Total-Business-Integration heißt das Ziel

Die EAI-Karten werden neu gemischt

15.02.2002
MÜNCHEN (ajf) - Fast alle großen Softwarefirmen bieten inzwischen Programme an, die das Schlagwort "Integration" im Titel führen. Doch noch halten sich die Anwender mit derartigen Projekten zumindest hierzulande vornehm zurück. Die neuen Web-Services sollen dem Segment zum Durchbruch verhelfen.

Seit einigen Jahren schwärmen Analysten, Journalisten und Experten von einem paradiesischen Zustand für die IT-Anwender: Gemeint ist die Integration von Daten, Anwendungen und Geschäftsprozessen, wegen der vermeintlich besseren Eingängigkeit als EAI (Enterprise Application Integration) vermischt und abgekürzt. Abgekürzt werden soll dank dem Konzept auch die Arbeit der IT-Verantwortlichen - statt dass sie wie bisher ein gutes Drittel der Programmiertätigkeit auf die Entwicklung von Schnittstellen verschwenden, laufe mittels EAI im Unternehmen künftig alles automatisiert ab. Medienbrüche, manuelle Pflegedienste und der nächtliche Batch-Betrieb waren gestern, morgen regiert die Echtzeit-IT - so die Prognose.

Der Run auf die besten Claims beginntZwangsläufig vollzieht sich in dem Bereich eine Marktentwicklung, wie sie auch in anderen IT-Segmenten anzutreffen ist: Alle großen Softwarelieferanten haben sich aufgemacht, ihre Claims im vermeintlichen EAI-Neuland abzustecken. Den Angriff auf die dort etablierten Anbieter wie Tibco, Vitria, Webmethods, Mercator und Seebeyond führen dabei die Hersteller von Applikations-Servern an. Ein Hauptgrund dafür ist, dass sich App-Server in den nächsten Jahren zu einem Commodity-Produkt mit geringen Umsätzen entwickeln werden.

IBM kann dieser Entwicklung beruhigt entgegensehen, schließlich hat sie der Konzern durch die "kostenlose" Abgabe seines App-Servers "Websphere" noch forciert. Darüber hinaus ist Big Blue dank "MQ Series" einer der dominanten EAI-Anbieter. Mit der Übernahme von Crossworlds Anfang des Jahres für knapp 130 Millionen Dollar soll IBMs Portfolio für Consulting und die Geschäftsprozessintegration abgerundet werden.

Ähnliches gilt für Hewlett-Packard (HP), das den zugekauften App-Server von Bluestone verschenkt, um vermehrt Einnahmen mit Services zu erzielen. Der Konkurrent und Marktführer Bea Systems hingegen ist auf Lizenzeinnahmen durch seine Applikationsplattform "Weblogic" angewiesen und muss sich dringend einen neuen Markt erobern: Was liegt da näher, als sich als Komplettanbieter für die Applikationsintegration zu positionieren? Das Modul "Weblogic Integration" war vergangenes Jahr der erste Schritt in die neue Sphäre.

Doch nicht nur IBM, HP und Bea haben den aussichtsreichen EAI-Markt entdeckt, auch Hersteller aus anderen Segmenten rücken immer weiter in die Nähe der Integratoren oder schmücken sich zumindest offiziell damit. Teils stammen sie aus der traditionellen EDI-Ecke wie die deutsche Seeburger AG, teils kommen sie aus dem ERP-Lager wie etwa SAP. So kündigten die Walldorfer vergangenes Jahr einen eigenen Web-Applikations-Server an, den sie sich mit der Firma Prosyst eingekauft hatten.

