Social Media ist weit mehr als Technik

Brechts Social Web

01.01.2014
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.

Menschen interagieren mit Marken

Ed Mitchell von der XL Group sagt: "In dem Maße, in dem Menschen soziale Medien in ihr Alltagsleben integrieren, werden sie mehr und mehr mit Unternehmen und deren Marken interagieren." Für Firmen, die via Like-Button positive Rückmeldungen erhielten, sei das natürlich großartig. Wenn ihnen im Social Web aber etwa wegen Produkt- oder Servicemängeln der Wind ins Gesicht wehe, "brauchen sie Werkzeuge und Kompetenzen, um zu reagieren" - und das möglichst schnell.

Radikale Antworten sind nicht die Lösung

Die Antwort, die das amerikanische Wissenschaftsmagazin "Popular Science" auf die unberechenbare Crowd gab, ist so radikal wie einzigartig: Man entschied schlicht, keine Kommentare mehr zuzulassen. Als Erklärung hieß es, es gebe wissenschaftliche Belege dafür, dass Minderheiten die Wahrnehmung von Beiträgen beeinflussen könnten. Soziale Netze seien das optimale Biotop für solche Minoritäten, sie könnten dort ihre Wirksamkeit voll entfalten.

Beraterin Julia Johnson, die eng mit dem Versicherer XL Group zusammenarbeitet, gibt den Leuten von "Popular Science" insofern recht, als sie feststellt: "Wenige negative Kommentare in sozialen Medien können unverhältnismäßig große Auswirkungen auf eine Firma haben."

United Breaks Guitars

Bezeichnend ist die Geschichte des kanadischen Musikers David Carroll und seiner Band Sons of Maxwell. Carroll und den Bandmitgliedern war es vom United-Airlines-Bordpersonal verboten worden, ihre Gitarren mit in die Kabine zu nehmen. Sie mussten dann mit ansehen, wie die teuren Instrumente beim Verladen zu Bruch gingen. Der Beitrag von "CNN" über die Geschichte wurde zu einem Hit im Web. Das von Carroll fabrizierte Video "United Breaks Guitars" auf Youtube wurde mehr als 13,5 Millionen Mal angeklickt. Für die PR von United Airlines war der Vorfall ein Desaster.

Allerdings lernte die Fluggesellschaft aus dem Flop. Sie nutzte das Video als Anschauungsmaterial für die eigenen Mitarbeiter, um die Servicequalität zu erhöhen.

Kampagnen gezielt ausrollen

Es geht aber auch anders: Lufthansa-Systems-CIO Jörg Liebe, dem das United-Airlines-Debakel natürlich bekannt ist, nennt das Mercedes-Beispiel der Markteinführung eines neuen Autos. Um den Launch möglichst wirkungsvoll in Szene zu setzen, habe der Autokonzern sich zunächst ein paar Fragen gestellt: Wer hat sich in den sozialen Netzen als Autobegeisterter zu erkennen gegeben? Wer von diesen sind die "Influencer"? Wer ist also bei Twitter oder Facebook ein Meinungsführer, wenn es um Fragen zu Autos geht?

Als das klar war, startete Mercedes eine gezielte Kampagne an vergleichsweise wenige Adressaten. Die aber traten als Multiplikatoren auf, indem sie diese Kampagne via Retweets verbreiteten. Liebe: "Mit diesem Vorgehen hatten sie einen Effekt, den sie mit einer teure Marketing-Kampagne nicht hätten haben können."

Julia Johnson sagt denn auch: "Social Media können zum einen ein wertvoller Indikator sein, um auf Probleme aufmerksam zu machen." Zum anderen aber sei es auch ein effizienter Kanal, um mit Konsumenten zu kommunizieren.

Die Unternehmensansprache muss aber nicht nur nach außen, sondern auch nach innen gerichtet sein. Peter Schütt skizziert in seinem Buch "Der Weg zum Social Business", an welchem Wendepunkt die Menschen angekommen sind. Der bei IBM für Social-Business-Strategien verantwortlich zeichnende Manager beschreibt diesen Wendepunkt als "Transformation von Organisationen und Unternehmen von überwiegend hierarchisch-zentralistischen Strukturen hin zu partizipativen Prozessen, hin zum Mitmach-Unternehmen".

Bertolt Brecht als Ideengeber

Übrigens stammt, wenn man so will, eine sehr frühe Kommunikationstheorie der sozialen Medien von Bertolt Brecht. Der forderte in seinen Radiotheorien: "Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen." Ersetzt man den Begriff Rundfunk durch soziale Medien, hätte man deren Charakter definiert. (mhr)