Ende der Bauchentscheidungen

12.10.2005
Von Kerstin Schröder und Christian Kirschniak  
Business-Performance-Management hat strategische Bedeutung. Seine Umsetzung ist aber aufwändig und erfordert eine gute Planung von Anfang an.
Es sind weniger die Tools und deren Implementierung, die BPM-Projekten zu schaffen machen. Über den Erfolg entscheiden die Vorarbeiten - insbesondere die der Anforderungsanalyse und der Konzeption von Kennzahlen- und Datenmodellen.
Es sind weniger die Tools und deren Implementierung, die BPM-Projekten zu schaffen machen. Über den Erfolg entscheiden die Vorarbeiten - insbesondere die der Anforderungsanalyse und der Konzeption von Kennzahlen- und Datenmodellen.

Mehr Transparenz in den einzelnen Geschäftsprozessen, zuverlässige Zahlen darüber, wie sich Abteilungen entwickeln, das sind Gründe, um über Business-Performance-Management (BPM) nachzudenken. Doch wie können Unternehmen eine BPM-Strategie ausarbeiten und erfolgreich umsetzen? Dieser Umgang mit der Business Intelligence (BI) unterscheidet sich von den meisten aktuellen Softwareprojekten. Und es sind andere Akteure, die den Anstoß geben: Nicht die IT-Organisationen, sondern Vertreter der Chefetagen, des Controllings und der Fachbereiche drängen auf eine intensive Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken des BPM.

Grundregeln für BPM-Projekte

Schaffen Sie bereits im Vorfeld ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, dass firmenweit alle Entscheidungs- und Planungsprozesse systematisch auf laufend erfasste Kennzahlen zurückgreifen. BPM ist eine Frage der Unternehmenskultur.

Think big, start small: Konzentrieren Sie sich zunächst auf ein ausgewähltes Teilprojekt und Thema - etwa auf die Finanzberichterstattung.

Binden Sie die Anwender von Beginn an in alle Entscheidungsprozesse ein: Nicht die IT bestimmt, was BPM leistet, sondern Geschäftsführung und Fachbereiche. Die Auswahl des richtigen Projektsponsors spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Planen Sie genug Zeit für die Anforderungsanalyse ein: Ein individuelles Kennzahlenmodell ist das Resultat aufwändiger Konzeptions- und Abstimmungsaktivitäten.

Schöpfen Sie alle Möglichkeiten aus, die Reporting- und Analysewerkzeuge Ihres BPM-Systems über individuell maßgeschneiderte Benutzerrechte zu personalisieren.

Achten Sie darauf, rechtzeitig und regelmäßig präsentierbare Ergebnisse zu produzieren - etwa im Rahmen eines raschen Prototypings.

Hier lesen Sie …

• worin sich Business-Performance-Management von klassischen Business-Intelligence-Lösungen unterscheidet;

• was Unternehmen bei der Implementierung einer BPM-Strategie beachten sollten;

• welche Rolle die Unternehmenskultur in BPM-Projekten spielt.

Viele Unternehmen werden im Zuge neuer Gesetzespflichten wie zum Beispiel der Kreditgaberichtlinien Basel II erstmals auf den neuen BI-Ansatz aufmerksam. Sukzessive wächst dann das Verständnis: Eine durchgängige BPM-Strategie belässt es nicht bei reinen Rationalisierungseffekten beim Audit. Vielmehr können Reporting-, Analyse- und Simulations-Tools auf Grundlage einer übergreifenden und einheitlichen Datenbasis alle Lücken in der Geschäftssteuerung schließen. BPM-Lösungen sorgen für eine bewusste Technokratisierung des Managements, die konsequent die Prinzipien unternehmerischen Denkens durchsetzt. Unkoordinierte und intuitive Bauchentscheidungen gehören der Vergangenheit an. Denn ob Vorstand, Controller oder Abteilungsleiter - mit BPM wissen sie jederzeit um alle Handlungsnotwendigkeiten und -alternativen.

Fakt ist aber auch, dass erst wenige Unternehmen bereits BPM-Projekte in aller Konsequenz umgesetzt haben. Grund ist der weitreichende strategische Charakter von BPM. Es greift über alle Geschäftsbereiche und -funktionen hinweg stark in betriebliche Steuerungsprozesse ein. Deshalb liegen auf dem Weg zur software- und kennzahlengestützten Unternehmenssteuerung zahlreiche Fallstricke, die anfangs ambitionierte BPM-Projekte mitunter in einem simplen Performance-Measurement münden lassen.

