Objektrelationale Datenbanken/Eine Einführung in eine sich abzeichnende Zukunft

Auf der Grenze zwischen Objekten und Relationen

09.10.1998

Immer dann, wenn neben alphanumerischen auch komplexe Datentypen zu verwalten sind, stoßen relationale Systeme an ihre Grenzen. Wenn Datenbanken das DV-Modell zukunftsgerechter flexibler Unternehmen abgeben sollen, ergibt sich dasselbe Problem. Die reale Geschäftswelt ist nicht annähernd so einfach strukturiert wie das Datenmodell des traditionellen RDBMS.

Stellvertretend für den Wandel im Informations-Management seien nur die Internet-Technologie und die Medienindustrie genannt. Weder Datenstrukturen, wie sie beim Betrieb einer Web-Site anfallen, noch Applets oder andere Applikationsneuheiten sind nach dem Geschmack eines relationalen Systems.

In der Medienindustrie geht es um die Erschließung analoger Informationen für digitale Anwendungen. Zur Zeit macht insbesondere die Digitalisierung in der Fotografie, im Film und für TV-Produktionen von sich reden. Doch für die neuen Datentypen sind RDBMS nicht geschaffen.

Kontinuierlich sinkende Hardwarepreise und die damit immer kostengünstigere Prozessorleistung haben eine rasch zunehmende Marktakzeptanz auch sehr komplexer Multimedia-Anwendungen zur Folge. Die Anbieter relationaler Datenbanken müssen dieser Entwicklung folgen.

Und nach ihrer Ansicht weist eine Verschmelzung der Stärken ihrer herkömmlichen Systeme mit der Flexibilität des objektorientierten Ansatzes den richtigen Weg: ein objektrelationales Datenbanksystem (ORDBMS). Diese Anbieter versprechen, mit einer allmählichen Erweiterung ihrer Systeme ihre Kunden sukzessive an die objektrelationale Technologie heranzuführen.

Sie streben mit ihren Erweiterungen herkömmlicher RDBMS für komplexe Datentypen, Objekte und diverse Multimedia-Applikationen - anders als beim Einsatz einer rein objektorientierten Datenbank (OODBMS) - erklärtermaßen die vollständige Integration bestehender Systeme und Anwendungen in eine offene Umgebung an. Alle Arten von Datentypen, ob strukturiert oder Objekt, sollen sich in einer zentralen Datenbank indizieren und/oder ablegen lassen und so für den unternehmensweiten Zugriff zur Verfügung stehen.Dafür werden der Datenbank-Engine spezifische Klassenbibliothekserweiterungen hinzugefügt, die die Definition komplexer Datentypen und die Integration neuer Methoden und Einsatzmöglichkeiten für diese Typen gestatten. Dabei muß das so erweiterte Datenbanksystem nach wie vor die bewährte Performanz, Zuverlässigkeit und Offenheit bieten, um auch hochvolumige Anwendungen effizient zu unterstützen. Aus dem traditionellen RDBMS wird damit ein Datenbank-Server für strukturierte ebenso wie für unstrukturierte Informationen.

Die Analysten der Aberdeen Group haben die Anforderungen an eine derartige Datenbank in sechs Punkten zusammengefaßt:

- erweiterte Unterstützung komplexer Datentypen;

- erweiterte Unterstützung für komplexe Berechnungen auf einfachen und komplexen Datentypen,

- höhere Effizienz in Datenzugriff und -verarbeitung;

- bessere Abstimmung auf neue Entwicklungs-Tools, -prozesse und grafische Benutzeroberflächen;

- bessere Eignung für Internet- und Intranet-Architekturen sowie

- wirksamere Unterstützung für relationales Online Analytical Processing (ROLAP), was gleichbedeutend mit einer höheren Effizienz bei komplexen Abfragen ist.

Jeder dieser Zusätze erschließt dem Leistungsvermögen relationaler Datenbanken neue Dimensionen. Die Offenheit konzentriert sich grundsätzlich auf zwei Bereiche: auf zusätzliche Module und auf die Datentypen.In Sachen modulare Ausbaufähigkeit soll das objektrelationale System keine Grenzen kennen. Jedenfalls betonen die Hersteller das Prinzip der Benutzerdefini- tion. Die Module heißen dann beispielsweise im Fall von Informix "Data Blades".

Grundsätzlich sollten von Grund auf neue Datentypen ebenso zulässig sein wie die Möglichkeit, die Struktur von anderen Typen komplett oder in Teilen zu erben. Datensätze, Mehrfachsätze und Listen werden ebenso als Typen unterstützt wie Verweise auf andere Objekte.

Dem Prinzip der Vererbung, einer der großen Vorzüge der Objekttechnologie, ist es zuzuschreiben, daß sich die Datenmodellierung erheblich vereinfacht. Ein medizinisches Informationssystem kann beispielsweise Patienten der Orthopädie als Untereinheit der Klasse Patienten vorsehen. Von letzterer übernimmt der einzelne "Orthopädiepatient" einen Großteil der Inhaltsstruktur und Funktionen. Hinzu kommt lediglich, was ihn vom "Allgemeinpatienten" unterscheidet: Röntgenbilder etwa.

Der Nutzen des ORDBMS für den geschäftlichen Alltag liegt also auf der Hand: Zum einen läßt sich die Entwicklung von Datenbankanwendungen, die auf komplexe Datentypen zugreifen, wesentlich schneller realisieren. Zum anderen stehen dem Anwender auch solche Informationen zur Verfügung, die jenseits der alphanumerischen Grenze liegen.Für die längerfristige Planung in Unternehmen, die ihren Datenbestand möglichst flexibel benutzen wollen, ist es nach Ansicht der entsprechenden Hersteller daher sinnvoll, auf die erweiterte objektrelationale Architektur zu setzen. Reine Objekttechnologie sei unverändert eine Nischenlösung. Sie werde den kontinuierlich wachsenden Anforderungen an moderne Geschäftssysteme ebensowenig entsprechen können wie das relationale Modell.

Angeklickt

Die etablierten relationalen Datenbanksysteme verarbeiten die Daten ausschließlich in alphanumerischer Form und sind für einfache Suchstrategien mit nur wenigen Kriterien und Zeichenfolgen konzipiert. Reine Objektdatenbanken scheinen heutigen Anforderungen an die Verarbeitung und Verfügbarkeit von Geschäftsinformationen nicht gerecht zu werden und stoßen auf eine eher verhaltene Marktakzeptanz. Die Lösung, so die großen Anbieter und die Mehrheit der Analysten, ist die Verschmelzung beider Welten zu einem ganzheitlichen objektrelationalen Konzept.

Christiane Jacobs ist freie Journalistin in München.