Die Ochsentour
Das Abfindungsangebot klang für Bertold Tucher äußerst verlockend. Über das firmeneigene Intranet hatten Betriebsrat und Unternehmensleitung 2009 Konditionen und Rechenschablone veröffentlicht, und jeder konnte sich selbst ausrechnen, was dem internationalen Softwareunternehmen der Verzicht auf einen Arbeitsplatz wert war. Es bestand kein Zweifel, dass der Konzern Personal abbauen wollte. "Die Stimmung war nicht gut, ich habe mir Gedanken über meine Zukunft gemacht", erzählt Tucher, der seinen richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte.
Ein Wechsel in die Zentrale wäre mit Risiken behaftet gewesen. Eine vergleichbare Position als Softwarearchitekt und Projektleiter konnte Tucher niemand zusichern, da auch für interne Positionen ein Einstellungstopp verhängt worden war.
Tucher entschied sich für das Abfindungsangebot und wurde von Juni bis Dezember 2009 freigestellt. "Nach 13 Jahren im Job habe ich mir eine Auszeit genommen, denn gerade durch die Sandwich-Position in der unteren Führungsebene war die Arbeitsbelastung hoch", so der IT-Experte. Seit Oktober nutzte er vom Xing-Profil über Initiativbewerbungen, Stellenanzeigen und Online-Jobbörsen bis zu persönlichen Kontakten die ganze Palette der Bewerbungsmöglichkeiten.
Doch die Ausbeute war ernüchternd. Selbst von Unternehmen, zu denen sein Profil gut gepasst hätte, kam die Reaktion: "Interessant, momentan aber nicht." Viele der ausgeschriebenen Stellen wurden nicht besetzt, so der Eindruck des berufserfahrenen Bewerbers.
Selbstzweifel beschlichen den 39-Jährigen während seiner Bewerbungsphase nicht. "Ich war mir sicher, dass ich etwas finde und dass meine Qualifikation passt", berichtet er. Nicht gerechnet hatte er damit, dass die Jobsuche so lange dauern und ein Vollzeitjob sein würde. So vergingen vier Monate bis zum ersten Arbeitstag beim neuen Arbeitgeber. "Die Suche war zeitaufwendiger als gedacht", gibt er zu. Der neue Arbeitgeber hatte gründlich gerechnet, ob er sich den qualifizierten Mitarbeiter leisten konnte. "Ich hatte Gehaltsvorstellungen, von denen ich nicht abrücken wollte. Es sollte wieder eine Position als Projektleiter sein", erläutert der IT-Experte.
Nach zahlreichen Vorstellungsgesprächen gab es zwar Absagen, aber auch Angebote. Bei einem Arbeitgeber hätte Tucher schon im Dezember einen Vertrag unterzeichnen können. Doch er wollte "hundertprozentig sicher sein", den richtigen Job gefunden zu haben. Von seinem jetzigen Arbeitgeber ist Tucher überzeugt. Dazu haben auch mehrere Vorstellungsgespräche beigetragen und der intensive Austausch mit dem künftigen Chef: "Die zwischenmenschliche Ebene stimmt."
Enttäuscht war Tucher dagegen von größeren Konzernen. "Derzeit kommen oft nur Bewerber zum Zug, deren Profil 100-prozentig mit dem jetzigen Bedarf des Unternehmens übereinstimmt. Viele Interessenten, deren Qualifikation zur langfristigen Firmenstrategie passen würde, bleiben außen vor."
Dennoch zieht Tucher ein positives Fazit. Die Stellensuche lief für ihn gut, auch wenn er seinen Zeitplan heute anders gestalten und früher mit der Suche beginnen würde. In den Wochen vor Weihnachten bis Ende Januar sind seinen Erfahrungen zufolge viele Firmen mit sich selbst beschäftigt und haben keine Zeit für Bewerber.
- Wie Sie der Krise trotzen . . .
Stellenabbau bei SAP, Kurzarbeit in der Automobilbranche. Wie sich Arbeitnehmer in der Finanzkrise verhalten können, dazu gibt Karriereberaterin Svenja Hofert wertvolle Tipps. - 1. Halten Sie sich zurück mit apokalyptischen Prognosen . . .
. . . und zitieren Sie gegenüber dem Arbeitgeber jetzt nicht gleich Karl Marx. Das Unternehmen will und braucht Optimisten – ganz genau wie die Börse. - 2. Wechseln Sie derzeit nur . . .
. . . wenn Sie wirklich sicher sind, es beim neuen Arbeitgeber besser zu treffen. Eine alte Regel lautet: Die letzten (Eingestellten), werden die ersten sein, denen man kündigt. - 3. Wenn Sie doch wechseln wollen oder müssen, . . .
. . . fragen Sie das neue Unternehmen nach seinen Strategien in der Finanzkrise. Springen Sie nur auf dynamische Motorschiffe und nicht auf sinkende Dampfer. - 4. Arbeiten Sie nicht still vor sich hin . . .
. . . in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden. Kommen Sie aus der Defensive: Bringen Sie Ideen, Vorschläge, seien Sie konstruktiv in der Krise, kommunizieren Sie Erfolge. - 5. Fordern Sie eine offene Kommunikation von Ihren Vorgesetzten.
Sprechen Sie es an, wenn Sie das Gefühl haben, dass sich hinter verschlossenen Türen etwas zusammenbraut. - 6. Beobachten Sie die Entwicklungen in Ihrem Unternehmen sehr genau.
Bewerben Sie sich lieber früher als später woanders, wenn Sie merken, dass sich eine langfristig negative Entwicklung anbahnt. - 7. Analysieren Sie Ihr Profil und Ihren Marktwert.
Wenn Sie wissen, wo Sie stehen, werden Sie der Krise auch gelassener begegnen können. - 8. Steigern Sie Ihren Marktwert durch Weiterbildung.
Gut ausgebildeten Fachkräften kündigt man nicht so schnell. - 9. Nicht einschüchtern lassen!
So lange das Unternehmen nicht direkt von der Krise betroffen ist, gibt es keinen Grund für Gehaltskürzungen. So wie Mitarbeiter ihre Gehaltserhöhung niemals mit zu hohen Kraftstoffpreisen argumentieren sollten, sollten Unternehmen die Finanzkrise außen vor lassen. Es geht um Leistung, sonst nichts.