Übernahmerausch in einem florierenden Markt

BI-Spezialisten: Klein - größer - gekauft

08.10.2004
Der Markt für Business-Intelligence-(BI-)Software ist dynamischer denn je. Auch dieses Jahr setzt sich die 2003 in Schwung gekommene Übernahmewelle fort, zahlreiche Anbieter sind bereits geschluckt worden. Dennoch drängen gleichzeitig immer mehr neue Spezialisten auf das Spielfeld - BI paradox? Von Carsten Bange*

Programme für die entscheidungsorientierte Sammlung, Aufbereitung und Darstellung geschäftskritischer Information - kurz Business Intelligence (BI) - sind ein heißes Eisen. Inzwischen werden BI-Spezialisten im Monatsrhythmus übernommen, vornehmlich aus zwei Gründen: Einerseits trifft es Spezialisten mit meist innovativen Produktangeboten in ihren jeweiligen Nischen. Andererseits werden aufstrebende Softwareunternehmen mit großem Wachstum und - so die Hoffnung des Käufers - noch größerem Wachstumspotenzial - geschluckt, um das Produktportfolio oder die (regionalen) Absatzkanäle zu vervollständigen.

Wettbewerbsvorteile verschaffen

Nicht selten haben in der ersten Gruppe der kleinen Spezialisten Venture- oder andere Kapitalgeber einen Ausstieg aus ihrem Investment gesucht. Käufer wollen hier anstelle von organischem Wachstum durch eigene Produktentwicklung die Prozesse beschleunigen und erhoffen sich so Wettbewerbsvorteile. Beispiele sind die Übernahmen der Softwareanbieter Avellino und Evoke (Datenqualität) oder der Enterprise-Application-Integration-(EAI-)Spezialisten Mercator, Striva oder Actional.

Ein anderes Profil haben die übernommenen Firmen in der zweiten Gruppe. Es handelt sich vornehmlich um etablierte Anbieter mit längerer Historie, einem breiteren Produktportfolio und teilweise auch internationalen Vertriebsstrukturen. BI-Pioniere wie Comshare oder Brio haben sich längere Zeit schlechter als der Markt entwickelt - da es im Wachstumsmarkt BI bisher keine Insolvenzen gibt, werden Anbieter mit schlechten Ergebnissen und schrumpfenden Marktanteilen irgendwann aufgekauft. In den Fällen von Geac (Comshare), Systems Union (MIS AG) sowie Lawson (Closedloop) haben ERP-Anbieter ihre Angebotspalette um BI erweitert. Bei den Akquisitionen durch Business Objects (Crystal), Hyperion (Brio) oder Cognos (Adaytum, Frango) steht die Erweiterung der BI-Palette um bestimmte Funktionen/Produkte sowie der Zugang zu den bestehenden Kunden im Vordergrund.

Best of Breed nicht gefragt

Käufer reagieren mit solchen Übernahmen auf die Neigung der Anwender, komplette Lösungen aus einer Hand nachzufragen. Best-of-Breed-Installationen, also die Kombination geeigneter Softwarekomponenten meist verschiedener Hersteller zum Aufbau eines Systems, geraten gerade in größeren Anwenderunternehmen strategisch ins Hintertreffen. Defizite der Gesamtlösungen in Teilbereichen werden dabei in Kauf genommen.

Viele Anwender befürchten nach einer Übernahme ihres Softwareherstellers Integrationsprobleme und Zwangsmigrationen und kaufen daher von vornherein nur bei großen und vermeintlich stabilen Anbietern ("size matters"). Die Angst vor einem unfreiwilligen Umstieg auf neue Software ist jedoch häufig unbegründet: Der Käufer führt Produktlinien oft weiter oder bietet zumindest eine Migrationsunterstützung auf neue Produkte an. Vollständige Sicherheit vor Übernahmen geben außerdem auch relativ große Anbieter nicht, da alle BI-Unternehmen im Vergleich zu den Riesen des ITK-Marktes winzig sind. Microsofts Überlegung, SAP zu kaufen, hat dies eindrucksvoll gezeigt.

Idealtypisch gibt es zwei verschiedene technische Strategien, denen Aufkäufer folgen: Den einen geht es um eine Stärkung des Lösungsangebots in einem BI-Teilsegment, in dem sie eine möglichst starke Stellung anstreben. Ascential, Informatica und Group 1 schaffen so beispielsweise ein breites Angebot für das Daten-Management: Sie kombinieren Datenintegration per Extraktion, Transformation, Laden (ETL) mit EAI-Technologien und Funktionen für das Datenqualitäts-Management.

Die mit einem Gegenwert von 820 Millionen Euro bislang teuerste Übernahme eines BI-Anbieters erfolgte ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der strategischen Konzentration auf ein BI-Teilsegment: Business Objects hat Crystal Decisions gekauft, um den Markt für Berichtssoftware zu dominieren. Die Produkt- und Marktstrategien beider Unternehmen waren dabei vor dem Merger durchaus unterschiedlich. Business Objects hatte sich schon immer auf Werkzeuge für den Fachanwender konzentriert, Crystal dagegen bietet in erster Linie technische Lösungen für ein Massenberichtswesen. Die Vertriebsstrategie von Crystal mit rund 150 OEM-Partnerschaften erwies sich als sehr erfolgreich und ergänzt sich gut mit dem Vertrieb der neuen Mutter, der über eigene Niederlassungen und Partner verläuft. Auch regional waren beide Firmen unterschiedlich präsent. Auf diese Weise kann die "neue" Firma Business Objects Software für verschiedene Facetten des Berichtswesens weltweit anbieten.

