US-Unternehmen träumen vom absoluten Neuanfang

Business Re-Engineering verlangt DV-Kassensturz

12.06.1992

MÜNCHEN (CW) - Das Schlagwort "Business Re-Engineering" wird für immer mehr Konzerne zur Heilsbotschaft. Mit zunehmendem Wettbewerbsdruck wächst die Erkenntnis, daß Informationstechnologie in der Vergangenheit nicht immer zum besten eingesetzt wurde. Zu oft wurden nicht-strategische Unternehmensfunktionen gepflegt und Prozesse dort automatisiert, wo es wenig sinnvoll war.

Wie populär dieses Thema in den Vereinigten Staaten inzwischen ist, zeigen die Statements von Unisys-Vice-President John Holton, der auf einer Financial Managers Conference in San Franzisko die "sieben Gebote des Business Re-Engineering" aufstellte. Zuallererst, so Holtons These, müssen die Unternehmensziele neu formuliert und begriffen werden. Als Maßstäbe könnten dafür beispielsweise Kundenzufriedenheit, der Eintritt in neue Märkte, Produktentwicklungszeiten, Expansion, eine bessere Verwaltung der Vermögenswerte oder die Optimierung der unternehmenseigenen Fähigkeiten gelten.

Wie der Unisys-Manager betont, ist langfristig sicherzustellen, daß das Kerngeschäft in allen Belangen modernste technologische Unterstützung erhält. Im informationstechnischen Bereich sei mit hochqualifizierten erfahrenen Systemintegratoren zusammenzuarbeiten.

Die Unternehmen müßten in jeder Beziehung offen sein - sowohl hinsichtlich neuer Ideen und sich verändernder Paradigmen als auch in bezug auf die Technologie, damit verschiedene Systemtypen problemlos miteinander kommunizieren könnten.

Der Manager warnt ausdrücklich davor, Prozesse zu automatisieren die es nicht wert und zum Teil sogar überflüssig seien. Auf diese Weise würden Probleme vervielfacht und Kosten potenziert. Wer sich für ein Business Re-Engineering entscheidet, so der Unisys-Sprecher in seiner letzten These, muß über den Tellerrand der gegenwärtigen Organisation und der personellen Möglichkeiten seines Unternehmens hinausschauen. Re-Engineering heiße auch, das Team neu auszubilden und möglicherweise die Personaldecke zu dehnen. Prozesse, die nicht unmittelbar mit dem Geschäft zu tun hätten und dieses möglicherweise sogar behinderte, müßten ausgelagert werden.

Eine maßgebliche Rolle bei der Initiierung eines solchen Business Re-Engineering räumt Allan Gibson, Gründer der Business Re-Engineering Group in Atlanta, den IT-Abteilungen in den Unternehmen ein. Ein solches Projekt müsse nicht immer "Top-down" vom obersten Management her erfolgen. Ebenso sinnvoll sei es, kleinere Pilotprojekte mit starker DV-Beteiligung aufzusetzen, wobei allerdings das volle Vertrauen der Geschäftsführung Voraussetzung sei.

Am ehesten im IT-Bereich einführbar

Entwickler von Informationssystemen, so Gibson im Gespräch mit der neuseeländischen CW-Schwesterpublikation "Computerworld New Zealand", hätten viel Spielraum bei der Systementwicklung und den großen Vorteil, daß niemand nach der Art und Weise ihres Vorgehens frage, solange die Resultate stimmten. Daher könnten Re-Engineering-Techniken am ehesten im IT-Bereich eingeführt werden, möglicherweise in Verbindung mit einem bestimmten Geschäftsbereich. "Im Kern", so Gibson, "ist Business Re-Engineering das, was eine sehr sehr gute Systemanalyse sein sollte!"

Fast 60 Prozent der großen amerikanischen Unternehmen wollen ihr Geschäft im Sinne eines Business-Re-Engineering völlig neu organisieren und gestalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Anwenderumfrage der Strategic Marketing Decisions, Atlanta, Georgia, die im Auftrag des US-Softwarehauses Dun & Bradstreet während einer User-Konferenz durchgeführt wurde. Von 2400 Besuchern antworteten insgesamt 366 IT-Verantwortliche.

Die Erhebung gibt nach Angaben des Informationsdienstes "Business Wire" Hinweise auf die Planung der amerikanischen Top-500-Unternehmen. Binnen drei Jahren, so kalkulieren demnach die meisten Firmen, soll ihre Organisation komplett und grundlegend überarbeitet werden.