Social Media ist weit mehr als Technik

Brechts Social Web

01.01.2014
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.
Social Media sind kein technisches Phänomen. Die Sprengkraft steckt in der Wirkung, die partizipatives Denken und Handeln entfaltet - im Guten wie im Schlechten.

Die Redaktion der COMPUTERWOCHE hat in den vier QUADRIGA-Sonderpublikationen aufgezeigt, welche Möglichkeiten den großen IT-Entwicklungen Cloud, Mobility, Big Data und Social innewohnen. Social ist von den drei anderen Trends abzuheben. Cloud Computing, Mobility und Big Data definieren sich zunächst einmal über neue technische Möglichkeiten. Social hingegen weist grundsätzlich über den Technik-aspekt hinaus. Dies gilt sowohl für Unternehmen als auch für die private und die gesellschaftliche Sphäre.

Kann man soziale Medien ignorieren?

Sehr eindrücklich zeigt beispielsweise die Ausstellung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe "Kairo. Neue Bilder einer andauernden Revolution", welch politische Bedeutung Beiträge, Fotos und Posts in sozialen Medien wie Twitter, Flickr, Facebook etc. haben können. Die "Instrumentalisierung dieser Bilder im Kampf um die öffentliche Deutungshoheit des Geschehens zeigt ihre Macht und die Widerständigkeit, die ihnen zugetraut werden", schreiben die Ausstellungsmacher.

Alan Rusbridger, Chefredakteur des "Guardian", hat schon sehr früh beschrieben, was es bedeutet, wenn die breite Öffentlichkeit politische Geschehnisse wahrnimmt und deutet. Mit Blick auf die sozialen Medien fragt er: "Natürlich können wir das ignorieren. Aber sollten wir das?"

Inzwischen dürfte die Frage eher lauten, ob man das Social Web überhaupt noch ignorieren kann. Adornos Satz von der normativen Kraft des Faktischen gibt darauf die passende Antwort: Nein.

Social Media ist weit mehr als Technik
Social Media ist weit mehr als Technik
Foto: fotografiedk, Fotolia.com

Den Namen Rebecca Marino dürften nur die wenigsten kennen. Die Kanadierin hatte es vor zwei Jahren in der WTA-Rangliste des Frauentennis immerhin bis auf Rang 36 der weltweit besten Tennisspielerinnen geschafft. Anfang 2013 gab Marino mit nur 22 Jahren ihr Karriere-ende bekannt. Der Grund: Depressionen. Einer der Auslöser war das, womit Prominente aus den unterschiedlichsten Bereichen heute ständig konfrontiert sind: mit Kommentaren in sozialen Medien: "Ich habe dort Kommentare bekommen, die sehr verletzend waren." Sie seien nicht der Grund ihres Rücktritts gewesen, aber "von mir haben die sozialen Netzwerke ihren Tribut gefordert".

Das Beispiel der deutschen Hochspringerin Ariane Friedrich zeigt, wie elementar soziale Medien in persönliche Lebensgeschichten eingreifen können. Gegenüber den Medien sagte sie, je bekannter man werde, "desto mehr muss man sich anscheinend gefallen lassen". Der Fall Friedrich war insofern ein elementarer Aufreger, als sie Namen und Adresse eines Stalkers auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht hatte. Hiermit löste sie aber erst recht einen Aufruhr aus. Zum Verhängnis wurde ihr wohl, dass praktisch gleichzeitig der Fall der elfjährigen Lena aus Emden publik wurde, die in einem Parkhaus geschändet und ermordet worden war. Hier hatte die Polizei zunächst einen falschen Verdächtigen festgenommen. Dieser wurde daraufhin im Internet massiv gemobbt und bedroht.

Solche Vorfälle gibt es zuhauf. Deutschlands Tennishoffnung Angelique Kerber bekam auf ihrer Facebook-Seite Todesdrohungen, nachdem sie in Wimbledon 2013 in der zweiten Runde ausgeschieden war - manche vermuten dahinter die Wettmafia. Mario Götze und Manuel Neuer wurden nach ihren Wechseln zum FC Bayern übelst beschimpft. Und gerade erst musste der Leverkusener Stürmer Stefan Kießling nach seinem "Phantomtor" gegen Hoffenheim einen Shitstorm über sich ergehen lassen. Die ZDF-Redaktion erntete 2012 nach einem Interview von Claus Kleber mit Irans damaligem Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad binnen weniger Stunden über 1000 teilweise hasserfüllte Kommentare.

In großen Unternehmen weiß man heute, was solche Übergriffe im Social Web bedeuten können, und trifft Vorkehrungen. Der britische Versicherer XL Group gab dazu im Oktober 2013 eine Studie in Auftrag und fand heraus: Fast ein Viertel der befragten 18- bis 34-Jährigen nutzen soziale Netze, um sich über Unternehmen und deren Produkte zu beschweren. Tendenz steigend.