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Wirtschaft gefordert

EU mahnt Industrie zu Eile bei Galileo

23.04.2008
Von Handelsblatt 
Das umstrittene europäische Satellitennavigationssystem Galileo erhält neuen Schub. Nach der EU-Kommission und dem Ministerrat stellte sich am Dienstag auch das Europaparlament in Straßburg hinter einen Kompromiss, der die Rettung des milliardenschweren Prestigeprojekts vorsieht. Jetzt ist die Wirtschaft gefordert.

Von 2007 bis 2013 stehen für das Projekt 3,4 Milliarden Euro aus EU-Mitteln bereit. Damit sei der Weg für die Ausschreibung und den Aufbau von Galileo endgültig frei, sagte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Die Auftragsvergabe ist für November geplant.

Galileo soll dem amerikanischen Navigationssystem GPS Konkurrenz machen und ab 2013 für öffentliche und kommerzielle Anwendungen bereitstehen. Insgesamt sollen 30 besonders leistungsstarke Satelliten ins All geschossen werden. Bisher ist allerdings nur der Testsatellit "Giove-A1" im Orbit. Am Sonntag soll das Nachfolgemodell "Giove-B" am Weltraumbahnhof Baikonur an den Start gehen. Das neue, mit einer hochpräzisen Atomuhr ausgestattete Modell zeige, dass die deutsche Industrie voll hinter dem Galileo-Projekt stehe, hieß es gestern beim Hersteller EADS Astrium in Ottobrunn.

Auch Tiefensee zeigte sich zuversichtlich: "Aufbau und Betrieb von Galileo werden in Deutschland hohe Investitionen generieren und eine Vielzahl Arbeitsplätze im Hochtechnologiebereich sichern", sagte der Minister. Vor allem beim Satellitensegment und beim Betrieb der Kontrollzentren stehe die deutsche Raumfahrtindustrie bereit.

Allerdings fordert die EU noch mehr Engagement von der Wirtschaft. Nach der EU-internen Einigung gehe es nun darum, dass die Industrie mitzieht und Zeitplan und Kostenrahmen einhält, sagte die für Galileo zuständige Berichterstatterin des Europaparlaments, Etelka Barsi-Pataky, dem Handelsblatt. "Die größte Gefahr ist, dass wir den Zeitplan nicht einhalten", warnte die Expertin aus Ungarn. Sie rechne noch mit harten Verhandlungen mit der Industrie, so Barsi-Pataky. Die europäischen Konzerne verfügten zwar über das nötige Know-how, hätten sich in der Vergangenheit jedoch nicht immer kooperativ gezeigt. Außerdem müsse sich die EU auf einen "harten Kampf um den Preis" einstellen.

Ursprünglich sollte Galileo in einer "Public Private Partnership" gemeinsam mit der Industrie aufgebaut werden. Da sich die Konzerne nicht auf ein tragfähiges Konzept und eine Beteiligung am Risiko einigen konnten, will die EU das Projekt nun in Eigenregie übernehmen. Es wurde in sechs Einzelpakete zerlegt, mindestens 40 Prozent eines Pakets müssen an Subunternehmer vergeben werden. Die EU-Kommission übernimmt das Management, Ministerrat und EU-Parlament werden an der Kontrolle beteiligt.

Durch diese Konstruktion sei eine "klare Governance" und die Solidarität aller EU-Institutionen gesichert, sagte Barsi-Pataky. "Wir sitzen alle zusammen in einem Boot, das hat durchaus Charme." Ähnlich äußerte sich die deutsche Europaabgeordnete Angelika Niebler (CSU): Der Kompromiss sei ein "riesengroßer Erfolg". Er stelle nicht nur die Finanzierung aus EU-Mitteln, sondern auch einen "Hauch von Wettbewerb" sicher. Davon würden vor allem mittelständische Firmen profitieren.

Der größte Auftragsschub wird jedoch nicht vom Aufbau der Satellitennavigation, sondern von neuen Anwendungen erwartet. Dabei könnte es erneut zu Streit zwischen europäischen Industriekonzernen, aber auch zwischen den EU-Staaten kommen. Während Deutschland vor allem auf eine zivile Nutzung von Galileo setzt, plant Frankreich auch militärische Anwendungen. Unklar ist zudem, wer die neuen Anwendungen anstoßen und finanzieren soll. Die EU hofft vor allem auf private Initiativen. Eine erste groß angelegte Anwender-Konferenz ist im Juni in Brüssel geplant.