Twitter-Kauf mit Folgen

Elon Musk im Dauerstress

03.11.2022
Von Redaktion Computerwoche
Massenentlassungen, Topmanager auf dem Absprung, verärgerte Nutzer und Werbekunden auf Distanz: Für Elon Musk wird die Twitter-Übernahme zum Abenteuer mit unbekanntem Ausgang.
Für den neuen Twitter-Chef Elon Musk dürfte es schwierig werden, seine propagierten Vorstellungen von "freier Rede" mit den Interessen der großen Werbekunden unter einen Hut zu bringen.
Für den neuen Twitter-Chef Elon Musk dürfte es schwierig werden, seine propagierten Vorstellungen von "freier Rede" mit den Interessen der großen Werbekunden unter einen Hut zu bringen.
Foto: thongyhod - shutterstock.com

Die Zukunft von Twitter hängt stark davon ab, ob Elon Musk die Türen wieder für Menschen öffnet, die aufgrund von Desinformationskampagnen und Hassrede ausgeschlossen worden waren. Der Multimilliardär, der Donald Trump auf Twitter zulassen möchte, erklärte, man sei dabei, einen klaren Prozess für die Moderation der Plattform zu etablieren. Das werde noch ein paar Wochen dauern, solange blieben die Türen für diejenigen, die ausgeschlossen wurden, weiter zu.

Der neue Twitter-Chef, der sich selbst gerne als "Freie-Rede-Absolutist" bezeichnet, habe sich mit Bürgerrechtsgruppen über die künftige Steuerung des Social Network unterhalten, etwa mit der N.A.A.C.P. oder der Anti-Defamation League. Geplant ist nun die Einsetzung eines mit der Content-Moderation beauftragten Beirats, dem Mitglieder verschiedener gesellschaftlicher Gruppen angehören sollen, darunter wichtige Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft und Opfer von Hassrede und Gewaltandrohungen.

Abwarten und Tee trinken - sagen große Werbekunden

Signale dieser Art sind für Musk besonders wichtig: Sollte er den Feinden der Demokratie die Türen öffnen, dürften ihm wichtige Werbepartner verlorengehen. Das wäre für Twitter fatal, da das Unternehmen zu zirka 90 Prozent von Werbung abhängt. Und die Vorzeichen sind nicht gut: Zuerst hatte General Motors - als Tesla-Rivale ohnehin auf Distanz zu Elon Musk - angekündigt, seine werblichen Aktivitäten vorerst einzustellen. Man wolle sich ein Bild von der Entwicklung der Plattform machen, bevor man über ein neues Engagement nachdenke.

Wenig später kündigte auch die internationale Werbegruppe IPG an, sie werde den Kunden ihrer Medienmarken empfehlen, keine Werbung auf Twitter zu schalten, solange die offenen Moderationsfragen ungeklärt seien. Das berichtet die New York Times (NYT) mit Bezug auf drei Insider. IPG zählt weltbekannte Marken wie American Express, Coca-Cola, Johnson & Johnson, Mattel und Spotify zu seinen Kunden. Das Unternehmen managt weltweit rund 40 Milliarden Dollar an Marketing-Geldern.

Wie Katie Klumper, CEO der IPG-Beratungstochter Black Glass der NYT berichtet, hätten auch Umfragen bei Kunden wie Walmart, Pepsi oder Cadillac ergeben, dass diese Konzerne Werbung auf Twitter so lange aussetzen wollten, bis sie Klarheit über die Ausrichtung hätten. Der ganze Vorgang und auch Elon Musk mit seinen Tweets würden quasi "stündlich" beobachtet. Die Unternehmen wollten genau wissen, in welchem Kontext sie ihre Marken und ihr Business inszenieren.

Bürgerrechtler schreiben offenen Brief

Darüber hinaus haben mehr als 40 Bürgerrechtsgruppen einen offenen Brief an Twitters größte Anzeigenkunden gesandt mit der Aufforderung, sich von der Plattform fernzuhalten, sollte Musk die bisherigen Moderations-Spielregeln in Frage stellen. Der Brief erreichte Unternehmen wie Amazon, CBS, Coca-Cola, Disney, Mondelez und Procter & Gamble. Wenn Musk auch nur einen Bruchteil dessen umsetze, was er angekündigt habe, könne Twitter keine Verkaufsplattform für seriöse Marken sein, schreiben die Organisationen.

