Die Grundlagenschulung ist eine wesentliche Aufgabe des wesentlichen Bildungssystems

12.08.1977

Mit Dipl.-lng. Dieter Dropmann, Leiter der Schule für Datenverarbeitung der Siemens AG, sprach Dieter Eckbauer

- Nach einer Diebold-Prognoserechnung aus dem Jahre 1974 sollen in der Bundesrepublik 1978 im EDV-Bereich etwa 405 000 Fachkräfte beschäftigt sein, doppelt soviel wie 1973. Werden die Hochrechner recht behalten?

Es ist wahrscheinlich infolge der inzwischen eingetretenen Veränderungen der Wirtschaftslage das eine oder andere ein wenig anders gelaufen, aber im Prinzip sind die seinerzeitigen Bedarfszahlen qualitativ wie quantitativ sicher richtig gewesen.

- Hat sich nicht bei den Berufstypen der Schwerpunkt verlagert von den Spezialisten hin zu Leuten, die man vielleicht als Koordinatoren bezeichnen könnte, die zwar EDV-Background haben, jedoch von der Anwendung her kommen und insofern einen neuen Typ darstellen?

In diesem Prozeß sind wir mittendrin. Ich sehe in der Zukunft eine wesentliche Aufgabe der EDV-Ausbildung darin, diesen neuen Typ, also den qualifizierten Anwender, der sich eine EDV-Zusatzqualifikation aneignen muß, zu beschreiben und ihm eine adäquate Ausbildung anzubieten.

- Wird dieser zusätzliche Schulungs-Bedarf von den bestehenden Institutionen gedeckt?

Sicher nicht in ausreichendem Maße. Das gilt insbesondere für den öffentlichen Ausbildungsbereich. Wie schon in der Vergangenheit werden wohl die großen Anwender und die Hersteller in die Bresche springen müssen.

- Können Sie Zahlen aus Ihrem eigenen Bereich nennen: Wie viele Kursteilnehmer hat die Siemens-DV-Schule im Jahr, und wie hoch ist dabei der Anteil der Siemens-Mitarbeiter?

In unseren Ausbildungsstätten in Essen, Frankfurt, Hannover und der Schule in München bilden wir im Jahr etwa 21000 Kursteilnehmer aus. Diese Zahl ist recht hoch, sie erklärt sich daraus, daß Herr Maier, der uns im Laufe eines Jahres dreimal zu verschiedenen Kursen besucht, auch dreimal gezählt wird. Ich schlage deshalb vor, daß wir hier die in einem modularen Ausbildungssystem üblichen Meßzahlen verwenden, also Teilnehmertage. Es sind etwa 105 000 Teilnehmertage die von der Schule für Datenverarbeitung im Laufe eines Jahres erbracht werden. Der Anteil unserer eigenen Mitarbeiter beträgt etwa 30 Prozent, so daß die anderen 70 Prozent Kunden sind. Bei den Kunden haben wir auch die im eigenen Hause befindlichen Anwender mitgezählt.

- Wie hoch ist der Anteil der nicht herstellerbezogenen Kurse? Grundlagenkenntnisse sind unseres Wissens etwas, was die Hersteller nicht so gern vermitteln.

Ja, Grundlagenwissen vermitteln Hersteller nicht so sehr gern. Zunächst die Fakten: Wir haben noch immer im Bereich der Anwendungsschulung etwa 30 Prozent Grundlagenwissen, das heißt, daß von den 105 000 Teilnehmertagen, die ich genannt hatte, rund 30 000 nach wie vor für die Grundausbildung verwendet werden, für Themen wie Einführung in die Datenverarbeitung, Logik des Programmierens oder problemorientierte Programmiersprachen. Wir vertreten seit Jahren die Ansicht, daß es Aufgabe des öffentlichen Bildungssystems sein muß dieses Basiswissen zu vermitteln. So gesehen sind wir nicht besonders glücklich darüber, daß wir noch immer einen so hohen Anteil an Grundlagenschulung leisten müssen.

- Und dagegen kann man gar nichts machen?