"Einkaufen" ist momentan überhaupt das Zauberwort der Branche, denn es vergeht kaum ein Quartal, in dem nicht ein Integrationsspezialist unter die Decke eines ehemaligen Konkurrenten schlüpft. Neben den genannten Firmen Prosyst, Crossworlds und Bluestone erwischte es bereits 1999 die Unternehmen Forté (zu Sun) und Novera (zu Mercator), später folgten Active Software (zu Webmethods), Neon (zu Sybase), Extricity (zu Peregrine), Talarian (zu Tibco) und jüngst die finanziell angeschlagene Hamburger Systemfabrik (zu Pronex). Geht es nach den Analysten, setzt sich der Konsolidierungsprozess in diesem Jahr noch weiter fort. Künftig, so die Prognose des Münchner EAI-Experten Richard Nußdorfer von CSA Consulting, gibt es keine isolierte Daten-, Messaging- oder Anwendungsintegration mehr, sondern schlicht das Konzept der Total-Business-Integration. Dabei rückt die Verbindung der Geschäftsprozesse eindeutig in den Mittelpunkt des Interesses.

Bislang jedenfalls folgt das Segment trotz rosiger Aussichten eher der Devise "Langsam, aber sicher". Nach einer aktuellen Studie der Meta Group haben gerade einmal sechs Prozent der deutschen Unternehmen ein EAI-Konzept umgesetzt, weitere neun Prozent der befragten Firmen planen oder implementieren ein derartiges Projekt. Die überwiegende Mehrheit vor allem kleinerer und mittlerer Anwender hat mit Integrationsvorhaben gegenwärtig nichts am Hut. Für den EAI-Experten Nußdorfer ist das größte Problem der Anbieter, "die internen Widerstände in den Firmen zu überwinden".

Folglich steckt "ein hohes Entwicklungspotenzial" im EAI-Markt, lautet der positive Umkehrschluss der Meta-Analysten. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies ein durchschnittliches jährliches Wachstum der Softwarelizenzumsätze in Deutschland von über 100 Prozent. Betrug das gesamte Marktvolumen einschließlich Services und Hardware im vergangenen Jahr hierzulande noch rund 500 Millionen Euro, sollen 2004 laut Meta Group bereits 2,24 Milliarden Euro eingenommen werden.

Der Markt ist noch nicht ausgereiftAls Gründe für den gegenwärtig schleppenden Verlauf des Geschäfts in Deutschland sehen die Analysten zum einen die große Verbreitung der ERP-Software von SAP. Mit diesem Softwaremonolithen verspürten die Anwender in den letzten Jahren nur einen geringen Druck, ein EAI-System zu implementieren. Andererseits hinkt der Bedarf an EAI-Lösungen den Prognosen hinterher, weil der Markt nach Ansicht der Analysten noch nicht ausgereift ist. Es bieten einfach zu viele Softwerker unterschiedliche Lösungskonzepte an, als dass Anwender in diesem Schlagwortdschungel noch den Durchblick behalten könnten. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die sechs größten Anbieter laut Meta Group weniger als 40 Prozent des Marktvolumens umsetzen. Zudem findet sich kaum ein zweites Softwaresegment mit ähnlich kurzen Lebenszyklen der Programme. In dieser "Verunsicherung", so Meta, spiegelt sich die abwartende Haltung vieler IT-Entscheider wider.

Durch die aktuelle Konvergenz von Applikations- und Integrations-Servern zu einem kompletten EAI-Portfolio kommt es jedoch zwangsläufig zu funktionalen Überlappungen. Daher erwartet die Meta Group einen "hohen Preisdruck" auf die einschlägigen Anbieter in beiden Lagern. Wer diese Phase übersteht, wird EAI-Marktführer sein, orakeln die Analysten wenig überraschend

Wer überlebt den Preiskampf?In diesem Plan wollen auch die traditionellen EAI-Anbieter wie Seebeyond, Webmethods, Vitria und Tibco mitmischen. Gerade letztere Firma gehört schon seit rund 15 Jahren zu den Pionieren auf dem Gebiet der Integration. Unter dem Namen Teknekron Software Systems vernetzte die Company damals die Handelsplätze der New Yorker Börse - gefragt waren stabile Echtzeitverbindungen. Danach übernahm der Medienkonzern Reuters das Unternehmen und hält bis heute 57 Prozent der Anteile.

