Kein Mut zu Innovationen

Viele Versicherungen verschlafen die Digitalisierung

01.10.2018
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Wie soll die Customer Journey aussehen?

Die Analysten zeigen sich verwundert darüber, dass nur wenige Versicherer eine moderne Customer Journey auf ihrer Digitalisierungsagenda haben. Das sei aber notwendig, um jüngere, digital affine Kundengruppen zu erreichen. "Dies ist ein durchaus überraschendes Ergebnis vor dem Hintergrund, dass sich die gesamte Branche schwer damit tut, Neukunden zu gewinnen und die Anzahl der Verträge pro Kunde zu erhöhen", heißt es in der Studie.

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Ein Problem liegt aus Sicht von Lünendonk darin, dass sich die Versicherer zwar kundenzentrisch ausrichten wollen, aber nicht genau wissen, wie sie dabei vorgehen sollen. Sechs von zehn Unternehmen räumten ein, nur über unzureichende Erfahrungen und Kompetenzen in der Analyse der Customer Journey zu verfügen. So ergebe sich nur ein unscharfes Bild davon, was die Kunden wollen und wie ein modernes Kundenerlebnis im digitalen Zeitalter aussehen kann.

Auch an anderer Stelle tut sich aus Sicht der Analysten zu wenig. So sind die meisten Versicherungsunternehmen in der Entwicklung neuer Produkte mit einem Fokus auf das Internet of Things (IoT) bislang nicht über vage Pläne hinausgekommen. Nur 13 Prozent beschäftigen sich stark mit der Entwicklung von IoT-Produkten.

Hohe Datenschutzanforderungen, gesetzliche Regularien sowie die Abhängigkeit vom bestehenden Geschäftsmodell behindern die Digitalisierung, sagen die Versicherer.
Hohe Datenschutzanforderungen, gesetzliche Regularien sowie die Abhängigkeit vom bestehenden Geschäftsmodell behindern die Digitalisierung, sagen die Versicherer.
Foto: Lünendonk

Die Ursache dafür liegt offensichtlich auch in den Firmenkulturen begründet. In vielen Versicherungsgesellschaften fehlt es der Umfrage zufolge an einer echten Innovationskultur, um neue Ideen schnell zur Marktreife zu bringen, und an der notwendigen Risikobereitschaft. Nur 28 Prozent der Befragten scheinen eine stark ausgeprägte Fähigkeit zur Erneuerung ihrer Geschäftsmodelle zu haben, lautet das Fazit der Analysten.

Fachabteilungen trauen sich mehr

Auffällig dabei: Diejenigen Unternehmen, in denen die Fachabteilungen das Digitalisierungsheft in der Hand halten, probieren mehr aus und gehen mehr Wagnisse ein als der Durchschnitt. Das aber ist eine Voraussetzung für den Erfolg: Wenn sich Prototypen oder digitale Geschäftsmodelle als nicht marktfähig erwieisen, müssten das die Unternehmen aus Sicht der Analysten akzeptieren. Digitalisierung heiße auch, aus Fehlern in der Entwicklung oder der Markteinführung zu lernen.

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Das notwendige Change-Management voranzutreiben, sei Sache der Chefetagen. Doch hier fehle vielfach der nötige Anreiz, stellen die Lünendonk-Experten fest. Nur gut jede zweite Versicherung habe mit ihren Führungskräften Ziele zur Erreichung bestimmter Meilensteine in der Digitalisierung vereinbart. Und nur 38 Prozent der befragten Führungskräfte hätten neue Incentivierungs-Systeme erhalten, um Fortschritte im digitalen Wandel zu belohnen.

Fazit

Die Studie zeigt, dass sich die Versicherer im deutschsprachigen Raum mit der Digitalisierung ihres Geschäftsmodells beschäftigen. Doch zwischen dem Willen und der Fähigkeit zum Umbau klafft eine große Lücke. Laut Lünendonk liegt das auch daran, dass sich die Unternehmen an den bewährten Geschäftsmodelle festklammern und Risiken vermeiden. Wichtige Aspekte wie die Digitalisierung der Kundenschnittstelle würden vernachlässigt. Es seien daher Zweifel angebracht, ob die Versicherer mit dem digitalen Wandel und neuen Geschäftsmodellen im gebotenen Tempo vorankämen.

Versicherungen müssten mehr tun, als einzelne Prozesse zu automatisieren oder bestimmte Sparten und Produkte kundenzentrischer auszurichten. Dabei gelte es für die Verantwortlichen, in der Organisation und Firmenkultur das richtige Händchen zu beweisen. Zwar habe sich gezeigt, dass der digitale Wandel schneller in die Gänge kommt, wenn die Fachbereiche die Verantwortung für die Digitalisierung in die Hand nehmen. Flexibilitäts- und Agilitätsvorteilen stünden in diesem Fall jedoch ein hoher Koordinierungsaufwand sowie eine geringe Transparenz der einzelnen Digitalisierungsaktivitäten gegenüber. Zentralisiere man jedoch die Aufgaben, gehe dies meist auf Kosten der Flexibilität und Geschwindigkeit.

Letztendlich werde die Digitalisierung nicht vor der Versicherungsbranche halt machen, warnt Lünendonk. Den Takt dafür gäben die Kunden vor. Die jüngere Klientelzeige ein anderes Absicherungsverhalten als die ältere. Das werde zu sinkenden Beiträgen in klassischen Bereichen wie der Lebensversicherung führen. Die Versicherungsunternehmen müssten daher wegbrechende oder stagnierende Erträge durch neue Geschäftsmodelle auffangen. Doch an dieser Stelle zeige die Branche den Analysten zufolge noch zu wenig Bewegung und wage nur in Ansätzen neues Digitales.

Wie neue digitale Geschäftsmodelle aussehen könnten, zeigt laut Lünendonk der Allianz-Konzern. Die Münchner hätten Anfang des Jahres bekannt gegeben, mit einer Open-Source-Plattform an den Markt zu gehen. Das Ziel: Eine zentrale Plattform für Versicherungsprozesse zu schaffen. Zunächst sollen darauf alle Allianz-internen Abläufe standardisiert werden. Im nächsten Schritt sei dann geplant, die Nutzung der Plattform anderen Versicherungen anzubieten und damit eine Art Branchenstandard zu setzen. Die Folge: Der Versicherer Allianz würde damit auch zu einem IT-Service-Provider.