste Richtlinie in Gemeinschaftsrecht eingeht, wird sich jedoch erst im Herbst herausstellen. Dann muss der Entwurf dem Europäischen Parlament, das im Juni neu gewählt wird, ein weiteres Mal vorgelegt werden. (kf)

Interview mit Richard Stallman

Mit Richard Stallmann, dem Gründer der Free Software Foundation, sprach Joachim Jakobs, freier Journalist in Mühltal.

CW: Warum lehnen Sie Softwarepatente ab?

STALLMAN: Softwarepatente nehmen den Menschen die Freiheit, da sie Ideen monopolisieren. Wer ein Patent auf eine Softwareidee hat, kann anderen verbieten, die gleiche Idee zu haben und umzusetzen. Dazu ist noch nicht einmal eine ausgearbeitete Lösung notwendig. Betroffen sind jedoch sämtliche Lösungen zu einer bestimmten Idee. Konsequenterweise sollten Softwarepatente eigentlich Softwareideenpatente heißen.

CW: Warum unterscheiden Sie zwischen Patenten auf technische beziehungsweise physikalische Erfindungen und Schutzansprüchen auf Software?

STALLMAN: Nehmen Sie die Pharmaindustrie: Da entwickelt ein Unternehmen jahrelang an einem neuen Medikament, auf das es dann ein Patent erhält. Anders in der Softwareentwicklung: Eine Anwendung besteht aus zahlreichen Einzelideen, die sich dann aber in anderen Projekten wieder ganz unterschiedlich kombinieren lassen. Daher kann wegen jeder einzelnen Idee geklagt werden.

CW: Davon sind ja vor allem die kleinen Softwareunternehmen betroffen. Wie gehen die Großen vor?

STALLMAN: Die lizenzieren quer - nach dem Motto: "Kann ich 1000 von deinen, darfst du 1000 von meinen Patenten nutzen."

CW: Braucht Europa aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA Softwarepatente?

STALLMAN: Glauben Sie das nicht! Wenn sich die EU entschließt, ähnliche Regeln wie in den USA aufzustellen, könnten amerikanische Oligopolisten ihre Ansprüche auch in Europa durchsetzen. Das ist alles. Darin kann ich keinen Vorteil für die Europäer erkennen.

CW: Wer hat in der EU-Politik ein Interesse an Softwarepatenten?

STALLMAN: In den USA kennen wir den "Drehtüreffekt": Dabei hoffen die Beamten aus den Ministerien, bei Wohlgefallen der Industrie einen Posten angeboten zu bekommen, auf dem sie viel Geld erhalten, aber wenig dafür leisten müssen. Vielleicht verhält sich das hier in Europa ja ähnlich.