Twitter steht auch unter Beobachtung der Global Alliance for Responsible Media (GARM), einem Verbund von Plattformen, Werbetreibenden und Industrieunternehmen, der sicherstellen will, dass digitale Medien nicht zu einem Umfeld verkommen, in dem die Kunden Schaden nehmen könnten. Diese Organisation will sich ebenfalls ansehen, wie Twitter das Thema Content-Moderation löst.

Begrüßt den Wechsel an der Twitter-Spitze, will aber weiter in seinem eigenen Social Network "Truth Social" aktiv bleiben: US-Ex-President Donald Trump.
Begrüßt den Wechsel an der Twitter-Spitze, will aber weiter in seinem eigenen Social Network "Truth Social" aktiv bleiben: US-Ex-President Donald Trump.
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In einem Blogpost schreibt die GARM, der Schutz der Marken sei für Werbetreibende nicht verhandelbar. Die Industrie sei beim Entwickeln entsprechender Industriestandards weit fortgeschritten, eine hohe Transparenz und der Schutz der Konsumenten stünden im Vordergrund. Von Twitter, seit 2019 ein GARM-Unterstützer, erwarte die Organisation weiter ein klares Bekenntnis zu den ethischen Standards. Man beobachte genau, wann und wie das versprochene Moderations-Panel aufgesetzt werde. Design, Governance und Performance von Twitter würden fortlaufend bewertet. Die Ergebnisse würden mit allen GARM-Mitgliedern geteilt und flössen in deren unabhängigen Entscheidungsprozesse ein.

Die Hälfte der Twitter-Mitarbeiter muss gehen

Ein weiteres Problem hat Musk mit seinem Personal: Nachdem er quasi als erste Amtshandlung den CEO, den CFO und weitere Top-Führungskräfte gefeuert hatte, haben nun andere Topmanager ebenfalls das Handtuch geworfen. Chief Marketing Officer Leslie Berland, Chief Customer Officer Sarah Personette, der Verantwortliche für Technologie und Infrastruktur Nick Caldwell sowie Dalana Brand, zuständig für "People and Diversity" - sie alle sind nicht mehr an Bord. Weitere Abgänge sollen demnach bevorstehen.

Wie Bloomberg berichtet, plant Musk die Entlassung von 3.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, was knapp der Hälfte des derzeitigen Personals (7.500) entsprechen würde. Eine offizielle Ankündigung dazu wird für Freitag (4. November 2022) erwartet. Ebenso müssen wohl einige Manager auf einen Teil ihres Gehalts verzichten. Hintergrund für die drastischen Maßnahmen ist, dass Twitter seine Kosten senken muss: Im Zuge der 44 Milliarden Dollar schweren Übernahme hatte Musk die Twitter-Bilanz selbst mit Bankdarlehen in Höhe von 13 Milliarden Dollar belastet.

Umstrittene Benutzergebühren

Last but not least muss Musk sich auch auf Ärger mit den Nutzern selbst gefasst machen. Der Unternehmer möchte die Abhängigkeit von Werbeumsätzen reduzieren und stattdessen vermehrt auf Benutzergebühren setzen. Bislang können sich prominente Marken und Personen ihr Twitter-Konto im Rahmen des sogenannten Blue-Service verifizieren lassen. Voraussetzung ist, dass Twitter den Teilnehmenden attestiert, dass ihre Beiträge "von öffentlichem Interesse" sind. Künftig sollen solche verifizierten Accounts - erkennbar durch ein weißes Häkchen vor einer kleinen blauen Wolke - voraussichtlich acht Dollar pro Monat kosten. Die Kennzeichnung garantiert laut Twitter, dass der entsprechende Account "echt, bekannt und aktiv" sei.

Den zahlenden Kunden werden allerlei Vorteile versprochen: Sie sollen mit weniger Werbung konfrontiert werden, längere Videos konsumieren oder auch die Paywalls bestimmter Medienmarken umgehen können, die mit Twitter in dieser Angelegenheit zusammenarbeiten.

Doch nicht alle Influencer auf Twitter finden es in Ordnung, dass ausgerechnet sie zahlen sollen, obwohl sie die Plattform mit ihrem Engagement erst attraktiv machen. So hat sich der Horror-Bestsellerautor Stephen King in einem Tweet - sicher eher aus Prinzip als aus Geldnot - öffentlich beschwert. Er warf die Frage auf, wer hier eigentlich wen bezahlen müsste: Der Plattformbetreiber den Inhalte-Schaffenden oder umgekehrt. Musk entgegnete in einem viel belächelten Tweet, auch Twitter müsse irgendwie seine Rechnungen bezahlen, man könne sich nicht zu 100 Prozent auf Werbung verlassen. (hv)