Lernen aus der Ferne: Java-Kurs via Distance Learning

Abschied von der bunten Kreide

26.03.2004
MÜNCHEN (CW) - Die Weiterbildungsbranche wandelt sich: Der Trend geht zu kurzen, modular aufgebauten Kursen, die flexibel zu Hause oder am Arbeitsplatz stattfinden. Siemens Business Services (SBS) hat ein Trainingskonzept nach dem Distance-Learning-Modell entwickelt. Die Kursteilnehmer lernen dabei in Projektgruppen, in denen jeder abwechselnd eine Rolle aus dem Berufsleben übernimmt - vom Projektleiter bis zum Mitarbeiter.

Distance Learning verknüpft die Vorteile von E-Learning mit den Vorzügen des Präsenzunterrichts: Live-Kommunikation mit den über Internet zugeschalteten Dozenten plus persönliche Vor-Ort-Betreuung durch einen Coach. Der Trainer ist per Internet an mehreren Standorten gleichzeitig zugeschaltet. Alle Kursteilnehmer können ihn sehen und sich live mit ihm über eine E-Learning-Plattform unterhalten. Zusätzlich betreut ein Coach vor Ort die Kursteilnehmer und moderiert die Gruppe. Den ersten Lehrgang nach diesem Konzept hat SBS für die Bundesanstalt für Arbeit von September bis Dezember 2003 umgesetzt. Gelehrt wurde die Programmiersprache Java.

Von Anfang an unterstützen sich die Teilnehmer gegenseitig. "Ich habe schnell die Rolle eines Tutors übernommen, weil ich schon Java-Erfahrung hatte und den anderen weiterhelfen konnte", erzählt der Kursteilnehmer Horst Pfitzner. Soziale und kommunikative Kompetenzen erwerben die Teilnehmer somit "en passant". Zudem werden methodische Kenntnisse wie Projekt-Management-Fähigkeiten und Präsentationstechniken trainiert.

Für den Java-Kurs wurden an elf Standorten in Deutschland Lerngruppen von je acht bis zehn Personen gebildet. Jedes Teammitglied hatte im "Projektbüro" einen eigenen PC-Arbeitsplatz und übernahm eine der Rollen, wie sie auch in klassischen Projektteams vorkommen - vom Projektleiter bis zum Mitarbeiter, der für die Dokumentation zuständig ist. Nach dem Rotationsprinzip wurden die Rollen gewechselt, damit jeder verschiedene Funktionen einüben konnte. "Es gab Lerngruppen, die sich schnell als Team zusammengefunden haben. Andere sind mit der Technik nicht auf Anhieb klargekommen", sagt Petra Schmoranz von SBS, die die Schulungsteilnehmer in Berlin betreute. "In diesem Fall mussten die lokalen Dozenten etwas mehr Anleitung geben."

Sind alle organisatorischen Fragen geklärt, beginnen die unterschiedlichen Lernphasen: Das Wissen wird vermittelt, erarbeitet, angewandt, präsentiert und diskutiert. In "Live Sessions" werden Vorlesungen aus dem zentralen Sendestudio von SBS in Berlin in die einzelnen Projektbüros übertragen und dort per Beamer für die Teilnehmer visualisiert. Dabei können sie den Fachdozenten im Sendestudio hören und sehen.

Trainer und Lerngruppe arbeiten - für beide Seiten sichtbar - gemeinsam in einem Programm. Der Lehrer kann aus der Ferne einen PC der Lerngruppe ansteuern und Themen live demonstrieren. Die Gruppe erhält so praxisnahes Wissen beispielsweise über objektorientierte Softwareentwicklung mit Java und erfährt etwa, wie Servlets fürs Internet oder für Anwendungen programmiert werden.

Nach den gemeinsamen Unterrichtseinheiten folgen Einzelarbeitsphasen und Projektarbeiten, in denen die Teilnehmer ihr Know-how in Aufgaben und Übungen anwenden. Tauchen Fragen oder Probleme auf, die die Gruppe nicht selbst klären kann, können sich die Teilnehmer jederzeit an das Sendestudio wenden. "Ein einzelner Dozent wäre überfordert, wenn er alle Rückfragen bearbeiten müsste", erklärt Ursula Kahra, bei SBS verantwortlich für das Design-Management von (Re-)Qualifizierungsmaßnahmen. "Je mehr Interessenten am Kurs teilnehmen, desto mehr Experten sitzen auch im Studio. Das funktioniert wie in einem Call-Center."

Wer während der Online-Vorlesung eine Frage hat, klickt auf ein Icon und spricht per Headset mit dem Dozenten. "Vieles klären wir in virtuellen Foren, die allen Teilnehmern bundesweit für den Austausch zur Verfügung stehen", so Kahra. Geplant ist, dass alle mithelfen, auf der E-Learning-Plattform Stück für Stück eine gemeinsame Materialsammlung aufzubauen.

Kleinere Pannen waren unvermeidbar. "An einem Standort brach das Netz des Telekommunikationsanbieters zusammen. Nachdem es wiederhergestellt war, haben wir den Teilnehmern angeboten, die aufgezeichnete Sendung anzusehen", erklärt Martin Petschke, der den Lehrgang mit entwickelt hat. Bei einer anderen Gelegenheit kam ein Stromausfall in Berlin in die Quere. Deshalb wurde inzwischen eine Hotline eingerichtet, um auf Probleme mit dem Netzwerkzugang noch schneller reagieren zu können.

Andere Fähigkeiten sind gefordert

Für die meisten Dozenten und Teilnehmer ist Distance Learning noch Gewöhnungssache. "Auf einmal sind ganz andere Fähigkeiten gefordert", so Petschke. "Bunte Kreide und eine lebhafte Körpersprache sind nicht mehr gefragt." Mit gutem Einfühlungsvermögen muss der Trainer den Grad der Motivation und den Bedarf des Lernenden erahnen, ständig Feedback einfordern und gezielt Fragen stellen. In Train-the-Trainer-Seminaren werden den Dozenten neue didaktische Methoden vermittelt, um die Aufmerksamkeit der Schulungsteilnehmer zu fesseln. Für die Teilnehmer ist die Ausbildung eine gute Vorbereitung auf den Berufsalltag, wo Application Sharing und virtuelle Sitzungen längst zur Gewohnheit geworden sind. SBS wird die Methode auch auf andere Themen ausweiten. (hk)