Es werden immer wieder die gleichen Fehler gemacht

Im Kern sind es immer wiederkehrende Fehler, die BPM-Vorhaben ins Straucheln bringen: Unternehmen vernachlässigen die detaillierte Anforderungsanalyse und die sorgfältige Konzeption der Kennzahlen- und Datenmodelle, verpassen die frühzeitige Einbindung der Anwender oder wollen zu viel auf einmal. Eine softwaregestützte Unternehmenssteuerung lässt sich nur realisieren, wenn von der Geschäftsführung über die Fachbereiche bis hin zur IT-Organisation alle an einem Strang ziehen.

Zunächst einmal bedarf es des Bewusstseins, dass BPM-Lösungen nicht bereits nach ein wenig Customizing einsatzbereit sind. Natürlich stellen die im Markt verfügbaren Monitoring-, Reporting-, Analyse-, Scorecarding-, Planungs- und Budgetierungswerkzeuge in aller Regel neben der reinen Technik auch Methoden bereit - seien es Berichtsvorlagen oder Szenariomodelle. SAP BW (Business Information Warehouse) beispielsweise liefert Unternehmen mit dem "Business Content", den diversen Werkzeugen des "SAP Business Explorer" und des "SAP Web Application Designer" durchaus das erforderliche Rüstzeug, um einzelnen Geschäftsbereichen binnen kurzer Zeit mit einem Balanced-Scorecard-Ansatz erheblich mehr Transparenz und Steuerungskompetenz zu verleihen.

Am Anfang steht die Anforderungsanalyse

Doch der Nutzwert aller BPM-Applikationen entscheidet sich in der Frage, wie ihre Tools und Templates für Berichte, Cockpit-Visualisierungen, Auswertungen und Szenarien mit konkreten Inhalten gefüllt werden. Ganz gleich, welches Konzept der Unternehmenssteuerung jeweils das passendste sein mag, ob Balanced Scorecards oder Performance-Pyramiden: Grundlage jedes BPM-Projekts ist es, eine firmenspezifische Systematik zu definieren, die mit einem Mix aus finanziellen und anderen Kennzahlen die Geschäftsentwicklung zunächst messbar und dann auch steuerbar macht. Es heißt, die Unternehmensstrategie sorgsam Stück für Stück auf die Ebene der Prozesse und Aktivitäten herunterzubrechen. Gefragt ist eine abgestufte Systematik aus Leistungsindikatoren etwa für Kosten, Zeit, Qualität und Innovationsfähigkeit, die den Unternehmenserfolg nachvollziehbar quantifizieren.

Wie komplex sich die Anforderungsanalyse gestaltet, hängt maßgeblich von der jeweiligen Branche ab. Für Telekommunikationsdienstleister beispielsweise ist es vergleichsweise einfach, die Unternehmens-Performance und etwaige Entwicklungen durch BPM zu erfassen. Gründe dafür sind eine tiefe IT-Durchdringung sowie ein überschaubares Portfolio mit relativ wenigen Kennzahlen - wie etwa der Calltime, den Churn-Raten oder dem Durchschnittsumsatz pro Kunde ARPU (Average Revenue per User). In Produktionsbetrieben hingegen sind weitaus komplexere Modelle erforderlich, um etwa die große Fertigungstiefe und die Anbindung von Händlern zu berücksichtigen.

Wie viele Daten braucht das Management?

Branchenübergreifend steckt die Tücke oft im Detail. Denn selbst wenn man Entscheider aus einem Unternehmen an einen Tisch bringt, entsteht ein Szenario immer wieder: Manager reden geraume Zeit über ein und dieselbe Kennzahl, bis sich schließlich herausstellt, dass sie doch eine ganz andere Größe meinen. Entsprechend sorgfältig und kommunikativ ist in dieser Projektphase zu arbeiten. Schritt für Schritt müssen die Projektverantwortlichen ein komplexes Geflecht von Fragen auflösen: Welche Schlüsselindikatoren spiegeln die zentralen Aspekte der Performance-Entwicklung und der Erfüllung der Unternehmensziele wider? Mit welchen Kennzahlen lassen sich Geschäftsbereiche umfassend betrachten und Veränderungen erkennen? Wie sind die einzelnen Kennzahlen miteinander verknüpft? Hewlett-Packard beispielsweise hat hierfür mit INDD (Information Need Driven Design) eine Methodik zur Bestimmung unternehmensindividueller Kennzahlensystematiken entwickelt. Das Verfahren soll sicherstellen, dass BPM-Applikationen nur die relevanten Kennzahlen auswerten und dass diese sich jeweils bis zu den operativen Abläufen zurückverfolgen lassen.