Wir haben versucht, durch Einsatz moderner Unterrichtsmittel auf diesem Sektor ein wenig Entlastung zu schaffen. Ich denke hierbei insbesondere an programmierte Unterweisungen, die in der Programmiersprachenausbildung in sehr großem StiI eingesetzt werden. Ich hoffe inständig, daß es gelingt, diese Ausbildungsinhalte in naher Zukunft vollständig in den öffentlichen Bereich zu verlagern, denn wir sehen die Vermittlung des nicht herstellerspezifischen Grundlagenwissens nicht als unsere Aufgabe an. Wir tun es nur deswegen, weil andere Institutionen in der Vergangenheit zu wenig getan haben und wohl auch heute noch nicht ganz dem bestehenden Bedarf gerecht werden.

- Von kritischen Bildungsplanern wird der Vorwurf erhoben, daß die öffentlichen Ausbildungsinstitutionen am Markt vorbeiproduzieren.

Das Problem liegt darin, daß man im Bereich der öffentlichen Ausbildungsinstitutionen einfach zu spät die bestehenden Anforderungen des Arbeitsmarktes erkannt und sich darauf eingestellt hat. Damit spreche ich insbesondere den Bereich der Fachschulen an und in gewissem Umfang auch den der Fachhochschulen. Inzwischen besteht aber auch hier kein Zweifel mehr daran, daß DV-Inhalte in alle bestehenden Fachrichtungen integriert werden müssen. In den reinen Informatik-Fachrichtungen haben wir es mehr mit einem quantitativen Problem zu tun. Hier reicht meines Erachtens das Angebot der Fachhochschulen noch immer nicht aus.

- Wie sind Ihre Erfahrungen mit Fachhochschulabsolventen?

Mitarbeiter, die nach einem Studium der Informatik an einer Fachhochschule in unser Haus kommen, bringen in aller Regel für die Anforderungen beim Hersteller sehr gute Grundlagen mit, auf denen wir aufsetzen können.

- Wie hoch ist die Nachfrage für Kurse über neue Software-Methoden und innovative Techniken, die nicht produkt- und somit herstellerbezogen sind?

Wir beobachten eine steigende Nachfrage nach innovativen Ausbildungsinhalten, wenn ich etwa an Methoden des Software-Engineering denke oder auch die Datenschutzproblematik, um nur zwei momentan aktuelle Themen zu nennen.

- Werden diese Ausbildungsinhalte entsprechend berücksichtigt?

Wir haben wegen der starken Belastung durch Grundausbildung auf der einen Seite und wegen der Notwendigkeit, die unsere Produkte betreffenden Ausbildungsinhalte abzudecken, hierfür in der Vergangenheit nicht so viel tun können, wie wir gerne getan hätten. Wir sind aber dabei; denn unsere Mitarbeiter in Entwicklung und Anwendung, brauchen diese Ausbildung, und auch unsere Kunden verlangen danach.

- Kommt der Lehrer eigentlich noch dazu, sich selbst Kenntnisse über diese neuen Verfahren und Techniken anzueignen, um dann auch eine fundierte Ausbildung geben zu können?

Unser Lehrer steht im statistischen Mittel nur etwa jeden zweiten Tag vor der Klasse, so daß ihm also rund 110 bis 220 Arbeitstage im Jahr zur Aktualisierung seines Wissensstandes, zur Entwicklung neuer Ausbildungsinhalte und neuer Ausbildungsmittel bleiben.

- Aber werden die von den Dozenten auch zur Weiterbildung genutzt?

Wir bewerkstelligen das dadurch, daß wir in einer für die Entwicklung neuer Kurse eingeführten Projektorganisation den Fachmann aus dem Entwicklungs- oder aus dem Awendungsbereich mit unser Dozenten zusammenspannen und auf diese Weise den notwendigen Wissenstransfer erreichen. Vorübergehende Mitarbeit in der Entwicklung, Literaturstudium und natürlich auch Kursbesuche kommen hinzu. Wir meinen daher, daß die zugegeben starke Belastung der Dozenten nicht zu Lasten der notwendigen Innovationen geht.

