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Die Suse-Linux-Entwicklung bleibt in Nürnberg

06.11.2003
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach der Übernahme durch Novell stellte sich Suse -Chief-Executive-Officer Richard Seibt einem Interview mit COMPUTERWOCHE-Redakteur Ludger Schmitz . Er erläutert darin die Perspektiven seines Unternehmens unter dem Dach einer IT-Branchengröße.

CW: Wie war die wirtschaftliche Situation von Suse vor der Übernahme?

Richard Seibt: "Es gibt nur positive Reaktionen, denn natürlich haben wir mit Partnern im Vorfeld gesprochen."

SEIBT: Wir erwarten für das laufende Geschäftsjahr etwa 40 Millionen Euro Umsatz. Dabei sind unsere Einnahmen im Server-Bereich in den letzten vier Jahren im Durchschnitt um 180 Prozent gewachsen und machen jetzt etwa 50 Prozent unserer Gesamtumsätze aus. Im zweiten Quartal des nächsten Jahres werden wir den Break-even schaffen. Wir werden in diesem Jahr noch einen Verlust machen; aber der wird nicht besonders hoch sein.

CW: Wie hoch ist der Anteil des Geschäfts mit IBM am Suse-Umsatz?

SEIBT: Relativ klein, höchstens zehn Prozent.

CW: War akuter Finanzbedarf Anlass der Übernahme durch Novell?

SEIBT: Man hat immer nur eine bestimmte Zeit für die Entwicklung eines Unternehmens zur Verfügung. Und unsere Kunden erwarten von uns ein weltweit agierendes Unternehmen mit einer weltweiten Support- und Vertriebsstruktur. Die kann man entweder selbst aufbauen, oder man nutzt bereits bestehende Strukturen. Tivoli wurde einst - auch mit 40 Millionen Dollar Umsatz - von IBM übernommen, und das Produkt wurde schnell zu einem weltweiten De-facto-Standard. Genau das werden wir durch Novell erreichen.

CW: Warum hat Novell Suse Linux nicht aufgrund eines Kooperationsvertrags in sein Portfolio übernommen? Wozu der Kauf?

SEIBT: Das wäre sicher möglich gewesen. Aber die Übernahme zeigt ein wesentlich höheres Commitment von Novell zu Linux und Open Source selbst. Es ist auch ein Business-Investment, weil man an das Geschäftsmodell von Maintenance und Support glaubt.

CW: Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Übernahme für die Suse-Kooperationen mit Partnern wie IBM, Sun, Fujitsu-Siemens, Hewlett-Packard und SGI?

SEIBT: Es gibt nur positive Reaktionen, denn natürlich haben wir mit Partnern im Vorfeld gesprochen. Die Partner können nun selbst über Novell weltweit auf Suse zugreifen.

CW: Wie stellt sich das Verhältnis zu IBM künftig dar? Immerhin stellen sich Big Blue und Novell gleichermaßen als One-Stop-Linux-Anbieter auf.

SEIBT: Es gibt im Markt immer eine sogenannte Coopetition, die Gleichzeitigkeit von Cooperation und Competition. Insgesamt treiben beide das Thema Linux stark voran. Im Service-Bereich gibt es durchaus Wettbewerb, wenn es um die Implementierung geht. Aber IBM unterstützt die Übernahme von Suse durch Novell und hat entsprechend seine Suse-Anteile verkauft und gleichzeitig 50 Millionen Dollar in Novell-Anteilscheine investiert. Die Transaktion ist bei IBM gut angekommen.

CW: Sehen Sie Sich jetzt als stärkerer Konkurrent zu Microsoft?

SEIBT: Wenn ich unsere Vertriebs-, Service- und Supportkraft sehe, bin ich sicher, dass viele Kunden noch mehr Vertrauen in den Einsatz von Linux und Open Source haben als vorher. Das wird sich positiv auf unser Geschäft auswirken. Wenn wir Marktanteile gewinnen, werden andere verlieren.

CW: Wie sehen sich Novell und Suse in der Konkurrenz zu Red Hat?

SEIBT: Novell will seine Produkte auch in Zukunft auf Red Hat Linux zur Verfügung stellen. Sie haben gleichzeitig aber auch erklärt, dass sie ein Wettbewerber für Red Hat sein werden. Wir waren schon immer in dieser Situation, für uns hat sich nichts geändert.

CW: Welche Konsequenzen ergeben sich für die Produktpalette von Suse?

SEIBT: Unsere Produktlinien bleiben erhalten und werden ausgebaut. Wir werden Novell helfen, die eigene Produkte schneller auf Linux zu bringen. Unsere Produkte werden weiter unter dem Namen und dem Logo von Suse vermarktet.

CW: Wird es zu einer Integration von Produkten der Novell-Töchter Suse und Ximian kommen?

SEIBT: Hier bieten sich sicher viele Möglichkeiten für Synergien. Die gilt es jetzt herauszuarbeiten, und das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten leisten. Wir werden dem Markt ein kompletteres und abgestimmteres Bild präsentieren als jetzt. Der Vertrag mit Novell sieht vor, dass wir innerhalb von 60 Tagen einen Integrationsplan vorlegen. Wir werden Anfang Januar 2004 präsentieren, wie wir uns organisatorisch aufstellen und wie die Roadmap einzelner Produkte ausschaut.