In der Praxis hapert es oft noch an der Qualität und Integrität der Ausgangsdaten. So ist es in großen Konzernen weiterhin gang und gäbe, dass Sachbearbeiter Inhalte manuell einpflegen müssen. Dadurch entstehen fortwährend kleine Interpretationsspielräume, die in ihrer Gesamtheit große Projekte zum Scheitern bringen können. Denn sobald erstmals bei einem Meeting zwei Balanced-Scorecard-Analysen kursieren, die identisch sein sollten, es aber nicht sind, dürfte das Vertrauen in eine BPM-Lösung nachhaltig gestört sein. Entsprechend frühzeitig und intensiv sind in Kooperation von Fachbereichen und IT-Abteilung die Grundlagen und Details des Daten-Managements zu erörtern.

Berechtigungskonzept - kein Fass ohne Boden

Nicht zu unterschätzen ist auch der Aufwand, den die Definition akzeptierter Berechtigungskonzepte erfordert. Denn darum dreht sich jede BPM-Installation ja im Kern: Wer braucht wann welche Informationen? Manager der Geschäftsleitung verlangen in der Regel ein Business-Cockpit: jederzeit abrufbare Gesamtschauen aller zentralen Performance-Indikatoren mit der Option zum Drill-down. Für einen Produktionsleiter hingegen sind von Anfang an viel detailliertere Produktivitätskennzahlen maßgeblich, etwa die Ausbringung oder der Ausschuss einzelner Maschinen. Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass ein durchgängiges Echtzeit-Reporting angesichts exorbitant steigender Infrastrukturkosten kaum realisierbar ist. Folglich darf eine abgestimmte Prioritätensetzung als A und O der Anwenderakzeptanz gelten - zum Beispiel: tägliche Reports der Fertigungszahlen, ein Wochenturnus im Einkauf.

Sehr erfolgreich gelöst hat diese Herausforderung einer der weltweit größten Automobilkonzerne, bei dem heute alle in Frage kommenden Mitarbeiter einen individuellen Blick auf die für sie relevanten Performance-Kennzahlen haben: und zwar über die gesamte Matrixorganisation der Geschäftseinheit hinweg - vom Topmanager im Finanzwesen bis hin zum Sachbearbeiter. Die Gründe für den Erfolg: Von Anfang an waren sich alle Beteiligten über die zentrale Rolle im Klaren, die ein ebenso individuelles wie strikt umgesetztes Berechtigungskonzept spielt. Dank frühzeitiger Abstimmung zwischen IT und Fachbereichen ließ sich vermitteln, dass das Management von Rollen und Zugriffsrechten im Kern keine IT-Aufgabe ist, sondern vor allem betriebswirtschaftliches Wissen erfordert. Und in einem flexiblen Berechtigungs-Management kommt ein fest verankertes Verständnis zum Ausdruck, dass es sich bei BPM weniger um eine abgeschlossene Initiative als vielmehr um einen fortwährenden Prozess handelt. Schließlich stellen die Nutzer ständig neue Anforderungen, die zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen sind.

Viele Initiativen zur IT-gestützten Unternehmenssteuerung sehen sich jedoch alsbald einem Dilemma gegenüber. Zum einen hängt ein erfolgreicher BPM-Einsatz stets von einer Firmenkultur ab, die von der Unternehmensspitze bis auf Sachbearbeiterebene darauf setzt, alle Entscheidungs- und Planungsprozesse durch kontinuierlich erfasste Kennzahlen zu optimieren. Und das kann nur funktionieren, wenn alle Akteure hinter einem solchen Projekt stehen. Zum anderen ist eine BPM-Einführung jedoch an aufwändige Präzisionsarbeit und Abstimmungsprozesse gebunden. Von der Bedarfsanalyse bis zur Fachkonzeption - alle Schritte auf dem Weg zum BPM erfordern viel Akribie und Zeit, stellen die allgemeine Entschlossenheit also auf eine harte Belastungsprobe.

Am Anfang stehen überschaubare Einzelprojekte

Folgerichtig kann das Motto nur "Think big, start small" lauten. Keine Frage, im Kern geht es bei BPM um unternehmensweite Steuerungskompetenz. Nichtsdestotrotz ist es dringend ratsam, sich zunächst konsequent auf ein relevantes Thema oder Einzelprojekt zu konzentrieren, für das sich relativ rasch klare und überschaubare Performance-Indikatoren definieren lassen. Das Finanzwesen und die Buchhaltung erweisen sich oft als praktikable Ausgangspunkte mit später firmenweit ausbaubaren Kennzahlenpyramiden. So entstehen schnell sichtbare Ergebnisse, die allen maßgeblichen Kräften beweisen: BPM liefert über die reine Audit-Unterstützung hinaus eine echte strategische Steuerung und damit mehr Agilität im Wettbewerb - weil jeder Manager zum Unternehmer wird. (as)