Arbeitslosigkeit durch Automation?

17.12.1976

Prof. Dr. Hans Rühle von Lilienstern, Mitglied der Geschäftsführung des Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen

Wirtschaft (RKW)

Es ist leider ein statistisch ausgewiesene Tatsache, daß der "Zuzug" zur Arbeitslosigkeit gegenwärtig stärker aus der Verwaltung und den Büros erfolgt als aus dem Produktionsbereich. Wird damit die langjährig vertretene These von der Ausweitung des sogenannten "tertiären Sektors" in Wirtschaft und Verwaltung ab absurdum geführt? Liegt die Ursache in dem außerordentlich starken Schub der Mechanisierung und Automation in den Verwaltungen und Büros? Soll man diese bedrohlich werdende Entwicklung mit geeigneten Maßnahmen verlangsamen oder gar stoppen?

Sicherlich dann ja, wenn man unter Rationalisierung nur ein Vorgehen mit dem Rotstift zur Einsparung von Kosten und Arbeitsplätzen sehen würde, also die schlimme und nur negativ verstandene Funktion des "Wegrationalisierens". Man muß wohl etwas tiefer in die Zusammenhänge einsteigen, um eine richtige und abgewogene Antwort auf die gestellten Fragen zu geben.

Als im vorigen Jahrhundert im Industrialisierungsprozeß die Mechanisierung und später Automation im Produktionsbereich einsetzte, waren nach dem ersten Boom der Wirtschaft ähnliche Entwicklungen eingetreten. Denken wir an die Forderung der Maschinenstürmer. Auch damals war die Gefahr einer erhöhten Arbeitslosigkeit durch Freistellung von menschlicher Arbeitskraft durch die Maschine. Damals zeigte sich, daß der Freistellung menschlicher Arbeitskraft durch die Maschine und darauf kommt es an! - und deren Überstellung in andere Funktionsbereiche im zeitlichen Ablauf erhebliche Lücken und Zeitspannen der Arbeitslosigkeit schuf. Der Umstellungsprozeß erfolgte, wie wir heute wissen, in mehreren Stufen und hatte schmerzliche, für den einzelnen bedrohliche Gefahren, nicht nur den alten Arbeitsplatz zu verlieren, sondern keinen neuen zu finden.

Gegenwärtig treffen zwei Komponenten aufeinander: Die Sättigung der Nachfrage nach zwanzig Jahren ständig steigenden Bedarfs und eine in der technologischen Entwicklung begründete Mechanisierung und Automation durch die verschiedenen, dicht aufeinander folgenden Computergenerationen.

Soll und kann auf diese gegenwärtig in Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft stark belastende Entwicklung Einfluß genommen werden? Müssen nicht Wirtschaft und Verwaltung nach den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit Freistellungen - wenn diese erforderlich sind - trotz aller menschlichen Umstände vornehmen? Gerade in dieser Fragestellung liegen positive Ansätze, andere Lösungen als die der nur negativ wirkenden Kostensenkung und Einsparung zu wählen.

Es ist zu bedenken, daß die sogenannten dispositiven Funktionen stark gewachsen sind und sich gerade im Zeitalter des Computers ausgeweitet haben. So sind zum Beispiel Beschaffung und Auswertung von exogenen und endogenen Informationen aller Art mehr und mehr zu einem Entscheidungsfaktor Nr. 1 in den Institutionen der Wirtschaft und Verwaltung geworden. Der Computer kann nur dann nutzbringend eingesetzt werden, wenn auch die mit seiner Hilfe gewonnenen Zahlen in die Entscheidungen einfließen. Auch die Analyse künftiger Markt- und Nachfrageentwicklungen gehört in diesen Komplex.

Man wird entgegnen, daß die im Automationsprozeß freigestellten Arbeitskräfte zum großen Teil nicht für diese neuen Aufgaben einzusetzen sind. Wie sehr unterschätzt man dann die Fähigkeiten des Menschen und seine Flexibilität. Sicherlich ist eine Umschulung und Weiterbildung nicht von heute auf morgen möglich. Sie braucht Zeit. Aber ebenso gewiß ist - und dafür gibt es zahlreiche Beispiele, daß eine Urnsetzung im eigenen - Unternehmens - und Verwaltungsbereich mit entsprechender Anleitung möglich ist. Eine Umsetzung diese Art ist sogar wirtschaftlicher, als sich kurze Zeit nach vorgenommenen Einsparungen von außen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu suchen.

Und wie lautet aus diesen Überlegungen heraus die Antwort auf die gestellten Fragen? Automation ersetzt zwar Funktion menschlicher Arbeitskraft in unserem Arbeitsprozeß durch Computer. Mit der Automation entwickeln sich aber auch neue Funktionen im Bereich der Dienstleistungen und der dispositiven Arbeit. Dieser Strukturwandel muß von allen Beteiligten vernünftig gesteuert werden. Ein Zurück gibt es nicht.

Die Automation half unser Sozialprodukt und den Lebensstandard zu steigern. Die Automation bescherte uns auch eine Verkürzung der Arbeitszeit. Wirtschaftlichkeit und Rationalisierung können aber nur dann sinnvoll sein, wenn sie allen in unserer Gesellschaft zugute kommen - dem einzelnen und den Institutionen -. Aufgaben und Personalplanung sowie die Entwicklung der künftigen Perspektiven und deren Anforderungen für neue Funktionen und Arbeitsplätze durch die einzelnen Wirtschafts- und Verwaltungseinheiten - d. h. neben der Rotstift auch den grünen Stift einzusetzen, sind Instrumente, die schon heute wesentlich mehr Umsetzungen auf neue Aufgaben ermöglichen als angenommen wird.

Außerdem sollte ein Sozialplan mithelfen zusätzlich dazu beizutragen, die sicherlich auch vielfach trotzdem entstehende Zeitlücke im Umsetzungsprozeß so klein wie möglich zu halten.

Wenn diese Anstrengungen - gekoppelt mit den Maßnahmen des Staates - von allen mit Energie betrieben werden, kann die Gefahr der Arbeitslosigkeit gemeistert werden, ohne die technologische Entwicklung - und das wäre genau so gefährlich - aufzuhalten.