- Wie tragen Sie dem Trend Rechnung, daß eben heute die EDV-Anwendung im Vordergrund steht und nicht mehr so sehr die Hardware. Haben Sie unter Ihren Dozenten eigentlich genügend Anwendungs-Spezialisten?

Schon seit längerer Zeit wird an unserer Schule in Anwender-Kursen die Hardware nicht mehr gelehrt. Die Tendenz geht klar zur Unterweisung in Problemlösungsverfahren, zur Unterrichtung in der Benutzung von Systemen.

Indes: Wir müssen auch Wissen über Betriebssysteme vermitteln, und diese Spezialkurse sind naturgemäß noch mit Hardware-Inhalten "belastet". Auf der Seite der Anwender werden jedoch maschinennahe Spezialkenntnisse immer entbehrlicher.

- Demnach wäre es an der Zeit, Schluß zu machen mit der Illusion, daß reine EDV-Spezialisten, im Schnellverfahren auf ein bestimmtes System getrimmt, gute Berufschancen haben.

Der in der Fachabteilung mit Datenverarbeituns-Aufgaben befaßte Mitarbeiter sollte eine das Anwendungsgebiet betreffende solide Ausbildung haben, dabei allerdings auch gewisse Grundkenntnisse der Datenverarbeitung erwerben, um anschließend von den EDV-Spezialisten verstanden und akzeptiert zu werden.

Der EDV-Spezialist ist bei dem heutigen Stand der Datenverarbeitungstechnik sicher nicht mehr aus Umschülern anderer Berufe zu rekrutieren, die eben mal schnell das Programmieren lernen. Hier unterstützen wir voll die Forderung nach einer qualifizierten EDV-Spezialausbildung, wie sie etwa im Bereich Informatik der Hochschulen angeboten wird.

- Welche Auswirkungen wird das auf die Ausbildungsinhalte haben?

In der Zukunft wird noch stärker als in der Vergangenheit ein Ausbildungsangebot zu präsentieren sein, das benutzerfreundlich ist und -mit allen Mitteln moderner Ausbildungstechniken wie z.B. dem kursbegleitenden Praktikum am Terminal - den Anwender in die Lage versetzt, mit dem Produkt "Datenverarbeitung" umzugehen.

- ...das in immer neue Anwendungsbereiche vordringt und somit immer mehr Menschen tangiert.

Wir sind der Meinung, daß in Zukunft kaum noch ein Berufstätiger existieren wird, der nicht in irgendeiner Form mit der Datenverarbeitung in Berührung kommt. Und da dies so ist, meinen wir, daß in allen Ebenen des öffentlichen Bildungssystems - von der Hauptschule bis hin zur Universität - Datenverarbeitungskenntnisse vermittelt werden müssen. Jedermann wird sich irgendwie des Werkzeugs "Datenverarbeitung" bedienen und deshalb lernen müssen, wie es funktioniert und zu handhaben ist Das ist durchaus kein großes, quantitatives Problem: Die Grundkenntnisse, die hier gemeint sind, lassen sich in einigen Wochen bis maximal wenigen Monaten Ausbildungszeit vermitteln. Wir meinen allerdings, daß, um die vorhin geforderte Gesprächsfähigkeit mit dem DV-Spezialisten herbeizuführen, diese Ausbildung auch den Umgang mit einer problemorientierten Programmiersprache umfassen sollte. Auch der Anwender sollte einmal ein kleines Programm geschrieben haben um die Denkweise, die Vorstellungswelt und die Vorgehensweise der DV-Spezialisten zu verstehen.

Dieter Dropmann (41)

(besonders Kennzeichnen: 198 Zentimeter groß) kam 1960 nach dem Studium der TH München zu Siemens, gehört damit praktisch zur "Mayflower-Mannschaft" der Münchner. Der gebürtige Berliner war zwölf Jahre in der Vertriebsunterstützung tätig, bevor er 1972 die Leitung der Schule für Datenverarbeitung übernahm, an der heute rund 80 Dozenten unterrichten. Als Leiter der Schule hat er auch die Verantwortung für die Siemens-Lehrzentren Essen, Frankfurt und Hannover sowie neun ausländische Ausbildungsstätten.