Rückblick

2016 - das Jahr der großen Überraschungen

14.12.2016
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Kratzer in Cloud-Politur

Doch der Umbau des Softwaregeschäfts drückt auf die Zahlen. Haben die großen Konzerne in den vergangenen Jahrzehnten Milliarden mit Lizenzen und Wartung verdient, müssen sie sich in der Cloud von den hohen Margen der Vergangenheit verabschieden. So hatten denn auch Microsoft wie Oracle rückläufige Umsätze und Gewinne zu beklagen. Einen hässlichen Kratzer bekam die Cloud-Politur der großen Anbieter Anfang des Jahres durch eine Gartner-Studie.

Die Analysten behaupteten, IBM, Microsoft, Oracle und SAP wiesen ihre Cloud-Einnahmen allzu kreativ aus. Sie gingen mit irreführenden Umsatzzahlen hausieren und nutzten Cloud-bezogene Wachstumsraten, um ihr Profil in hart umkämpften Wachstumsmärkten zu schärfen. Weiter befeuert wurde die Kritik durch die Vorwürfe einer ehemaligen Oracle-Mitarbeiterin. Sie sei von ihren Vorgesetzten dazu angehalten worden, Einnahmen irregulär als Cloud-Umsätze zu verbuchen. Als sie sich weigerte, bei diesen Praktiken mitzumachen, sei sie entlassen worden. Oracle wies die Anschuldigungen als Racheakt einer Under-Performerin, die ihren Job verloren habe, zurück und kündigte eine Klage an.

Im Cloud-Business bekommen es die alteingesessenen IT-Anbieter zudem mit neuen Wettbewerbern zu tun. Branchenprimus ist Amazon Web Services (AWS). Quartal für Quartal steigerte der Online-Händler seine Cloud-Einnahmen, auf zuletzt 3,2 Milliarden Dollar im dritten Quartal 2016, ein Plus von 55 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Dazu kommt, dass es längst nicht mehr nur Infrastruktur- oder Plattformdienste sind, mit denen AWS Geld verdient. Der Cloud-Anbieter wildert zunehmend im Revier der klassischen Softwareanbieter, beispielsweise mit einer eigenen Datenbank-Engine aus der Cloud. Gleiches gilt für Google. Der Suchmaschienenspezialist baut sein Cloud-Angebot kontinuierlich mit Apps und Schnittstellen zu eigenen Diensten wie Bild-, Sprach- und Texterkennung aus.

Siemens und GE bauen IoT-Plattformen

Für die Anwender wird der Markt damit zunehmend komplexer und unübersichtlicher. Das zeigt sich auch an anderer Stelle. Gerade im Umfeld von IoT erwächst den klassischen IT-Anbietern, die gerne an den Schalthebeln von Technik und Daten sitzen würden, neue Konkurrenz. Industriekonzerne wie Siemens und General Electric (GE) bauen eigene Plattformen für das Internet der Dinge und das kommende neue Industriezeitalter. Dafür nahmen die Unternehmen viel Geld in die Hand.

Siemens schluckte Anfang des Jahres für eine knappe Milliarde Dollar CD-adapco, einen Anbieter von Simulationssoftware. Ende des Jahres kauften die Münchner den US-Spezialisten für Automatisierungssoftware Mentor Graphics für 4,5 Milliarden Dollar. Aber auch Konkurrent GE blieb nicht untätig. Die Amerikaner übernahmen unter anderem ServiceMax, einen Spezialisten für "Mobile Field Force" für 915 Millionen Dollar. Außerdem heuern Firmen wie Bosch und Continental große Entwicklermannschaften an und werden damit mehr und mehr zu Softwarefirmen.

Überhaupt war es ein schwieriges Jahr für die alten IT-Granden. Turbulent lief das Jahr für Firmen wie DellEMC sowie die beiden Spaltteile von Hewlett-Packard – es hieß: sich schütteln, neu sortieren und die Geschäfte erst einmal wieder richtig auf die Schiene setzen. Bei Dell und EMC ging es in erster Linie um Integration. Die größte Übernahme der IT-Geschichte mit einem Volumen von über 60 Milliarden Dollar wurde 2016 von den Behörden und Aktionären abgenickt. Das Unternehmen firmiert nun unter Dell Technologies, hat rund 140.000 Mitarbeiter und steht für einen geschätzten Jahresumsatz von 74 Milliarden Dollar.

