Ein Nullsummenspiel für die Computerindustrie

11.01.1991

Romin Neumeister, Geschäftsführer der Tandem Computers GmbH, Frankfurt

Ein Nullsummenspiel ist ein Spiel, bei dem die saldierten Ergebnisse aller Spieler Null ergeben. Oder anders ausgedruckt: Mehr wird es nicht. Als ein einfaches Nullsummenspiel kann man im Augenblick den Zustand der Computerindustrie beschreiben, denn in der Summe wird nichts mehr verdient. Was die einen gewinnen, das verlieren die anderen. Oder wird gar schon mehr verloren als gewonnen?

Ein zweites Nullsummenspiel spielt sich vor unseren Augen ab, aber eines, das gewiß kein Spiel mehr ist, und in dem die Summe gewiß negativ ist: Gemeint ist die Beschäftigungslage in der Computerindustrie. Es werden seit Jahren in unserer Industrie mehr Arbeitsplätze aufgegeben als neue geschaffen. In diesen Tagen berichten große Firmen von Entlassungen in den kommenden zwölf Monaten, zum Teil werden Tausende von Mitarbeitern freigesetzt. Bekannte Veränderungen auf dem deutschen Markt haben zu einer Konzentration ohne Vorbild geführt. Alle Computerhersteller klagen lauter als je zuvor. Normalerweise muß man in einer solchen Situation schlußfolgern, daß Angebot und Nachfrage nicht in Übereinstimmung sind, und daß nun über Produktionseinschränkungen, Stillegungen oder gar Pleiten das Angebot der geringeren Nachfrage angepaßt wird. Schrumpfen wir uns gesund?

Zur Analyse sehen wir uns zuerst nüchtern die Nachfrage an: Wie steht es damit, wie kann man heute den Markt für Computer beurteilen? Von welchen wirtschaftlichen Bedingungen hängt die Nachfrage nach unseren Gütern und Dienstleistungen ab? Gewiß ist heute "Information" ein neuer, ein wichtiger und immer wichtiger werdender Produktionsfaktor. Man müßte doch annehmen, daß dieser "Produktionsfaktor Informationstechnik" von der Gesamtnachfrage und von veränderten Austauschverhältnissen profitieren wird. Mit Austauschverhältnissen meine ich, daß gerade unsere neue Informationstechnik hilft, an anderer Stelle zu sparen - zum Beispiel bei Investitionen in Ware und Material, wenn Lager und Warenwirtschaft in Datenbanken abgebildet werden. Datenbewegungen sind allemal billiger als Warenbewegungen.

Wo bleibt also die Nachfrage nach diesen intelligenten, umweltschonenden, beweglich machenden Computerhilfen? Ich meine, die Nachfrage ist da, nur ist es keine Nachfrage nur nach Produkten, die über den Ladentisch gereicht werden können.

Die Bürger gewöhnen sich mehr und mehr an computerisierte Dienste: aktuelle Flug- und Zugauskünfte, bargeldloses Bezahlen und Sofortkredit in ungewohnten Höhen, Geldausgabe zu jeder Tages- und Nachtzeit bis hin zum mobilen Telefonieren, das ohne Computer-Datenbanken auch nicht geht. Alle diese Dienste sind geographisch ausgedehnt, vernetzt und unabdingbar fehlerfrei.

Doch die Datenverarbeitungs-Zentren bei großen Behörden und Unternehmen arbeiten vielfach immer noch mit Software- und Hardwaresystemen aus den sechziger Jahren. Warum? Weil keine standardisierten Hilfsmittel, keine vernetzbaren Datenbanken zur Verfügung standen, relationale Datenbanken gerüchteweise nur zusammen mit assoziativen Speichern zu verwirklichen gewesen wären... Diese klassischen Systeme werden zunehmend zu geschlossenen, zu überlasteten Systemen. Eine Lösung brennt den DV-Verantwortlichen angesichts der Ausbreitung "kleiner" Lösungen unter den Nägeln. Heute aber sind "Tools" da - ich denke da zum Beispiel an CASE (Computer aided software engineering) - gibt es verteilbare, relationale Standard-Datenbanken, etwa SQL, heute sind verteil- und vernetzbare Lösungen Standardprodukte. Warum sie nicht sofort nutzen? Ich bin grundsätzlich der Meinung, daß immer eine hohe Nachfrage nach unseren Gütern und Dienstleistungen bestehen wird, eine Nachfrage, die wir in ihrem ganzen Umfang gar nicht kennen oder befriedigen können.