Einer zweiten, weniger spezialisierten Strategie folgen andere Hersteller. Mit funktionalen Zukäufen wollen sie ein möglichst breites BI-Angebot schaffen, um ihren Kunden Lösungen für verschiedene Probleme aus einer Hand vorschlagen zu können. Da das eigene Entwicklungspotenzial zur Verbreiterung der Produktpalette häufig nicht ausreicht, werden Lücken durch den Aufkauf von Softwarehäusern mit anderen Schwerpunkten geschlossen. Cognos hat sich so mit den Unternehmen Adaytum im Bereich Planung und Frango im Bereich Corporate-Performance-Management (CPM) verstärkt; Hyperion ergänzte seine Produktpalette mit ausgereiften Produkten für Reporting und Datenanalyse von Brio sowie durch den Dashboard-Aufbau von QIQ.

Der Markt für BI-Tools wächst stark. SAS Institute als führender Hersteller weist bereits mehr als eine Milliarde Dollar Jahresumsatz aus. Die nächsten Kandidaten sind Business Objects (Umsatzerwartung für 2004: 910 Millionen Dollar) und Cognos (vorraussichtlich 780 Millionen Dollar). Weitere BI-Anbieter wie Hyperion, NCR und die später in den Markt eingetretenen Konzerne Microsoft, SAP oder Oracle könnten in Kürze ebenfalls den Sprung über die Milliardenmarke in dem Sektor schaffen.

Startups drängen nach

Angesichts dieses Wachstums sind noch mehr Übernahmen zu erwarten, besonders in Segmenten wie dem Online Analytical Processing (Olap), also Produkten zur schnellen Darstellung von multidimensionalen organisierten Daten. Andererseits drängten in den letzten 24 Monaten immer mehr neue BI-Anbieter auf den deutschsprachigen Markt. Hierbei handelt es sich um unterschiedliche Firmen: zum einen um Start-Ups, die mit einer besonderen Funktion oder innovativen Algorithmen zum Zuge kommen wollen (beispielsweise Panoratio, Lixto, Evoke), zum anderen um etablierte ausländische BI-Anbieter, die nun auch in Deutschland Fuß fassen möchten. Beispiele sind QPR und QlikTec aus Schweden, Targit aus Dänemark, Q4Bis aus Australien, die israelische Firma Panorama und natürlich viele Softwerker aus den USA.

Die neuen Spezialisten agieren vor allem auf Gebieten mit einer hohen Dynamik, die teilweise von den traditionellen BI-Softwarelieferanten erst spät entdeckt wurden oder für die allgemein noch keine ausgereiften Lösungsangebote mit quasi standardisierten Funktionen existieren. Dies trifft insbesondere auf die Datenqualitätssoftware sowie die Unterstützung der strategischen Unternehmenssteuerung zu.

Im "klassischen" BI-Bereich Reporting/Analyse finden sich zahlreiche Hersteller von Excel-Zusatzprodukten sowie Spezialanbieter für Microsofts "SQL Server" und "Analysis Services". Da Microsoft sich zunächst eher auf die Datenbank konzentriert hat, wollen viele neue Reporting- und Analyseexperten preislich passende oder in ihrer Funktionalität besonders auf die Microsoft-Datenbank abgestimmte Lösungen offerieren. Weil der Softwarekonzern jedoch gegenwärtig verstärkt in Anwenderwerkzeuge investiert (neues Excel-Add-in, Balanced-Scorecard-Tool und der Kauf eines Reporting-Frontend), müs- sen die kleinen Konkurrenten sich weiterhin durch Vorteile hin-sichtlich Benutzerfreundlichkeit, Funktionalität oder Preis auszeichnen. Ansonsten werden die Spezialanbieter von der Welle, auf der jetzt noch sie schwimmen, überrollt. (ajf)

*Carsten Bange ist Geschäftsführer des Business Application Research Center (Barc) in Würzburg.

BI-Tagung

Die 12. Barc-Tagung "Business Intelligence: Software für Reporting, Analyse und Olap im direkten Vergleich" am 27. und 28. Oktober in Würzburg bietet einen komprimierten Überblick über 15 Anbieter und erleichtert Unternehmen die Auswahl einer passenden Lösung. Barc-Seminare und der renommierte Keynote-Speaker Nigel Pendse ("The Olap Report") gewähren einen neutralen und fundierten Einblick in den Softwaremarkt. Kosten: 250 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer.

Informationen und Anmeldung unter: www.barc.de

Fazit

Durch die zahlreichen Übernahmen der vergangenen Jahre sind große Business-Intelligence-(BI-)Unternehmen entstanden, die entweder funktional ausgereifte Lösungen für Teilbereiche anbieten oder aber ein breites Lösungsportfolio aufweisen. Anwender, die Produkte aus einer (möglichst umsatzstarken) Hand bevorzugen, können einerseits auf international führende Lieferanten setzen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht durch eine Übernahme von der Bildfläche verschwinden werden.

Auf der anderen Seite lässt der wachsende Markt immer noch zahlreiche neue Anbieter entstehen, die sich in bestimmten Nischen positionieren und durch innovative Funktionen, Bedienerfreundlichkeit oder auch günstige Preise hervorzuheben versuchen. Wer als Anwender nicht zwingend bei den marktführenden Herstellern einkaufen muss, kann hier interessante Lösungen finden, die zudem nicht teuer sein müssen.

Abb: Chronologie der Übernahmen

Der Nachschub an geeigneten Kaufkandidaten versiegt nicht - Startups drängen nach wie vor in funktionale Nischen oder reüssieren mit innovativen Features. Quelle: Barc