Bei HPE geht das Spalten weiter

Weniger Integration, stattdessen mehr Spaltung stand bei HP auf der Tagesordnung. Nachdem sich der Traditionskonzern Ende 2015 in die Business-Sparte HP Enterprise (HPE) und HP Inc., die das PC- und Druckergeschäft weiterbetreibt, aufgespalten hatte, dachte man, dass nun Ruhe einkehren würde. Doch weit gefehlt. Im Mai gab HPE überraschend bekannt, das Servicegeschäft abspalten und mit CSC fusionieren zu wollen. In dem neuen Servicegiganten mit einem Jahresumsatz von 26 Milliarden Dollar sei das Dienstleistungsgeschäft besser aufgehoben, hieß es von HPE. Und es ging noch weiter. Im September gab HPE sein Software-Business an den britischen Softwareanbieter Micro Focus ab.

Größer ist nicht automatisch besser, sagt HPE-Chefin Meg Whitman. Ihr Credo: "Durch Fokussierung, Fokussierung und Fokussierung bekommt man mehr Innovation."
Größer ist nicht automatisch besser, sagt HPE-Chefin Meg Whitman. Ihr Credo: "Durch Fokussierung, Fokussierung und Fokussierung bekommt man mehr Innovation."
Foto: Evernine

Dell und EMC zu einem Infrastrukturriesen fusioniert, HP zerschlagen und eine IBM, die seit Jahren schrumpft: Für die großen IT-Traditionsanbieter könnte 2017 das Jahr der Wahrheit werden. Und wer weiß – vielleicht gelingt dem einen oder anderen wirklich das große Comeback. IBM beispielsweise baute zuletzt massiv seine Techniken rund um Cognitive Computing und Watson aus. Eine Strategie, die aufgehen könnte. Nach Einschätzung vieler Experten werden sich Themen wie künstliche Intelligenz und Machine Learning zu Schlüsseltechnologien entwickeln.

Gartner zufolge ist die Zeit reif für einen breiten Einsatz von Artificial-Intelligence-(AI-)Systemen. Das Ganze sei längst nicht mehr nur ein Spielfeld für Tüftler und Freaks. Crisp Research spricht schon vom postdigitalen Zeitalter, in dem Maschinen und Roboter mit menschlichen Eigenschaften agierten.

Schlaue Maschinen

Ein Thema, das auch im kommenden Jahr keine Langeweile aufkommen lassen dürfte, zumal die Diskussionen weitergehen werden. Während die einen Experten warnen, Maschinen könnten den Menschen das Heft aus der Hand nehmen und die Kontrolle an sich reißen, wiegeln andere ab. Diane Greene, die das Cloud-Geschäft bei Google verantwortet, sagte vor Kurzem, sie glaube nicht, dass maschinelle Intelligenz zu ihren Lebzeiten die Intelligenz des Menschen überflügeln werde.

Augmented und Virtual Reality haben 2016 oredntlich Fahrt aufgenommen und könnten im kommenden Jahr spannende Lösungen und Angebote hervorzaubern.
Augmented und Virtual Reality haben 2016 oredntlich Fahrt aufgenommen und könnten im kommenden Jahr spannende Lösungen und Angebote hervorzaubern.
Foto: Eugenio Marongiu - shutterstock.com

Für Spannung dürften 2017 auch einige andere Techniken sorgen, die in diesem Jahr schon gehörig Schwung aufgenommen haben. Dazu zählen beispielsweise die Themen Augmented und Virtual Reality. Etliche Anbieter haben bereits entsprechende Brillen beziehungsweise Apps für die Verschmelzung von realer und virtueller Welt vorgestellt. Auch Drohnen dürften wieder für Gesprächsstoff sorgen.

Während die Behörden weltweit fieberhaft nach Reglements für den Flugverkehr suchen und überlegen, Führerscheine für Drohnenpiloten einzuführen, bauen die Hersteller schon an den neuesten Geräten. Pilotversuche, die Fluggeräte für die Zustellung von Paketen oder als Pizzaboten einzusetzen, laufen bereits. Für die Auslieferung von Päckchen rollten 2016 auch die ersten kleinen Fahrroboter hierzulande durch die Straßen. Und das alles dürfte erst der Anfang sein.