Zurück jedoch zum Markt, und zwar zur anderen Seite, zur Seite des Angebots: Denn unser Problem liegt wohl eher hier. Was wird von der Computerindustrie angeboten? Hardware, Software, Dienstleistungen - vieles davon ist austauschbar. Ein Personal Computer auf der Basis eines 386er Chips von Intel mit MS-DOS 3.3 - wodurch unterscheidet der sich von anderen? Doch nur geringfügig durch die Qualität, die Ausbaubarkeit und das äußere Design.

Trotzdem variieren die Preise stark, und es wird vielfach zum Schluß doch über den Preis verkauft. Für den Käufer ist zu wenig Mehrwert erkennbar, der einen höheren Preis rechtfertigen würde. Das gilt für viele solcher austauschbarer Produkte, die dann häufig auch vom gleichen Fließband nur noch eines Herstellers kommen. Manche Anbieter haben deshalb ganz darauf verzichtet, noch Produkte zu entwickeln und zu fertigen, und verstehen sich als Zusammenbauer, als Systemintegrator.

Damit wird deutlich, daß aus der Sicht der Nachfrager weniger das Computerprodukt an sich als der damit erzielbare, der verbundene Mehrwert von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dieser Mehrwert, den ein Computer erbringt, ist der über eine Lösung, über eine Anwendung, über den Gebrauch erzielbare Nutzen für den Anwender. Freilich herrscht hier ein großes Mißverständnis: Hersteller und Anwender sprechen immer nur über Standards, etwa über Unix oder ISDN. Als ob nicht selbst der schönste Standard ohne Anwendungssoftware und -Know-how immer noch nutzlos wäre. Ohne Inhalt bleibt selbst eine genormte Sprudelflasche eben nur eine leere Flasche und der Anwender durstig - im Ernst: Für den Anwendernutzen ist die Austauschbarkeit irrelevant!

Manche Computeranbieter haben deshalb seit einigen Jahren eine Nutzenkampagne gefahren, haben sozusagen den Anwendernutzen ins Rampenlicht gestellt, ihre Fähigkeit zur Systemintegration entwickelt und zur Vervollständigung ihrer Leistungspalette die Zusammenarbeit mit Partnern gesucht. Das gilt für alle. Was hat vermehrtes Interesse am Nutzen mit dem Markt zu tun? Der Nutzen eines Computereinsatzes entsteht nicht durch den Kaltstart des Betriebssystems: Der "nutzbringende" Lieferant muß sich hineindenken in die Aufgaben des Anwenders, er muß die Betriebsabläufe fast besser kennen als der Kunde selbst; er wird zum Berater, zum Vertrauten des Kunden, wie ein Arzt käufliche Software und Hardware gibt es anschließend vom Markt (um nicht zu sagen aus der Apotheke ... ).

Wo immer weniger Anbietet am Markt sind, wo die Lösungen immer komplexen, immer vernetzter und verbundener werden, wo die Arbeitsplätze immer direkter von der unternehmensweiten Informations-Logistik abhängen, da werden die Computerkunden immer abhängiger von den Computer-Lieferanten.

Diese vermehrte Abhängigkeit führt zu anderen Kriterien der Herstellerauswahl als in der Vergangenheit. Welche Kriterien sind das heute? Wie stellen wir uns ihnen? Was fordert der Markt? Zum ersten wird vom Anwender gefragt: Wie gut sind herstellerunabhängige Standards verwirklicht? Wie finanzstark ist der Lieferant, ist der gewählte Hersteller; wird er im scharfen Wettbewerb überleben? Letztlich aber: Wird mir dauerhaft Nutzen geliefert - oder nur gefälltes Blech?

Können sich Großunternehmen von einem Hersteller so abhängig machen? Arbeiten nicht doch bei ihm immer noch mehrere Systeme zusammen, müssen zusammenarbeiten? Hier sind offensichtlich Konzepte notwendig, die das Zusammenwirken unterschiedlicher "System-Plattformen" ermöglichen. So übt die Entwicklung immer leistungsfähigerer Workstations Druck auf die Fortentwicklung der Client-Server-Architekturen und damit auch auf Datenbank-Server-Konzepte aus.

Zusammenfassend: Zunehmende Abhängigkeit von Informationen bedeutet zunehmende Abhängigkeit von der Informationsverarbeitung, und die wiederum bringt Abhängigkeit vom Lieferanten, aber auch von steter Nutzensteigerung der Anwendungen. Das Spiel gewinnt, wer nicht allein auf eine Lösung, auf eine Hardwaremarke oder einen Softwarelieferanten setzt, sondern auf erfolgreiche Zusammenarbeit, auf Systemintegration, auf Schnittstellenstandards. Nur dann werden die spezifischen Stärken einzelner zu mehr als einem Nullsummenspiel für das Ganze.