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Commerce One am Scheideweg

20.03.2003

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der einstige B2B-Softwarepionier Commerce One stellt am kommenden Montag seine neue Unternehmenssoftware "Conductor" vor, von der die Zukunft des angeschlagenen Herstellers abhängt. Anders als in der Vergangenheit setzt Commerce One mit dem neuen Produkt auf Web-Services und muss sich damit auch ganz neuer Konkurrenz stellen - etwa IBM, Microsoft oder SAP, die sie allesamt in Bereichen wie Enterprise Portals, Integration/Middleware oder Business Process Management (BPM) tummeln.

Conductor soll gewissermaßen die "letzte Meile" zwischen Handelsnetzwerken und Unternehmen überbrücken. Die Software nutzt XML-basierende Web-Services-Standards, um Verbindungen zwischen Geschäftspartnern zu etablieren und Prozesse zu automatisieren. "Wir wollen noch immer die ursprüngliche Vision von Commerce One umsetzen, verfolgen diesmal aber einen pragmatischeren Ansatz", erklärte Chief Marketing Officer Narry Singh.

Anstelle einer Standardanwendung besteht Conductor aus einem Set von Entwicklungs-Tools und "Anwendungs-Vorlagen" für zentrale Prozesse wie Anbindung von Zulieferern oder Erfassung von Lagerbeständen. Die Vorlagen zielen zunächst auf vier vertikale Märkte: Fertigungsindustrie, Handel, Verbrauchsgüter sowie Finanzdienstleistungen. Zehn Anwender testen die Software nach Angaben von Commerce One derzeit in Pilotprojekten.

Conductor ist für die "Choreographie" von Web-Services zuständig, die Geschäftsprozesse modellieren und XML-Informationen über das Netz austauschen. Der Server enthält eine Registrierdatenbank, die als Verzeichnis von Partnern und Einstiegspunkt für unterschiedliche Anwendungen innerhalb eines Handelsnetzes dient. Die Basissoftware kostet allein 300.000 Dollar, dazu gibt es industrie- und prozessspezifische Erweiterungen, deren Preise je nach Anwendung unterschiedlich ausfallen.

Analysten sehen allerdings für Commerce One jede Menge Stolpersteine auf dem Weg zu einem möglichen Erfolg mit Conductor. Im vergangenen Jahr verkleinerte das Unternehmen seine Belegschaft von 1100 auf 300 und verkaufte seinen Online-Marktplatz. Es wirtschaftet weiterhin unprofitabel. Der Umsatz von Commerce One ging von 409 Millionen Dollar im Jahr 2001 im vegangenen Jahr auf 106 Millionen zurück. Im letzten Quartal 2002 stand unter dem Strich ein Nettoverlust von 276 Millionen Dollar.

Forrester-Analyst Andrew Bartels unterstellt der Firma zudem ein schlechtes Image. Sie habe selbst zu ihren Hochzeiten im Jahr 2000 Produkte ausgeliefert, die nicht zuverlässig funktionierten. Marketing-Mann Singh betont, mit dem jüngsten Stellenabbau habe sich Commerce One längerfristig zuverlässig aufgestellt. Die Barreserven seiner Firma seien gewachsen, und Ende des Jahres werde der Cash Flow positiv sein. Louis Columbus von AMR Research ist sich da weniger sicher: "Es ist gut, dass sie sich jetzt stärker auf ein bestimmtes Segment fokussieren", meint der Analyst. "Aber sie müssen ein paar bittere Pillen schlucken und finanzielle Kontrollen installieren". (tc)