CW: Was wird aus KDE, das von Suse stark unterstützt wurde? Erhält Gnome beziehungsweise der Ximian-Desktop den Vorzug?

SEIBT: Nein, wir werden weiter beide Produkte in unseren Distributionen unterstützen. KDE hat so viele Vorteile, die in Europa geschätzt werden, dass wir auch weiterhin unseren Fokus auf KDE behalten werden. Auch in Zukunft soll der Kunde entscheiden können, was ihm lieber ist. Der Markt kann eine Vielfalt von Produkten gebrauchen.

CW: Was geschieht da, wo sich Suse- und Novell-Produkte überlappen?

SEIBT: Wir haben nicht sehr viele Überlappungen festgestellt. Wir arbeiten mit einer recht komplementären Produktstruktur. Anfang 2004 werden wir bekannt geben, wo es Anpassungen geben wird. Ich rechne mit sehr wenigen.

CW: Hat die beabsichtigte Verbindung von Novell- und Suse-Produkten zur Folge, dass mehr Novell-Produkte Open Source werden oder umgekehrt Suse-Produkte proprietär?

SEIBT: Kein Suse-Produkt wird proprietär. Open Source ist eine bahnbrechende Entwicklungsmethode. Ich bin überzeugt, dass die IT-Anbieter im Middleware-Bereich dazu übergehen werden, Closed-Source-Produkte zu Open-Source-Software zu machen. Das wird sich in den nächsten Monaten deutlicher zeigen. Novell hat und wird auch in der Zukunft Entwicklungen der Open-Source-Community zur Verfügung stellen.

CW: Muss Suse nicht befürchten, unter dem Dach einer als eher proprietär angesehenen Novell die Unterstützung der Community zu verlieren?

SEIBT: Ich brauche nur auf die Reaktion unserer Mitarbeiter zu schauen, die Mitglieder der Community sind. Sie war sehr positiv. Es kommt jetzt auf das Verhalten von Novell und uns an. Novell-Chef Jack Messman ist ein Befürworter von Open Source, das kein Business verbietet. Es verändert das Geschäftsmodell, bringt jedoch wesentlich mehr Vor- als Nachteile. Ich glaube, Novell hat das verstanden und will nun noch offener sein, als es in der Vergangenheit schon war.

CW: Wer bestimmt künftig die Entwicklungslinien von Suse Linux?

SEIBT: Die werden wir in Zusammenarbeit mit Novell festlegen. Das Know-how für das, was der Markt braucht, ist in beiden Unternehmen vorhanden. Sie können davon ausgehen, dass sich nichts an unserer Produktstrategie ändert. Wir ziehen unsere Pläne durch und werden auch in Zukunft ein offenes Ohr bei Novell finden.

CW: Was geschieht mit United Linux?

SEIBT: Die Kooperationen mit Conectiva und Turbolinux werden weitergeführt und, wo es sinnvoll ist, ausgebaut. Eine Entwicklungspartnerschaft mit SCO wird es künftig nicht geben.

CW: Aber über den Novell-Channel tritt Suse nun auf den Heimmärkten von Conectiva und Turbolinux auf.

SEIBT: Es ist wichtig, dass wir insgesamt mit mehr Ressourcen in diese Regionen gehen, um potenzielle Kunden anzusprechen. Davon werden letztlich auch diese beiden Partner profitieren. Der Markt ist groß genug. Er wird erweitert und nicht eingeschränkt.

CW: Wird es eine Verlagerung von Linux-Entwicklungsarbeiten nach Utah geben?

SEIBT: Nein, auf keinen Fall. Novell hat Entwicklungsabteilungen in mehreren Ländern der Welt, auch in Deutschland. Mit uns hat Novell in Nürnberg einen ganz wichtigen zusätzlichen Entwicklungsstandort bekommen. Daran wird sich nichts ändern. Die Übernahme hat den Standort Nürnberg und Deutschland gestärkt.

CW: In Nürnberg stehen keine Arbeitplätze zur Disposition?

SEIBT: Wir werden auf jeden Fall die Entwicklung in Nürnberg belassen und hier das tun, was wir mit zusätzlichen Ressourcen schaffen können. Der Standort Nürnberg ist gestärkt.

CW: Normalerweise steht der Begriff Synergie für Arbeitsplatzabbau, in diesem Fall beispielsweise vorstellbar in der Administration.

SEIBT: Ohne Administration werden wir nicht auskommen. Novell hat in Düsseldorf eine Vertriebs- und Marketing-Niederlassung. Wir müssen uns jetzt zusammensetzen und prüfen, welche Synergien sich erzielen lassen.

CW: Wie viele Angestellte hat Suse?

SEIBT: Weltweit rund 380 und in Nürnberg etwa 280.

CW: Wird es Veränderungen im Suse-Management geben?

SEIBT: Nein. Auch ich bleibe mit Sicherheit dabei. Aus meiner Zeit bei IBM kenne ich den Umgang mit amerikanischen Firmen, und ich freue mich auf die Aufgabe. Ich will die Idee von Linux und Open Source weiter vorantreiben.