Komplexitätsmanagement

Wie isst man einen Elefanten?

01.03.2017
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Mit mehr als 20 Jahren Projekterfahrung in der ITK-Branche schreibt Hauke Thun als Experte zu den Themen Projektmanagement & Führung. Der Managing Director des House of PM verfügt über Zertifizierungen nach GPM/IPMA Level D, PMI/PMP und OGC/PRINCE2 sowie SCRUM ALLIANCE/Certified Scrum Master. Außerdem engagiert er sich als Assessor für den IPMA Project Excellence Award und seit 2013 als IPMA DELTA Foreign Assessor.

Ausschreibungen erfordern Erfahrung in der Lieferantenauswahl

Präzise Planung und Evaluation ist gerade bei der Auswahl der Lieferanten für komplexe Vorhaben entscheidend. Hier ist besondere Expertise und methodisches Vorgehen notwendig, denn Ausschreibungssysteme bergen die Gefahr, dass die Professionalität der Lieferanten nicht frühzeitig bewertet werden kann, beziehungsweise nicht konkretisiert in der Ausschreibung und der Bewertung der Lieferanten wiederzufinden ist. Mögliche mangelnde Erfahrung und zu frühe, falsche Zusagen können so nicht ausreichend berücksichtigt werden. Stattdessen gewinnt bei Ausschreibungen häufig der kostengünstigste und schnellste Anbieter.

Organisationen in hochspezialisierten und globalisierten Branchen reagieren auf dieses Dilemma, indem sie ihre Aufträge nur noch an Zulieferer vergeben, die einen nachweislich hohen beziehungsweise zur eigenen Unternehmung auf Augenhöhe stehenden Reifegrad haben. Sie legen Wert darauf, dass bei allen Zulieferern ein Prozesssystem implementiert ist, das ein hochentwickeltes Projektmanagement beinhaltet. Systemlieferanten, die für ihre Auftraggeber Komponenten entwickeln, dokumentieren und konstruieren, müssen entsprechend nachvollziehbare Prozesse nutzen und sowohl nachhaltige als auch gleichbleibende Lieferqualität leisten.

Voraussetzung für einen zielführenden Evaluationsprozess ist eine realistische Bewertung der Kompetenzen eines Unternehmens. Die Projektmanager müssen erkennen, welche Komplexität ihre Organisation und auch wichtige Lieferanten leisten können. Konsequenterweise kommen sie dann manchmal auch zum dem Schluss, dass die Komplexität eines Projekts ihre Expertise überschreitet. Entsprechend müssen sie dann entscheiden, das Projekt so nicht durchzuführen beziehungsweise Änderungen am Projektinhalt oder an den eigenen Kompetenzen und Kapazitäten vorzunehmen, zum Beispiel durch Vorstudien oder Einkauf externer Kompetenz.

Erfolgsschlüssel Änderungsmanagement

Im laufenden Projekt bietet ein stringentes Änderungsmanagement den Schlüssel, um Projekte zum Abschluss zu bringen, ohne dass die Kosten explodieren. In der Praxis sind es nämlich insbesondere Änderungen und deren nicht komplett verstandene Auswirkungen, die ein Vorhaben schnell teurer machen. Davon betroffen sind etwa öffentliche Prestigeprojekte, insbesondere Infrastrukturvorhaben. Wenn die Politik oder andere fachfremde Stakeholder laufend neue oder andere Anforderungen definieren – „unser Leuchtturmprojekt muss schöner, schneller fertig und größer werden“ – steigt der Druck von außen und verleitet zu kostspieligen Fehlentscheidungen. Entsprechend wichtig ist die transparente Gestaltung der Prozesse für das Änderungsmanagement. Die Projektmanager müssen klar benennen, welche Auswirkungen Änderungen an welcher Stelle auf Dauer, Kosten und Qualität des Projekts haben.

Um die Prozesse für das Änderungsmanagement von Anfang an konsequent zu installieren, arbeiten viele Unternehmen mit einem sogenannten Change Control Board. Die Aufgabe dieses aus Fachexperten zusammengesetzten Gremiums ist es, genau zu analysieren, welche Konsequenzen Änderungen zu welchem Zeitpunkt haben. Entscheidet sich zum Beispiel ein Stakeholder zu einem späten Zeitpunkt für die Verwendung neuer Anlagen oder Oberflächenmaterialien, hat dies direkte Auswirkungen auf eine Reihe von Schnittstellen, die Projektdauer und die Kosten. Hier ist es Aufgabe des Boards, genau zu verstehen, welche Kosten und Verzögerungen dadurch entstehen und entsprechend fundierte Empfehlungen auszusprechen.

Dazu gehört auch, Entscheidungen eines Vorstands oder der Politik zu hinterfragen. Aufgabe des Control Boards ist es, diese Entscheidungen in Abhängigkeit zueinander zu bringen und den Vorstand über Auswirkungen von Änderungs- und Anforderungsprozessen zu informieren. Um die Entscheidungsträger zu überzeugen, müssen die Projektmanager aufgrund ihrer Erfahrungen und ihres Fachwissens stichhaltige Fakten und Daten präsentieren. Es ist ihre Aufgabe, ganz klar zu belegen, was in welcher Zeit möglich ist.

Agile Methoden sind eine gute Basis, um mögliche Abweichungen in der Erwartungshaltung der Stakeholder zu minimieren und darüber hinaus ein stärkeres Bewusstsein für kritische, stark ineinandergreifende Projektentscheidungen zu schaffen. Sie bieten durch ihren partizipativen Ansatz gute Voraussetzungen, um alle Stakeholder schon früh in die Projekte einzubinden und sie in die Lage zu versetzen, in Abstimmung mit dem ganzen Projektteam die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Fazit

Das richtige Management komplexer Vorhaben hat viel mit Erfahrung zu tun. Organisationen, die über viele Jahre Fachwissen und Praxiserfahrung im Umgang mit ihren Projekten aufbauen konnten, erreichen grundsätzlich die höchsten Erfolgsraten bei der Umsetzung. Die Erfahrung hilft ihnen, festzulegen, welche Entscheidungen wann getroffen werden können und wie sie die Projektziele am realistischsten definieren.

Die Organisationen lernen, kontinuierlich besser zu planen und bessere Vorgaben in den einzelnen Fachbereichen zu machen. Am Anfang erfolgreich abgeschlossener Projekte steht immer eine entscheidende Einsicht: Die Komplexität von Projekten kann nicht reduziert werden, ohne den Inhalt des Projekts zu ändern. Doch indem Projektmanager Transparenz über die diversen Projektbestandteile schaffen und die Kompetenzen ihrer Organisation realistisch einschätzen, tragen sie entscheidend dazu bei, auch komplexe Vorhaben zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. (haf)