Verglichen mit den anderen klassischen EAI-Anbietern verfügt Tibco auch international über eine starke Position. Im vergangenen Geschäftsjahr nahm das Unternehmen mit inzwischen 1400 Kunden knapp 320 Millionen Dollar ein. Dahinter rangieren Vitria (Umsatz im vergangenen Geschäftsjahr: 135 Millionen Dollar), Seebeyond (187 Millionen Dollar) und Webmethods, die das Geschäftsjahr Ende März vermutlich mit einem ähnlichen Umsatzvolumen abschließen werden.

Wegen seiner tiefen Verwurzelung in diesem Markt und dem Umsatzvorsprung gegenüber der Konkurrenz gibt sich Tibco optimistisch, für die Zukunft gerüstet zu sein. Der Fokus des Unternehmens liege jetzt darauf, die in den letzten Jahren entwickelten Komponenten zu einer Lösung zusammenzuführen, meint Chief Strategy Officer Fred Meyer. Grundlage des Integrationskonzepts bildet der traditionelle Software-Bus (Tibco = The Information Bus Company), ferner wurden zusätzliche grafische Tools und Management-Werkzeuge entwickelt oder zugekauft.

Von den direkten Wettbewerbern Vitria, Webmethods und Seebeyond erwartet Meyer nur wenig Konkurrenz, Tibco-intern werden die Firmen gerne auch als "die drei Zwerge" bezeichnet. IBM hingegen sei als Wettbewerber ernst zu nehmen: "Wenn sie sich ganz auf unseren EAI-Markt konzentrieren würden, wäre ich besorgt", so Tibcos Strategiechef. Für ihn stelle es sich aber momentan so dar, als wolle Big Blue erst das App-Server-Rennen gegen Bea gewinnen.

Zumindest an diesem Frontabschnitt will Tibco keinen Krieg riskieren, einen eigenen App-Server soll es laut Meyer nicht geben: Zwei Jahre habe man diskutiert, einen Anbieter zu übernehmen, dann den Plan letztlich aber aufgegeben. Die Mentalitäten der Entwickler seien zu unterschiedlich, zudem spreche man mit App-Servern und EAI-Lösungen unterschiedliche Positionen bei den Anwendern an - hier die Entwickler, dort die Business-Analysts. Um sich zudem einen App-Server und die für die Weiterentwicklung nötigen Ressourcen leisten zu können, brauche man schon die Größe einer IBM, spekuliert Meyer. Auch keiner der "drei Zwerge" hat übrigens eine eigene Applikationsplattform im Portfolio.

Unterstützung im Kampf um die Kunden versprechen sich die klassischen EAI-Anbieter nun von den aufkommenden Web-Services, auch wenn dies auf den ersten Blick paradox klingt. Immerhin sollen sie den Austausch von Daten standardisieren und vereinfachen. Dennoch: "Die Voraussetzung für Web-Services ist EAI", argumentiert der Münchner Berater Nußdorfer. Schließlich würden darüber die Geschäftsprozesse gesteuert. Natürlich steht es jedem Anwender frei, die Integration weiterhin manuell zu vollziehen.

Auch Tibco will nach Aussage seines Chief Strategy Officer Meyer die Web-Services "aggressiv" unterstützen: "Bloß, weil Schrauben und Muttern standardisiert sind, bedeutet dies nicht, dass jeder sein Auto selbst bauen kann." Dass dadurch allerdings ein Teil der Tibco-Arbeit zum Allgemeingut wird und dem Unternehmen nichts mehr einbringt, streitet Meyer nicht ab. Man könne sich somit auf Integrationsprobleme höherer Ebenen konzentrieren, die ohnehin mehr Umsatz versprechen.

LinksUnter

www.cowo.de

finden Sie eine Liste der in diesem Text erwähnten EAI-Anbieter.

Abb.1: Der Markt für Enterprise Application Integration

Noch werden drei Viertel aller EAI-Umsätze mit Dienstleistungen erzielt, aber das Lizenzgeschäft holt hierzulande mittelfristig auf. Quelle: Meta Group

Abb.2: "Hohes Entwicklungspotenzial"

Die Mehrheit der deutschen Anwender will vom EAI bislang nichts wissen. Quelle: Meta Group Deutschland/Techconsult