Standortbestimmung in Sachen Industrie 4.0

Die IT hat bei Industrie-4.0-Projekten die Hosen an

24.03.2016
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Dass Fachbereiche zunehmend über IT-Investitionen entscheiden, ist eine in IT-Herstellerkreisen weit verbreitete These. Im Zusammenhang mit Industrie-4.0-Projekten stimmt sie offenbar nicht: Hier haben die internen IT-Mitarbeiter den Hut auf.

Eine Standortbestimmung in Sachen Industrie 4.0 hat die H&D International Group vorgenommen, ein weltweit tätiger IT- und Engineering-Dienstleister. Das Unternehmen beauftragte ein Marktforschungsunternehmen, mehr über den Status quo in Deutschland herauszufinden und zu ermitteln, welche Rolle bei entsprechenden Projekten die IT- und die Produktionsbereiche spielen. Zudem galt es zu eruieren, welche IT-Themen für Industrie 4.0 relevant sind. Heraus kam eine ganze Reihe spannender Erkenntnisse.

Zunächst einmal zeigte sich dass der Wissensstand zum Thema Industrie 4.0 in Produktion und IT unterschiedlich ist. Während drei Viertel der ITler mit dem Begriff etwas anzufangen wissen, zeigen die Mitarbeiter in der Produktion zu 60 Prozent Erkenntnisdefizite. Befragt wurden dabei insgesamt 103 Beschäftigte aus Industrieunternehmen, wobei sich in der Erhebung das "Cluster Produktion" aus Mitarbeitern verschiedener Bereiche, darunter Forschung und Entwicklung, Konstruktion, Produktion und Logistik zusammensetzt. Repräsentiert sind alle Hierarchiestufen, wobei rund die Hälfte der Befragten dem mittleren und gehobenen Management bis hin zur Geschäftsführung zuzurechnen ist.

Wie wichtig ist Industrie 4.0?

Ähnlich unterschiedlich wie das Wissen zu Industrie 4.0 ist die Einschätzung der beiden Unternehmensbereiche zu dessen Bedeutung. Mehr als drei Viertel der ITler messen dem Thema eine sehr hohe (38,5 Prozent) oder hohe Bedeutung (35,9 Prozent) bei. Unter den Produktionsmitarbeitern sagen nur 7,8 Prozent, Industrie 4.0 habe eine sehr hohe Bedeutung, immerhin 39,1 Prozent räumen dem Thema eine hohe Bedeutung ein.

Auf die Frage, ob sich das Thema langfristig in produzierenden Unternehmen durchsetzen werde, sagten 36 Prozent der ITler, sie seien sich diesbezüglich "absolut sicher". Nur elf Prozent der Produktionsbeschäftigten waren der gleichen Ansicht. Mit einem etwas weniger überzeugten "Ich denke schon" antwortete die Hälfte der Produktionsmitarbeiter, während 53,9 Prozent der ITler sich in dieser Weise äußerten.

Erste kleine Investitionen

Von allen Befragten sagten 40 Prozent, 2015 und 2016 werde ihr Unternehmen "erste kleine Investitionen tätigen", während 15 Prozent bekundeten, sie planten "hohe Investitionen". Dabei fällt auf, dass vor allem Mitarbeiter aus der IT glauben, ihr Unternehmen werde hier investieren, während die Produktionsmitarbeiter viel skeptischer sind.

IT gibt die Richtung vor

Wer treibt die Industrie-4.0-Projekte in den Unternehmen? Die IT-Profis sehen sich zu knapp 72 Prozent selbst im Driver Seat, während sich die Produktionsmitarbeiter nur zu 26,6 Prozent verantwortlich fühlen. Sie nennen außerdem die Logistik (23,4 Prozent), Marketing und Vertrieb (15,6 Prozent) und die IT-Kollegen (25 Prozent). Wie die Umfrage weiter zeigt, werden auch die Entscheidungen über IT-Veränderungen in der Produktion größtenteils von der IT und nicht von der Produktion gefällt.

Sicherheit geht vor

Was sind nun die IT-Themen, die von den Befragten als relevant im Zusammenhang mit Industrie 4.0 gesehen werden? IT-Security, Produktions-IT und Mobility gelten laut Umfrage in dieser Reihenfolge als die Topthemen, wenn es um die Einführung und Umsetzung geht. Weitere technische Aspekte sind Big Data, PLM, Collaboration, Business Intelligence und Cloud Computing. Bei der Beurteilung dieser Themen gibt es besonders die auffällige Unterschiede bei den Themen Cloud und Big Data: Die IT-Mitarbeiter sehen hier einen weitaus größeren Hebel als die Produktionsbeschäftigten.

Die Studienbetreiber von H&D ziehen das Fazit, dass die IT deutlich mehr Berührungspunkte mit Industrie 4.0 habe als die Produktionsabteilungen. Generell zeige sich aber, dass die Bereiche auf der Basis von "bereichsübergreifenden Meetings und Projektgruppen, Schnittstellen-Rollen und proaktiver Unterstützung" auf einem guten Weg seien, die Zusammenarbeit zu fördern. Auffällig sei dabei, dass die Macht über IT-Entscheidungen zum Großteil in der IT liege und nicht im Fachbereich. Die Studie schließt mit der Feststellung: "Insgesamt ist schon viel in den Unternehmen passiert, aber es wird erst der Motor angelassen, der Gang eingelegt und die Route berechnet - mit dem Ziel Industrie 4.0."