Frankreich bekämpft Anglizismen

EDV-Vokabular vom Gesetz nicht betroffen

12.03.1976

Im Januar 1975 trat in Frankreich das "Gesetz Nr. 75-1349 über die Verwendung der französischen Sprach" in Kraft, das der unbekümmerten Unterwanderung des Moliereschen Idioms durch linguistisch Fremdkörper (meist angelsächsischer Provenienz} einen rechtlichen Riegel vorschiebt. Betroffen sind vor allem Publikationen von Wirtschaft und Werbung, wo das ominöse "Franglais", speziell im Konsumgüterbereich, bisweilen karierte Mischformen bildet. Die französische Computerindustrie hat hingegen von der bevorstehenden Ent-Anglisierung ihres Schrifttums - extreme Weigerungsfälle können künftig wegen Betrugs bestraft werden - wenig zu befürchten. Denn der EDV-Jargon hält sich jenseits des Rheins durchaus im nationalsprachlichen Rahmen.

Schmunzelnd kommentierten deutsche Beobachter das neue französische Gesetz gegen die Sprachverschmutzung: Wird man hinfort die beliebten amerikanischen Würstchen, die auch im Schatten des Eiffelturms unter dem Namen "hot dogs" im Kessel dampfen, den Kunden als "chiens chauds" offerieren? Wird ein Programmierer in Lyon, der sich zu der problemsprachlichen Formel "go to label" versteigt, dem Computer (pardon: "ordinateur") jetzt ein "allez a l'etiquette'' zumuten?

Eindringtiefe überschätzt

Natürlich geschieht nichts dergleichen, denn erstens betrifft das Gesetz Nr. 75-1349 nur den, firmenexternen, rechtlich relevanter Schriftverkehr sowie Publikationen, Gebrauchsanweisungen und Stellenanzeigen. Zweitens sind Anglizismen dann nicht verboten, wenn sie zur festen Sprachgewohnheit gehören ("football-match") und ein

heimatliches Äquivalent nicht zur Verfügung steht. Drittens überschätzt der Hiesige, so er freimütig im deutsch- atlantischen Computer-Cockney parliert, bei weitem die Eindringtiefe des Englischen in eine romanische Sprache, die sich zudem durch einen hohen Entwicklungsstand des eigenen Fachvokabulars auszeichnet.

Manchmal länger - meistens klarer

Letzteres Merkmal trifft selbstverständlich auch auf die deutsche Sprache zu - nur verkraften wir die eingestreuten Anglizismen besser: Wörter wie "hardware", "software'', "byte" klingen selbst bei korrekter Originalaussprache in einem deutschen Satz beinahe deutsch. In der französischen Rede wirken sie indes wie eine Verunglimpfung der EDV. Auch ohne gesetzliche Sprachenthunzung haben sich daher französischen Computerbereich seit längerer Zeit die Ausdrücke "materiel", "logiciel" und "octet" durchgesetzt, die zudem den (typisch romanischen) Vorzug der erhöhten Benennungsklarheit aufweisen. Zuweilen wird die linguistische Präzision mit verlängertem Wortaufwand erkauft was allerdings nur Nichtfranzosen auffällt: "Datentypistin" mag im Deutschen kurz und - - mit Einschränkung - allgemeinverständlich sein; das Kompositum "operatrice de saisie de donnees" in einem französischen Stellenangebot spart dagegen fast eine Arbeitsplatzbeschreibung.

Apropos Stellenangebot: Das Gesetz Nr. 75-1349 zielt auch auf die Prosa dieser Rubriken. Wer jedoch in französischen EDV-Fachblättern die Offerten überfliegt, wird mit Erstaunen die frankophone Reinheit des Ausdrucks konstatieren. Von der hierorts weitverbreiteten aphasia nominalis, der von Technokraten gepflegten Unfähigkeit, sich deutsch und deutlich auszudrücken, scheinen die westangrenzenden Datenverarbeiter nicht befallen. Der Allerweltsterminus "management" fehlt meist völlig. Die Entsprechung "gestion" hat Vorrang in den Publikationen. Selbst den "cash flow", linguistischer Bildungsnachweis deutscher Finanzbuchhalter, sucht man vergebens; er wird - etwas länger aber präziser - durch "marge brut d'autofinancement" ausgedrückt.

Frankreichs ,,informaticiens'' neigen nicht zur Sprach-Anglomanie. Sie scheuen aus vokalästhetischen Gründen die nasale Vergewaltigung englischer Termini, besonders dann, wenn es sich um Wörter mit nichtlateinischer Wurzel handelt oder wenn die französische Aussprache den Originalton extrem verfremdet ("management"). Doch glücklicherweise stammen die meisten englischen EDV-Fachwörter aus dem klassischen griechisch-römischen Sprachraum, was sie voll "kompatibel" und eins zu eins übersetzbar macht. Beispiele: "systeme", "caractere", "terminal", "temps reel", "communication", "transactionnel", "disque", "disquette" usw. Ein weiterer großer Teil des Vokabulars ist durch einfache Beugung leicht französisierbar ("programmeur", "multiplexeur") und somit vom Reinheitsgebot ebenfalls nicht betroffen.

Bei Honeywell Bull stellt die bipolare Konzernstruktur Paris-Minneapolis zwar bisweilen gesteigerte Anforderungen an die Sprachkenntnisse von Managern und Mitarbeitern - firmeninterne Konversationskurse gehören zum Standardrepertoire der HB-Schulungsabteilung. Die Zusatzbelastung wird jedoch, nach Aussage des Personalleiters durch eine sehr vorteilhafte Erweiterung des "fachlichen Verständigungshorizontes mehr als kompensiert. Das neu französische Sprachverwendungsgesetz ändert nichts an diesem innerbetrieblichen Bildungsmuster. Und was die Publizität in Frankreich betrifft so achtet dort jeder Anbieter von, "materiel" und "logicieI" ohnehin stets darauf, daß er seine extern veröffentlichten Texte nicht am allmächtigen Larousse vorbeiformuliert.

Denn im Markt der Informatik zwischen Nantes und Nizza schätzt man Sprachloyalität fürs Französische mindestens ebenso hoch wie perfektes COBOL für den Rechner.